Fussball und andere Randsportarten: In 38 Sekunden unter die Dusche

Nr. 13 –

Pedro Lenz über Fussballer, die rotsehen

An jedem Fussballwochenende müssen Schiedsrichter irgendwo auf der Welt gelbe oder rote Karten zeigen. Doch während gelbe Karten selten lange in Erinnerung bleiben, wird über Platzverweise zuweilen noch Jahre später diskutiert. Dies gilt besonders für rote Karten, die direkt gezückt werden, also nicht auf eine vorangegangene Verwarnung folgen. Im Fussball ist der direkte Platzverweis die Höchststrafe. Die rote Karte kann ein Spiel oder ein ganzes Turnier entscheiden.

Der Kopfstoss von Zinedine Zidane im WM-Final 2006 zwischen Frankreich und Italien ist längst in die Fussballgeschichte eingegangen. Aber auch die rote Karte gegen David Beckham beim Achtelfinal an der WM 1998 im Spiel zwischen England und Argentinien leitete eine schmerzhafte Niederlage ein und bleibt deshalb unvergessen. Historisch ist zudem die rote Karte gegen den Chilenen Carlos Caszely im WM-Gruppenspiel Deutschland – Chile von 1974, handelte es sich doch dabei um den ersten Platzverweis, der je an einem WM-Turnier ausgesprochen wurde. Zwar war die rote Karte schon vier Jahre zuvor an der Weltmeisterschaft in Mexiko eingeführt worden. Doch musste an jenem Turnier noch kein Schiedsrichter von dieser Sanktion Gebrauch machen.

Selbstverständlich hat jede rote Karte eine Vorgeschichte. In den erwähnten Fällen von Zidane und Beckham gingen den jeweiligen Platzverweisen Provokationen voraus. Der Italiener Materazzi hatte Zidane im Endspiel von 2006 etwas über dessen Schwester gesagt, das den Franzosen offenbar zu seinem legendären Kopfstoss animierte. Im Fall von Beckham war es sein damaliger Gegenspieler Diego Simeone, der den schön frisierten Beckham mit einem versteckten Foul dazu brachte, die Nerven zu verlieren und den Argentinier seinerseits zu treten. Und letztes Wochenende beklagten sich die FCZ-Fans, die rote Karte für ihren Captain Yassine Chikhaoui im Match gegen die Berner Young Boys sei von YB-Spieler Renato Steffen mit einem versteckten Griff an die Weichteile des Tunesiers provoziert worden.

International zu reden gab derweil der schnelle Platzverweis, der am Sonntag gegen Liverpool-Star Steven Gerrard verhängt wurde. Das Spiel zwischen dem FC Liverpool und Manchester United stand zur Pause 0:1, als Liverpools Trainer Brendan Rodgers beschloss, für die zweite Halbzeit seinen 34-jährigen Altstar Gerrard einzuwechseln. Mit dem kämpferischen Vorbild sollte der FC Liverpool über den Kampf ins Spiel zurückfinden. Gerrard war kaum auf dem Feld, als er sein erstes Zeichen setzte und Manchesters Juan Mata foulte. Einen Augenblick später trat er dem am Boden liegenden Gegenspieler Herrera auf den Fuss, was einen direkten Platzverweis zur Folge hatte. Als ihm der Unparteiische mit der roten Karte den Weg zur Dusche wies, war Steven Gerrard gerade mal 38 Sekunden auf dem Platz gestanden. Er habe wohl gesehen, dass Liverpool in der ersten Halbzeit zu wenig aggressiv gespielt hatte, und sei deshalb bemüht gewesen, sofort ein Zeichen zu setzen, versuchte der Trainer seinen Schützling zu entschuldigen.

Es wäre nun allerdings ein Irrtum zu glauben, Steven Gerrard habe sich am letzten Sonntag die schnellste rote Karte aller Zeiten eingehandelt. Denn gegen einen ansonsten vollkommen unbekannten Fussballer aus Wales wurde bei einem Amateurmatch im Jahr 2000 der Platzverweis unmittelbar nach dem Anspiel ausgesprochen. Der Anpfiff des Schiedsrichters sei derart schrill gewesen, dass der Spieler Lee Todd noch im Anstosskreis spontan bemerkt haben soll: «Fuck me, that was loud!»

Das erste Wort dieses kleinen Satzes interpretierte der Referee als «foul language» und stellte Todd bloss zwei Sekunden nach dem lauten Anpfiff vom Platz. In Schottland wäre ihm das nicht passiert, dort gilt «fuck» als Füllwort, wie bei uns etwa «ououou» oder «whoaw» oder «botz».

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er befasst sich seit Jahren mit dem literarischen Potenzial der roten Karte.

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