Fussball und andere Randsportarten: Fussballkulturelle Finessen
Fremde Vögte auf Schweizer Rasen.
Vor einigen Jahren besuchte ich in Krems an der Donau ein paar Fussballspiele. Das dortige Sepp-Doll-Stadion hat Platz für 10 000 Fans, aber normalerweise stehen höchstens ein paar Dutzend Leute am Spielfeldrand. Der Kremser SC hat bessere Zeiten erlebt, Zeiten, in denen Weltstars wie Hans Krankl oder der Argentinier Mario Kempes für die Niederösterreicher glänzten. Doch nach einem dreijährigen Gastspiel in der österreichischen Bundesliga (1989 bis 1992) ging es mit den Schwarzweissen nur noch bergab. Inzwischen spielt der Kremser Sportklub in der Zweiten Landesliga. Das ist in Österreich die fünftoberste Klasse. An den Spieltagen ist nur ein einziges Kassenhäuschen offen, und die meisten Fans kennen einander, wie sich die Gläubigen kleiner Kirchen kennen.
Nun könnten wir annehmen, Spiele in der fussballerischen Provinz seien überall gleich, und es sei egal, ob wir einem Amateurfussballmatch in Österreich oder in der Schweiz beiwohnen. Doch in Krems an der Donau durfte ich lernen, dass es sehr wohl kulturelle Differenzen gibt. Was bei uns die «Buvette» ist, heisst dort «Ausschank». Statt Bier wird vorwiegend regionaler Weisswein ausgeschenkt, und während hungrige Fans in der Schweiz eine Wurst ordern, essen die Kremserinnen und Kremser gern eine Leberkässemmel mit Kren. Selbst die Kommunikation auf dem Rasen ist anders. Goalies in Schweizer Ligen rufen meist Dinge wie «Use stoh!». Der Torwart des Kremser SC dagegen rief bei meinen Matchbesuchen nur immer: «Gemma, gemma, gemma!»
Dies alles sei hier bloss erwähnt, weil am vergangenen Sonntag das Meisterschaftsspiel zwischen den Berner Young Boys und dem FC Zürich von einem österreichischen Schiedsrichter geleitet wurde. Der Austausch zwischen Fussballreferees aus Österreich und der Schweiz ist nichts Neues. Schon seit der Jahrtausendwende pfeifen jeweils vier Referees pro Saison in der jeweils anderen Liga. Dieses Programm soll talentierten Schiedsrichtern die Möglichkeit geben, Auslandserfahrungen zu sammeln.
Die Idee ging wohl anfänglich davon aus, dass es gut sei, so einen Austausch zwischen zwei gleichsprachigen Nachbarländern mit ähnlichem Fussballniveau zu pflegen. Wir dürfen annehmen, dass die zuständigen Fachleute dachten, zwischen Österreich und der Schweiz gebe es zumindest fussballerisch keine besonderen Unterschiede, was den jungen Schiedsrichtern die ersten Auslandseinsätze erleichtern würde.
Am Spiel vom letzten Sonntag zeigte sich freilich, dass die kulturellen Differenzen nie unterschätzt werden dürfen. Der österreichische Spielleiter Alexander Harkam zeigte ungewöhnlich viele gelbe und rote Karten. Dies war zumindest der Eindruck des Berner Publikums.
Welche Spielsituationen im Einzelfall nach einer Verwarnung oder einem Platzverweis verlangen, ist selbstverständlich bis zu einem gewissen Grad Ermessenssache. Wollten wir alte Klischees bemühen, könnten wir vermuten, die österreichische Seele neige eher zur barocken Theatralik, wohingegen der schweizerische Charakter einen Hang zu pragmatischer Knappheit hat. Das mag ein bisschen oberflächlich argumentiert sein. Trotzdem will es einen dünken, es sei eher humorlos, einen Gastschiedsrichter gleich als «Karten-König» oder «Ösi-Pfeife» zu beschimpfen, nur weil bei ihm die Karten etwas lockerer sitzen, als wir es hierzulande gewohnt sind. Die Sportredaktion, die am Tag nach dem Spiel solche Begriffe druckte und dem Mann aus Österreich die Note 1 verpasste, kann dem Kulturaustausch offenbar wenig abgewinnen.
Dabei könnte gerade nach solchen Spielen ein wenig Schmäh alles auflockern. Und wer weiss, vielleicht lebt Schiri Harkam, der am Sonntag zwölf gelbe und zwei rote Karten zeigte, nach dem alten Leitspruch seines Landsmanns Toni Polster: «Für mich gibt es nur entweder-oder. Also entweder voll oder ganz!»
Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Seine Lieblingsweisheit von Toni Polster lautet: «A jeda muss sein Leben leben, der eine so, der andere anders.»