Die Energiewende in den USA: Man muss nicht an den Klimawandel glauben, um davon zu profitieren
In den USA treten Umweltvorschriften in Kraft, die für viele Kohlekraftwerke das Aus bedeuten. Während der Kongress die Energiewende blockiert, verändert sich in einzelnen Bundesstaaten erstaunlich viel. Glück und Gefahr zugleich ist das billige Gas aus dem umstrittenen Fracking.
Fast 5000 Windrotoren bedecken mittlerweile den Tehachapi-Pass, eine Anhöhe rund eine Autostunde nördlich von Los Angeles. Hier wächst der grösste Windpark der Welt in den Himmel. Jedes Windrad produziert fünfzigmal mehr Strom als einer der Rotoren, die man hier vor dreissig Jahren schon aufgestellt hatte. Bei voller Leistung wird künftig vom Tehachapi-Pass so viel Strom in den Ballungsraum Los Angeles fliessen wie aus fünf Atomkraftwerken. In der staubigen Halbwüste voller stacheliger Josuabäume und Büsche grast eine Herde wilder Mustangs unter den wischenden Schatten der Rotoren; über den Kiesweg windet sich eine Schlange, eine Wüstenmaus flitzt unter einen Busch.
Regelwerk mit 1700 Seiten
2000 Kilometer weiter östlich ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen schon länger ein grosses Geschäft. Blau schimmert der Solarpark Webberville bei Austin, der grünen Strom für die texanische Hauptstadt liefert. Und das ausgerechnet im Energiestaat Texas, der jeden Tag für 150 Millionen Dollar Öl und Gas aus dem Boden presst. Mehr noch: Austin will bis 2050 die Treibhausgase auf null reduzieren und fördert Elektroautos. In ganz Texas wird mit vierzehn Gigawatt so viel Strom aus Windkraft produziert wie nirgends sonst in den USA. Und auch immer mehr Solaranlagen werden gebaut. «Wir machen das besser als Kalifornien, weil wir damit eine Menge Geld verdienen», sagt grinsend Kip Averitt und kaut auf den Eiswürfeln herum, die gerade noch in seinem Wasserglas schwammen. Der Republikaner leitet die Texas Clean Energy Coalition, eine Lobbyorganisation für Gasgewinnung, Wind- und Solarstrom und die Förderung von Energieeffizienz.
Wer in Kalifornien oder Texas unterwegs ist, merkt: Die Energiewende ist in den USA in vollem Gang. Allerdings anders als in Europa. In den USA zählen primär technischer Fortschritt, Profite und mehr Energieunabhängigkeit vom Ausland. «Klimawandel» aber ist immer noch ein Wort, das Konservative die Wände hochtreibt. Selbst Lobbyist Averitt ist nicht überzeugt, dass der Klimawandel gefährlich ist. Für ihn bieten die erneuerbaren Energien eine einmalige Chance, Geld zu verdienen. Nur gut, wenn dann noch die US-Regierung daran arbeitet, der dreckigen Kohleenergie neue, massive Auflagen zu machen. Was ihn höchstens stört, ist der bürokratische Aufwand: «Die neuen Regeln sind 1700 Seiten lang. 1700 Seiten! Ich hätte das auf drei Seiten schreiben können!»
In Washington, 2500 Kilometer weiter nordöstlich, arbeitet eine junge Frau fleissig an diesen 1700 Seiten mit. Sie ist sehr vorsichtig: ein kurzes Treffen für einen schnellen Cappuccino in einem Starbucks-Café zwischen Weissem Haus und Aussenministerium, keine Namen, keine offiziellen Statements. Sie plant massgeblich eines der heikelsten Projekte der Regierung: den Clean Power Plan der Umweltbehörde Epa, der gerade die Energiewirtschaft des Landes umkrempelt. Mit den verschärften Regeln müssen viele alte Kohlekraftwerke stillgelegt werden, und neue werden kaum mehr gebaut. Diesen Monat will die Epa die endgültigen Vorschriften veröffentlichen und bereitet sich schon auf den Widerstand der Energiekonzerne und vieler ParlamentarierInnen im Kongress vor. Aber die Augen der jungen Frau strahlen: «Wir verankern diese neuen Anforderungen so tief in den Regeln der Behörden, dass es kein Zurück mehr gibt. Auch nicht mit dem nächsten Präsidenten.»
Erstaunlich: Während in Europa UmweltschützerInnen einen harten Kampf gegen den Klimakiller Kohle führen und damit etwa in Deutschland immer wieder auflaufen, machen die USA jetzt wirklich Ernst mit dem Ausstieg aus den Kohlekraftwerken. Aber wieso auch nicht? Denn in den Vereinigten Staaten entstehen ja nicht nur neue Wind- und Solarparks, sondern das Land verfügt auch über riesige Erdgasvorkommen, die aufgrund der immer ausgefeilteren Fracking-Methode inzwischen günstig aus dem Boden gepresst werden können.
Gasboom dank Beharrlichkeit
Das mit der umstrittenen Fracking-Methode gewonnene billige Gas verschafft den USA die Möglichkeit, auf die heimische Kohlekraft mittelfristig zu verzichten. Mindestens vordergründig ist die Stromproduktion mit Gas viel sauberer als mit Kohle. Und inzwischen auch billiger. «Ein Geschenk Gottes» nennen ÖkonomInnen den Boom. Auch wenn derzeit wegen der fallenden Energiepreise Tausende von Jobs gestrichen wurden und viele neue Bohrungen sich nicht mehr lohnen: «Der Boom wird anhalten», sagt Kenneth Medlock, Professor für Energiepolitik an der Rice University in Houston: «Die Technik wird ja immer besser. Bisher nutzen wir nur fünf Prozent der Vorkommen, da ist noch viel Platz für Innovation.»
Der Schiefergasboom ist eine sehr amerikanische Erfolgsgeschichte: Siebzehn Jahre lang bohrte und bohrte der texanische Ölunternehmer George Mitchell an den Lagerstätten herum, riskierte sein Vermögen und seinen Ruf, ehe er endlich das Fracking erfolgreich machte. Später verkaufte Mitchell seine Firma für 3,5 Milliarden Dollar und widmete sich seitdem nur noch seinem Hobby: dem Umweltschutz. Eine von ihm eingerichtete Stiftung in Houston ist heute einer der grössten Geldgeber für nachhaltige Projekte und für eine «saubere Energiezukunft» – zu der natürlich gefracktes Gas als «Brückentechnologie» ins Zeitalter der Erneuerbaren gehören soll.
Proteste gegen das Fracking
Es gibt allerdings auch ein dreckige Seite dieses Booms. Die AnwohnerInnen der North Bonnie Brae Street in der Kleinstadt Denton, eine Stunde nördlich von Dallas, haben sie erlebt. «Als hier gefrackt wurde, stand hier ein zwanzig Meter hoher Bohrturm mit einer riesigen Gasfackel, die Trucks fuhren zu allen Zeiten durch die Nachbarschaft, überall Lärm, stinkendes Gas und Lichter mitten in der Nacht, der Boden bebte. Wer das erlebt, wird es nie im Leben vergessen», sagt Cathy McCullen. Die Krankenschwester wehrte sich gemeinsam mit Gleichgesinnten und erreichte ein kleines Wunder: Im November 2014 verbot Denton als erste US-Stadt mit einer Volksabstimmung das Fracking im Stadtgebiet. Rückblickend regt sich McCullen besonders über die Arroganz der Gasfirmen auf: «Wenn wir uns beschwerten, sagten sie nur: Bleiben Sie für diese Zeit einfach im Haus», empört sich McCullen. «Wir sind nicht gegen das Fracking, aber doch nicht in unseren Vorgärten.»
Doch genau dort soll es weitergehen. Die Industrie klagte, und das texanische Parlament hat ein Gesetz beschlossen, dass eine der heiligsten Kühe der stolzen TexanerInnen schlachtet: «Homerule», die Selbstverwaltung von Städten über 5000 EinwohnerInnen. Ende Mai hat Gouverneur Greg Abbott dieses Gesetz, House Bill 40, unterzeichnet. Damit wird den texanischen Städten das Recht genommen, sich gegen die Gasindustrie zu wehren. Fracking statt Freiheit: Gasland hat seine eigenen Gesetze.
Parlament blockiert
Zurück nach Washington. Wie schnell ist eine Abkehr der USA von der Kohlekraft zu erwarten? John Cocquyt, Energieexperte des mächtigsten US-Umweltverbands Sierra Club, macht da eine klare Ansage: «Schon jetzt steht ein Viertel aller Kohlekraftwerke vor der Schliessung», sagt er. Noch bevor die Epa-Regeln in Kraft treten, machen neue Umweltauflagen bezüglich Feinstaubemissionen den BetreiberInnen von Kohlekraftwerken das Leben schwer. Für viele lohnen sich die nötigen Umrüstungen nicht mehr. Kommen noch die neuen Epa-Regeln dazu, werden in zehn Jahren sogar die Hälfte aller Kohlekraftwerke ausser Betrieb sein.
Cocquyts Büro liegt im Osten der Hauptstadt, zehn Minuten Fussweg zu den Büros der Abgeordneten. Aber der Weg dorthin auf den Hügel ist für einen Umweltschützer nicht wirklich erfreulich. Das macht ein Besuch im Büro von Lisa Murkowski klar. Die Senatorin aus Alaska ist Vorsitzende des einflussreichen Energieausschusses, sieht den Klimawandel durchaus als Problem, sagt jedoch: «Wir müssen an unsere Wähler denken. Ich werde für nichts stimmen, was Energie in Alaska teurer macht.»
Der US-Kongress ist in Sachen Klimaschutz der grosse Bremser. Kompromisse mit Präsident Barack Obama werden keine mehr abgeschlossen. US-weite Quoten für erneuerbare Energien scheitern genauso am Parlament wie ein bundesweiter Emissionshandel. Auch die Unterzeichnung eines Klimaabkommens ist bisher verhindert worden. Deshalb will Obama nun ein solches in Paris ohne parlamentarische Zustimmung abschliessen – als sogenanntes Executive Agreement.
Derweil wird der Energiewandel von der Umweltbehörde Epa vorangetrieben. Und zwar nicht nur durch strengere Auflagen gegenüber den Kohlekraftwerken. Mit einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2007 im Rücken und mit Verweis auf ein Gesetz zur sauberen Luft aus dem Jahr 1970 hat sie den fünfzig US-Staaten inzwischen klargemacht: Sie müssen ihre CO2-Emissionen reduzieren, egal wie: durch mehr Wind und Sonne, durch Emissionshandel oder durch die Stilllegung von Kohlekraftwerken. Manche Gouverneure schäumen vor Wut, aber die Epa-BürokratInnen haben ihre Argumente kunstvoll in die Maschinerie von Gesetzen und Verordnungen eingefügt.
Noch warten viele Staaten besonders mit der Förderung von erneuerbaren Energien und hoffen aufs Fracking. Das zeigt sich auf einer grossen bunten Karte der USA, die in San Francisco im Büro von Curtis Seymour hängt. Seymour ist Programmdirektor der Energy Foundation, einer unabhängigen Stiftung, die für die Energiewende in den USA eintritt: Hier sind blau und rot die Staaten markiert, die sich gegen den Siegeszug der Erneuerbaren wehren. Es sind so viele, vor allem im Osten und Süden der USA, dass Seymour nicht möchte, dass die Karte fotografiert wird. Während die Kohlekraftwerke verschwinden, ist nun für ihn der Kampf um die Zukunftsmärkte voll entbrannt: Gas oder Erneuerbare?
Erst einmal spricht alles fürs Gas: billig, bekannt, relativ sauber und in bestehenden Kraftwerken zu verfeuern. «Sicher werden viele Staaten diesen Weg gehen», glaubt Curtis Seymour. «Aber wir fragen die Staaten: Wie lange wird das Gas billig bleiben? Und ausserdem: Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir bis 2050 den Strom praktisch ohne fossile Brennstoffe erzeugen.» Umso drängender ist der Ausbau der Erneuerbaren: Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown hat gerade das Ziel ausgegeben, bis 2030 die Hälfte des Stroms grün zu erzeugen – der Windpark am Tehachapi-Pass ist ein Schritt dazu.
Aber auch Texas macht grosse Fortschritte und andere Staaten wie New York, Hawaii und Minnesota. Befeuert wird der Boom von billigen Anlagen, von Quotenregeln der einzelnen Staaten und von Steuerhilfen der Bundesregierung. Allerdings müssen diese vom US-Kongress bewilligt werden – was sie unzuverlässig macht.
Seit vier Jahren kaum Regen
Ob die Energiewende, wie sie jetzt in den USA vor sich geht, wirklich einen substanziellen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels leistet, ist also noch völlig offen. Denn der Umstieg von Kohle auf Gas bringt nicht unbedingt eine Reduzierung der Klimaschädigung. Zwar setzt die Verbrennung von Erdgas wesentlich weniger CO2 frei als die Verbrennung von Kohle. Doch wenn durch lecke Gaspipelines Methan austritt, hat dies einen rund zwanzigmal so schädlichen Effekt wie bei CO2. Ob es den USA gelingt, den Zustand ihrer Gaspipelines markant zu verbessern, darüber streiten die ExpertInnen.
Und schon jetzt ist klar, dass alles viel zu langsam geht: Nach Zahlen der Unternehmensberatung PWC müsste die Energiewende in den USA (wie auch in vielen anderen Staaten) mindestens zwei- bis dreimal so schnell gehen, um eine Erwärmung des Weltklimas um über zwei Grad Celsius zu verhindern. Manche WissenschaftlerInnen halten die jahrelange Dürre im Südwesten der USA für ein Zeichen dafür, dass das nicht gelingt.
Eric Westerlund jedenfalls blickt mit Sorge aus den hohen Fenstern des Besucherzentrums im Yosemite-Nationalpark, vier Autostunden östlich von San Francisco gelegen. Der Ranger mit den blonden Locken und der Hornbrille wird sehr ernst, wenn man ihn auf die Zukunft in Kalifornien anspricht. «Seit vier Jahren haben wir praktisch keinen Regen im Park», sagt er. «Auf den Bergen liegen zwei Prozent der üblichen Schneedecke. Jetzt im Frühjahr sollte Schneeschmelze sein, aber die Hälfte der Flüsse ist trocken. Unsere Bäume sterben.»
Der deutsche Journalist Bernhard Pötter hat mehrere Bücher zur Energie- und Klimapolitik verfasst. Seine jüngste Buchpublikation, zusammen mit Hannes Koch und Peter Unfried: «Stromwechel. Wie Bürger und Konzerne um die Energiewende kämpfen», Westend Verlag, Frankfurt am Main 2012, (vergriffen).
Die neuen Spielverderber
Lange hatten die USA in der Energie- und Klimapolitik mit Recht den Schwarzen Peter in der Hand: Der CO2-Ausstoss pro Kopf ist weitaus höher als in den meisten anderen Ländern, und das Klimaschutzabkommen von Kioto wurde nicht ratifiziert. Aber die Bilanz bessert sich: Seit 2005 sind die Klimaemissionen um fast zehn Prozent gesunken (sie liegen allerdings immer noch acht Prozent über denen von 1990); das Land ist nach China der weltweit zweitgrösste Markt für erneuerbare Energien; der Spritverbrauch von Autos nähert sich dem EU-Schnitt. Und mit neuen Vorschriften zu Kohlekraftwerken gehen die USA viel weiter als etwa Deutschland.
Bei den Uno-Klimaverhandlungen, die im Dezember in Paris in ein neues Abkommen münden sollen, hat Washington seine Rolle als Spielverderber an Kanada und Australien weitergegeben.
Atomenergie: Kein Ausstieg
Was die Anzahl der Atomreaktoren angeht, sind die USA weltweit Spitzenreiter: Gegenwärtig sind 61 Kraftwerke mit insgesamt 99 Reaktoren in Betrieb, sie produzieren neunzehn Prozent des amerikanischen Stroms. Trotz Frackingboom und Investitionen in erneuerbare Energien scheint die US-Regierung auch weiterhin an die Zukunft des Nuklearstroms zu glauben. Erstmals seit dem schweren Atomunglück in Harrisburg vor dreissig Jahren hat die nukleare Aufsichtsbehörde 2012 den Bau von zwei neuen Reaktorblöcken genehmigt.
Aktuell befinden sich insgesamt fünf Atomreaktoren im Bau, zwei weitere sind geplant.