Film «Theeb»: Am Rand der Geschichte

Nr. 16 –

Plötzlich ist der Bub verschwunden, buchstäblich vom Erdboden verschluckt. Der jähe Sturz in einen Wüstenbrunnen könnte ein Witz sein, nur: Zum Lachen ist das nicht. Der Nomadenjunge Theeb (Jacir Eid al-Hwietat), dessen arabischer Name «Wolf» bedeutet, ist auf der Flucht vor Wegelagerern. Und die gehen für ein erbeutetes Kamel über Leichen. In die Bredouille gebracht hat den Jungen ein englischer Soldat, der Theebs älteren Bruder Hussein dazu überredete, ihn zu einem geheimen Treffpunkt zu bringen – zu ebenjenem Brunnen in der Wüste. Was der blonde Krieger aus dem Norden dort mit seinen seltsamen Gerätschaften vorhat, versteht Theeb nicht, und auch uns dämmert es erst allmählich.

Denn ausgedörrte Landschaft und Überlebenskampf sind natürlich nicht so zeitlos, wie sie anmuten. Naji Abu Nowars Regieerstling «Theeb» erwischt uns auf dem falschen Fuss. Der Film spielt während des Ersten Weltkriegs, das mit Britannien und Deutschland verbündete Osmanische Reich streitet sich um die Herrschaft über Arabien. Nur verkehrt der Film die eurozentristische Sicht und rückt das Gerangel der Grossmächte an den Rand. «The Great War» schleicht um Theebs Lagerfeuer, ohne sich in seinem ganzen Ausmass zu zeigen. Zu spüren bekommen die Nomadenvölker den Krieg trotzdem. Die Wüstenräuber sind selbst ein Produkt des europäischen Imperialismus: Einst begleiteten sie für ihren Lebensunterhalt Pilger nach Mekka, nun macht sie der «Stahlesel», wie sie den Zug nennen, arbeitslos. Der brutale Kulturschock, der den Islamismus bis heute prägt, ist hier nach allen Regeln der Ingenieurskunst vorgespurt.

Nowar muss solche Zusammenhänge nicht ausformulieren, darin liegt die Stärke seines Films. Stattdessen erzählt er in «Theeb» ein packendes Abenteuer aus Staub, quälendem Durst und Fliegen. Es ist eine einfache Geschichte, und dann doch wieder unübersichtlich wie das Felsgebirge, in dem Theeb eine gefährliche Entente schliesst. Erst zuletzt wird das Wolfskind merken, dass Blut dicker ist als das Wasser, das man mit einem Fremden teilt.


Ab 9. April 2015 im Kino.

Theeb. Regie: Naji Abu Nowar. Jordanien 2014