Medientagebuch: Wieder im Lot

Nr. 10 –

Bernard Schmid über französische Pressefreiheit und Aussenpolitik

Frankreich ist ein Land, das die Freiheit der Presse und jene der Meinungsäusserung hochhält – wie vor kurzem die diversen Demonstrationen unter dem Motto «Ich bin Charlie» bewiesen haben. Und Frankreich ist auch sehr um Demokratie und Menschenrechte in seiner postkolonialen Einflusssphäre auf dem afrikanischen Kontinent besorgt – Regierungen und Behörden proklamieren das immer wieder. So weit zur Theorie. Nun ein paar Worte zur Praxis.

Am 15. Februar dieses Jahres nehmen vierzig Polizisten in Zivil in Marokkos Hauptstadt Rabat den Sitz der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH auseinander. Zwei französische Journalisten, die sich dort aufhalten, weil sie einen Film über Wirtschaft und Korruption in Marokko drehen wollen, Jean-Louis Perez und Pierre Chautard, werden festgenommen, rüde behandelt und umgehend abgeschoben. Ihr Film- und Fotomaterial sowie die Mobiltelefone bleiben beschlagnahmt.

Frankreichs Aussenministerium erklärt kurz darauf, dass man nicht vorhabe zu protestieren. «Die Dinge» – mit Marokko – «sind gerade dabei, wieder ins Lot zu kommen, wir sind jetzt der Zukunft zugewandt», habe der Sprecher des Ministeriums ihm gegenüber gesagt, berichtet Benoît Bringer, der für die beiden Journalisten zuständige Chefredaktor der Agentur Premières Lignes. Anders als das Ministerium sehen das aber die wichtigsten französischen JournalistInnengewerkschaften: jene des Dachverbands CGT, jene des Gewerkschaftsverbands CFDT und die dachverbandslose Gewerkschaft SNJ. In einer Erklärung vom 16. Februar sprechen sie von einem «gravierenden Angriff auf das Grundrecht der Informationsfreiheit».

Mit der Aussage, dass die Beziehungen zu Marokko langsam «wieder ins Lot kommen», meinte das Aussenministerium die erneute Annäherung der Repressionsapparate beider Länder. Die französisch-marokkanische Kooperation in justizpolitischen Dingen lag nämlich seit fast einem Jahr auf Eis – seit in Frankreich gegen Abdellatif Hammouchi, den Chef des marokkanischen Nachrichtendiensts, strafrechtliche Ermittlungen wegen Foltervorwürfen aufgenommen wurden. Weil sich unter den klagenden Opfern auch französisch-marokkanische Doppelbürger befinden, blieb den Behörden nichts anderes übrig, als diese Vorwürfe zu prüfen. Hammouchi kürzte einen Aufenthalt auf französischem Boden ab, um keine richterlichen Fragen beantworten zu müssen.

Doch nun ist wieder alles gut. Die Regierung hat interveniert. Am 14. Februar verkündete der französische Innenminister Bernard Cazeneuve, dass Geheimdienstchef Abdellatif Hammouchi in Bälde zum Offizier der Ehrenlegion ernannt werde – eine begehrte Auszeichnung der Republik. Just am folgenden Tag erfolgte der polizeiliche Zugriff auf die französischen Journalisten am Sitz der Menschenrechtsvereinigung AMDH in Rabat.

Nicht nur die Gewerkschaften beurteilen die Umtriebe des marokkanischen Repressionsapparats kritischer als die Spitze der französischen Republik. Die Jury, die seit 1933 jährlich den begehrten Journalistenpreis Prix Albert Londres für die beste Reportage verleiht, wollte die Preisübergabe dieses Jahr im marokkanischen Tanger stattfinden lassen. Ende Februar annullierte sie den Abstecher ins frankofone Marokko: Ein Aufenthalt in dem Staat, dem eine «systematische Verhinderung der Untersuchungsarbeit couragierter und integrer Journalisten» vorgeworfen werde, komme nun nicht mehr infrage.

Bernard Schmid schreibt für die WOZ 
aus Paris.