William Onyeabor: Funkmusik aus dem Abseits

Nr. 8 –

Dreissig Jahre lang war William Onyeabors Musik verschollen – bis das Label Luaka Bop eine Zusammenstellung veröffentlichte. Nun ist das komplette Werk des Mysteriösen erschienen.

Das eigene Studio, ein eigenes Presswerk – und der eigene Sound: William Onyeabor in einer undatierten Aufnahme.

Einem Superhelden gleich fliegt ein Mann über einen schlecht animierten Bluescreenhintergrund. In der Hand hält er eine Bibel. Was dann folgt, ist eine zehnminütige Lobpreisung Jesu Christi, während eine Tonspur aus billigen Keyboards erklingt. «Many Mansions» heisst der streng evangelikale Track, der kürzlich auf einem Youtube-Kanal mit nigerianischer Gospelmusik kursierte, ehe der Clip rasch wieder entfernt wurde. Das Dokument gilt als erstes musikalisches Lebenszeichen von William Onyeabor seit dreissig Jahren, und es ist zu vermuten, dass sich seine wachsende Fanschar das Comeback dieses Mysteriums anders ausgemalt hat. Ein Mysterium, das seit der 2013 erschienenen Zusammenstellung «Who is William Onyeabor?» von MusikerInnen wie Dan Snaith (alias Caribou), Damon Albarn und David Byrne als einmalige Erscheinung in der westafrikanischen Musik gepriesen, in der Folge gecovert und remixt wurde und immer noch einige Rätsel aufwirft.

Denn viel ist nicht bekannt über Onyeabor, trotz der umfangreichen Forschungsarbeiten des herausgebenden Weltmusiklabels Luaka Bop. Ein paar Eckdaten scheinen aber gesichert: Onyeabor wurde Mitte der vierziger Jahre in Nigeria geboren, studierte in der Sowjetunion Film, gründete – zurück in der Heimat – Mitte der siebziger Jahre die Wilfilms-Studios, drehte angeblich den Film «Crashes in Love», der aber vor allem wegen seines Soundtracks für Aufsehen sorgte. So kaufte Onyeabor sündhaft teure Keyboards und Synthesizer, produzierte seine Musik in einem eigenen Studio, das futuristisch anmutete, und presste die Platte in seinem eigenen Presswerk. 1985 erschien das letzte von acht Alben, und Onyeabor widmete sich in der Folge ganz seinem Dasein als wiedergeborener Christ und einem nicht weiter definierten Unternehmertum.

Wie seine Musik genau entstanden ist, bleibt ungewiss. Interviewanfragen pflegt er abzulehnen, da er nicht über seine Vergangenheit, sondern nur über Jesus sprechen wolle – und wenn er denn spricht, wie kürzlich in einem Radiointerview mit der BBC, dann erzählt er kaum etwas. Ortsansässige hüllen sich lieber in Schweigen, da Onyeabor als höchst launische Person gilt und einen Jungen, der um ein Honorar für seine Mitarbeit bat, einst mit einer Pistole bedroht haben soll.

Do-it-yourself-Karriere

Diese Fragen sind auch mit dem kompletten Werk, das kürzlich von Luaka Bop neu aufgelegt worden ist, nicht zu beantworten. Die viereinhalb Stunden Musik, verteilt über neun CDs, machen aber eine Do-it-yourself-Karriere fassbar, die neben spektakulären Tracks musikalisch auch eher Konventionelles hervorbrachte.

Onyeabor wirkte stets abseits der heutigen Megalopolis Lagos, die nach der nigerianischen Unabhängigkeit und dem Bürgerkrieg um die Provinz Biafra im Ölgeldrausch der siebziger Jahre in die Höhe und über die Lagunen gebaut wurde. Damit stand Onyeabor auch abseits des Afrobeat von Fela Kuti und ausufernder Gitarrenfunkrock-Gruppen, die von James Brown beeinflusst wurden und den Aufstand gegen das Militärregime wagten. Informiert, das war Onyeabor aber schon. Denn seine Musik, entstanden in seinen Studios in der südostnigerianischen Stadt Enugu, trägt den Funk in sich, allerdings ist sie nur selten gesellschaftlich scharf zupackend. Bereits von seinem konventionellen Funk-Highlife-Debüt «Crashes in Love», erschienen 1977, fertigte Onyeabor eine Remixversion an, die auf artifizielle Synthesizersounds setzt und sein Interesse an elektronischen Klängen zum ersten Mal dokumentierte.

Ein Hit vor dem Abtauchen

Auch auf den Covers inszeniert sich Onyeabor als Mann der Technik: Zweimal lässt er sich inmitten seines hochgerüsteten Keyboardparks ablichten; auf der Platte «Great Lover» präsentiert sich Onyeabor zudem als Unternehmer, der zeigt, welche Infrastruktur ihm zur Verfügung steht. «We mean business», heisst es bei diesen Fotografien, die als Antwort auf die technisch rückständigeren Studios der englischen und amerikanischen Majorlabels in Lagos gelesen werden können.

Die Elektronik löste gegen Ende seiner Karriere den zu Beginn noch gepflegten Sound einer – nie genannten – Band vollends ab. Sein unwahrscheinlichster und begeisterndster Track, «Good Name», ist ein zehnminütiger Synthiemutant, und auf seinem letzten Album, «Anything You Sow», landete er vor seinem Abtauchen den fröhlichen Dancefloorhit «When the Going Is Smooth & Good». Radikal setzte William Onyeabor hier auf Repetition und den seriellen Charakter der elektronischen Clubmusik.

Repetition ist auch in den einfachen Texten das prägende Element: Onyeabor wendet sich gegen die Politiker, fragt: «Why go to war?», lädt den Protest gegen das atomare Wettrüsten sexuell auf, thematisiert die Volkskrankheit Bluthochdruck und inszeniert sich als fantastisch aussehender Mann. Bibelmottos finden sich vorab in den Spätwerken; der Weg in die erbauliche Heimorgelmusik, die im Video zu «Many Mansions» erklingt, ist da bereits vorgespurt. Nur den Flug mit der Bibel in der Hand, den konnte man noch nicht erahnen.

William Onyeabor: William Onyeabor Box Set. Luaka Bop. 9-CD-Box-Set (zirka 100 Franken) oder zwei Vinyl-Box-Sets 
(je zirka 80 Franken)

Wiederentdeckungen: Für jedes Happy End zehn Misserfolge

Der Film «Searching for Sugar Man» hat im Jahr 2012 eine herzerwärmende Erzählung vorgeführt: Jahrzehntelang verschollener Musiker wird dem Vergessen entrissen und zum Star. So geschehen mit US-Singer/Songwriter Sixto Rodriguez, Jahrgang 1942, der nach ersten Erfolgen in den siebziger Jahren spurlos verschwand, als Kult weiterlebte, bis ihn zwei südafrikanische Fans aufspürten und ihm im Alter von siebzig Jahren eine zweite Chance ermöglichten.

«Für jedes Happy End gibt es zehn missglückte Versuche», hat der US-Labelbetreiber Eothen Alapatt dem Londoner «Guardian» zu solchen Wiederbelebungsversuchen erklärt. Eothen Alapatt kontaktiert für sein Now-Again-Label zumeist MusikerInnen, die Platten oder CDs selbst herausgegeben haben. «Dann gibt es zwei Reaktionen: Die einen meinen, wenn ich sie anfrage, dann seien ihre Werke so wichtig, dass sie Millionen damit verdienen werden. Und die andern meinen, ich wolle sie übers Ohr hauen.»

Mit dem texanischen Saxofonisten Leon Hutchison verhandelte Alapatt zehn Jahre lang um die Rechte an dessen Werken, ohne Erfolg. Aus der Backlist von Les Ohmit, der ein Studio in Indianapolis betrieben hatte, gab er zwischen 2002 und 2004 sechs Platten heraus. Doch dann brach der Kontakt ab, und als Alapatt einen erneuten Versuch unternahm, erfuhr er, dass Ohmit gestorben war und seither ein Teil des Archivs nicht mehr auffindbar ist.

Stefan Howald