Politik und Pointen: Die satirische Weltverschwörung
Wie reagiert die Satire, wenn die herkömmliche Newsberichterstattung durchgeknallter ist als jeder Witz? Sie holt zum logischen Gegenschlag aus und produziert selber Nachrichten. Das ist interessant, aber auch heikel.
Die Satire durchlebt gerade interessante Zeiten. Einerseits scheint sie existenziell bedroht, andererseits wird sie zu Tode gelobt. Bedroht wird sie nicht durch Extremisten mit Maschinenpistolen, sondern durch den ganz normalen Wahnsinn der Nachrichtenwelt: Die Newsrealität funktioniert immer mehr eigenständig als Parodie. Damit sieht sich die Satire mit dem existenziellen Problem konfrontiert, dass sie schon bald überflüssig sein könnte. Zu Tode gelobt wird sie von Journalistinnen und Verschwörungstheoretikern.
Die Ausweitung der Meinungsdemokratie macht auch vor dem Humor nicht Halt: Das etablierte Format der tagesaktuellen Politsatire, wie sie in der Schweiz zum Beispiel bei «Giacobbo/Müller» oder auch bei «Vetters Töne» (Asche auf mein Haupt) gemacht wird, ist ein Auslaufmodell. Die Wahrscheinlichkeit, dass sämtliche Schnellpointen zu einem aktuellen Thema bereits nach wenigen Stunden komplett durchdekliniert sind, ist in Zeiten von Social Media relativ hoch.
Was also tun? Eine gute Strategie, um von den gängigen kurzen Einzeilerwitzen wegzukommen und wieder humoristischen Mehrwert zu produzieren, ist, sich Zeit zu nehmen und umfangreiche Geschichten zu erzählen. Also jene Nische zu besetzen, die manche klassischen Nachrichtengefässe mit ihrem Seitensprung ins Fach der Groteske erst geschaffen haben. Welcher TV-Sender zum Beispiel gibt heute noch einer ganzen Redaktion zwei Wochen Zeit, um einen Beitrag von einer knappen halben Stunde zu einem relativ abstrakten Thema wie NSA-Überwachung zu produzieren?
Der britische Comedian John Oliver macht das mit seiner wöchentlichen Show «Last Week Tonight» auf dem US-Sender HBO. Als eine Art humoristischer Erklärbär beleuchtet er darin jeweils ausgiebig ein grösseres, komplexes Thema und hält das Publikum durch Witze aus der Populärkultur bei der Stange – alles mit überraschendem Erkenntnisgewinn.
Schlingensief light
Die Sendung «Die Anstalt» auf ZDF wiederum, seit Jahrzehnten eigentlich der Leuchtturm der deutschen TV-Satire, widmet sich in jüngster Zeit vermehrt der «investigativen Satire». Ähnlich wie bei «Last Week Tonight» wird hier ein komplexes Thema mit Sketches und Wandtafelerklärungen bearbeitet.
Für Aufsehen sorgte «Die Anstalt» zum Beispiel damit, dass sie vermeintliche Verstrickungen der deutschen Presse mit Nato-nahen Organisationen aufzeigte (inklusive Gerichtsprozess und Verleumdungsklagen). Und jüngst illustrierte sie Griechenlands Schulden und die Reparationsforderungen an Deutschland mit dem Gastauftritt eines älteren griechischen Mannes, der als kleiner Bub seine ganze Familie von den Nazis ausgelöscht sah – und bis heute keine Entschuldigung von deutscher Seite erhalten hat. Der Auftritt des alten Griechen war zwar ein Emotionstrigger aus dem Schultheaterlehrbuch, aber er sass. Ein bisschen Schlingensief light, ein wenig zu arg deutsch-pädagogisch – aber nun ja, es funktionierte.
Die neuste Griechenland-«Anstalt» wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Schweizer Medien breit gefeiert. Und zwar mit einer solchen Begeisterung, dass sie mich kritisch stimmte. «Politsatire bewirkt mehr als Nachrichten», jubelte sogar die «NZZ am Sonntag» und kramte eine uralte Studie hervor, die seit zehn Jahren immer wieder als Beweis zitiert wird, dass ZuschauerInnen des Satireformats «The Daily Show» auf dem US-Sender Comedy Central besser über Politik Bescheid wüssten als das Publikum von herkömmlichen Sendern wie CNN oder NBC. Die Tatsache, dass Formate wie die «Daily Show» a priori für gut informierte ZuschauerInnen gemacht werden, wird dabei völlig ausser Acht gelassen.
Die rettende Kavallerie der Wahrheit
Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet aus den Reihen der JournalistInnen die unreflektiertesten Lobeshymnen auf Formate der investigativen Satire abgeschossen werden. Als Ausdruck einer Sehnsucht nach einer vernünftigeren und nachhaltigeren Berichterstattung kann ich das sogar verstehen. Aber diese Sehnsucht ist nicht unproblematisch: Dass Satireformate als die rettende Kavallerie der Wahrheit in einer Wüste der Manipulation gesehen werden, klingt für mich ein bisschen sehr nach dem simplen Weltbild von Hobbyverschwörungstheoretikern.
Denn Satire ist nicht der Luther der Dialektik. Satire muss gewalttätig sein, sonst funktioniert sie nur selten. Satire mag in einzelnen Fällen durchaus zu überraschender Übersicht und schönen Zusammenhängen führen, aber grundsätzlich, theoretisch, verträgt sie sich schlecht mit dem Anspruch der Aufklärung.
Schliesslich geht es auch um die Kunst des Storytellings: Das Publikum sehnt sich nach wie vor nach guten Geschichten. Und vielleicht hat die Satire momentan einfach die besseren Geschichten zu erzählen als die klassischen Newssender. Aber das kann sie eben nur, weil sie satirisch zuspitzt, weglässt, vereinfacht. Die meisten politischen Skandale, die meisten Schicksale haben leider keine Pointe, die dem Publikum zu verstehen gibt, wann es lachen darf.
Journalismus funktioniert letztlich seit jeher nach ökonomisierten Werten des Storytellings: Die bessere Story mit der schaurigeren Pointe wird zum wertvolleren Gut. Das ist nicht neu, und das lässt sich nicht ändern. Aber in der Satire geht es gar nicht ohne die Dividende der Pointe. Das liegt in der Natur der Erzählweise. Das Satirepublikum will manipuliert werden. Das ist die Abmachung. Erkenntnisgewinn, Wahrheit, Aufdeckung von Missständen gibt es en passant dazu, aber Satire ist Satire. Problematisch wird es, wenn SatirikerInnen von überallher zu FackelträgerInnen der Aufklärung stilisiert werden – und sie sich mit dieser Rolle plötzlich identifizieren können.
«Die Anstalt» ist dazu ein gutes Beispiel: Der Kabarettist Georg Schramm, einst Aushängeschild der «Anstalt», war ein Meister der Manipulation. Nur liess er sein Publikum stets an der Manipulation teilhaben. Er zeigte jeweils auf, wie er die Leute ganz simpel an der Nase herumführen konnte. Schramm schaffte also stets die nötige Distanz zwischen Manipulation und Aufklärung. Bei der heutigen «Anstalt» ist das schon schwieriger: Die Macher haben den Anspruch, Journalisten zu sein. Ob das gut ist? Ich weiss es nicht. Ich denke noch nach.
Das Schweigen der Lustigen
John Oliver übrigens beharrte neulich in einem Interview mit den «New York Times» darauf, dass er Comedian sei und immer im Dienste des Witzes arbeite – und nicht Journalist.
John Oliver lügt. Natürlich lügt er. Aber er muss lügen. Weil der Satiriker in ihm weiss, dass alles andere sein Tod wäre. Ein Komiker, der zugibt, dass seine Witze ernst gemeint sind, ist etwa so spannend wie ein Zauberer, der seine Tricks verrät. Deswegen gibt es auch nur ganz selten eine wirklich intelligente Debatte darüber, was guter Humor ist: Geführt wird diese Debatte nur von Leuten, die meist nicht wissen, wie Humor funktioniert. Und jene, die wissen, wie es geht, weil sie Humor selber produzieren – sie schweigen eisern.
Das wäre sie dann in etwa, die humoristische Weltverschwörung.
Gabriel Vetter
Der Schriftsteller und Kabarettist Gabriel Vetter, geboren 1983 in Schaffhausen, wurde 2006 mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet. Er war Hausautor am Theater Basel und trat 2014 als Abfalldetektiv in seiner SRF-Webserie «Güsel» auf.
Alle zwei Wochen liefert er bei Radio SRF1 in «Vetters Töne» einen satirischen Zusammenschnitt von Stimmen zum aktuellen Welt- und Lokalgeschehen.
Für die WOZ schrieb er zuletzt über den schwedischen Filmemacher Roy Andersson (siehe WOZ Nr. 3/2015 ), und gerade hat er die zweite Staffel von «Güsel» abgedreht. Vetter lebt in Winterthur.