Kost und Logis: Der Mond war Zeuge

Nr. 15 –

Karin Hoffsten über die Segnungen des Kapitalismus

Neulich in Madrid. Nach einem strahlenden Tag versuchte ich mich mittels iPad an Fotos, auf denen die unterm Vollmond auf der Plaza Colón flatternde Flagge nicht total schief dastand. Es war kühl geworden und ich hungrig.

Wenig später stellte ich in einem Restaurant meinen Rucksack ab – und traute schier meinen Augen nicht: Alle Reissverschlüsse standen offen, sperrangelweit gähnten mich sämtliche Öffnungen an, doch alles war da – bis auf mein iPad! Nun ward mir kochend heiss. Unter den Augen des verwirrten Personals leerte ich mit fliegenden Händen den Rucksack bis auf den Grund, der dabei zutage geförderte Müll war mir nur am Rande peinlich: ES WAR WEG.

Also nichts mit feinem Essen, sondern mit Mann im Taxi zur nächsten Polizeiwache, unterwegs hektisch werweissend, wo und wie das passieren konnte. Hatte ich nicht noch gemeint, etwas am Rücken zu spüren? Und hatte er nicht gemeint, er habe mich angerempelt?

Auf der Wache dauerte es seine Zeit, bis ich kapiert hatte, dass ich meine Geschichte einem Comisario am Telefon auf Englisch erzählen musste. Der war zum Glück geduldig, und am Ende stand im Protokoll, das mir eine Comisaria vor Ort vorlegte, alles genau so, wie ichs stockend diktiert und buchstabiert hatte.

In der Nacht schlief ich schlecht. Immer wieder suchten mich Bilder heim von heranschleichenden Gestalten und von all dem Persönlichen, das nun gierigen Diebesaugen ausgesetzt war. Absolut nichts hatte ich auf der Cloud gespeichert, weil die mir zutiefst unsympathisch ist. Jetzt war alles futsch.

Wenn du dein Zeug wiederhaben willst, weiss entweder Apple alles über dich oder der Dieb, meinte der Mann an meiner Seite, im Zweifelsfall alle beide. Ich suchte im Gedanken Trost, dass sich kein spanischer Strassenräuber für Deutschsprachiges interessiert. Und war ich nicht schon viel zu abhängig von dem Gerät gewesen? War es nicht eine wichtige Lektion, die mir das Leben hier erteilte? Las ich nicht dauernd von iPhone-süchtigen Kids? War ich nicht längst auf denselben Weg geraten? Jetzt konnte ich reifen.

Komm, wir kaufen ein Neues!, ermunterte mich der Mann meines Lebens am Morgen. Ganz nah beim Hotel war ein Apple Store, knapp zwei Stunden später war alles fixfertig eingerichtet und mein heroischer Entzugsplan vergessen – der Verlust schmerzte kaum noch.

So geht das, wenn man aus einem der reichsten Länder kommt und eine Kreditkarte hat. Selbst die Diebstahlversicherung in der Schweiz zeigte sich von ihrer schönsten Seite. Das überweise ich Ihnen doch gerade, sagte die Dame am Telefon, ich höre, wenn eine Geschichte stimmt.

Zweifellos: Für jene, die auf der richtigen Seite des Grenzzauns geboren wurden, hat der Kapitalismus atemberaubend gute Seiten.

Karin Hoffsten hält Madrid nach wie vor für eine wunderschöne Stadt mit sympathischen Menschen. Das vorletzte Mal beklaut wurde sie in Zürich.