Freihandel: Abkommen, die Afrika seiner Chancen berauben

Nr. 26 –

Während in Europa lautstark Kritik am europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP geübt wird, werden afrikanische Länder von der EU zur Öffnung ihrer Märkte gedrängt. Die Folgen sind dramatisch.

Zwei Wochen vor seiner Ablösung am 1. November 2014 nahm der scheidende EU-Handelskommissar Karel de Gucht den Mund noch einmal richtig voll. «Die ostafrikanische Gemeinschaft zeichnet sich durch ihre Dynamik und ihre Ambition zur gemeinsamen Entwicklung aus», so der belgische Liberale. «Die umfassenden Partnerschaftsabkommen, die wir jetzt beschlossen haben, sind der beste Weg, die ostafrikanische Gemeinschaft bei ihrem Streben zu unterstützen.» Da hatte sich die EU gerade mit Kenia, Tansania, Uganda, Burundi und Ruanda auf ein Freihandelsabkommen geeinigt: die Economic Partnership Agreements, kurz EPA (vgl. «Verhandlungen seit 2004» im Anschluss an diesen Text). Vor allem Kenia, die wirtschaftsstärkste der fünf Nationen, hatte bis zuletzt geblockt. Erst als die EU Kenia den bis dahin gewährten zollfreien Zugang für Blumen und Bohnen strich, knickte die Regierung ein: Zu gross war der Druck der mächtigen Exportbetriebe, zu gross waren die Steuerverluste. Von Erpressung war die Rede.

Europäische Pouletteile

In Afrika profitieren vom Abschluss der EPA vor allem etablierte Exportbranchen wie die Blumenindustrie. Pünktlich zu Weihnachten wurden die europäischen Strafzölle aufgehoben; seitdem werden kenianische Blumen wieder steuerfrei nach Europa geflogen. «Ein Stossseufzer der Erleichterung», freute sich der Branchenverband Kenya Flower Council.

Einige Betriebe haben sich aber bis heute nicht erholt, während anderen Branchen das Leid noch bevorsteht. Denn die EPA sehen vor, dass Kenia künftig nur noch ein Fünftel seiner im- und exportierten Waren kontrollieren darf. Für die restlichen achtzig Prozent gilt Warenverkehrsfreiheit – in beide Richtungen. «Wenn sich die EU entscheidet, besonders billige Produkte auf den kenianischen Markt zu werfen, hätte Kenia keine Möglichkeit mehr zu reagieren», warnt Francisco Marí, Handelsexperte bei Brot für die Welt in Berlin.

Beispiele gibt es genug, etwa das der europäischen Pouletteile, das Marí schon vor Jahren untersucht hat. Während in Europa vorwiegend Pouletbrust auf den Markt kommt, wird der Rest des Tieres zu Dumpingpreisen nach Westafrika exportiert. Weil die subventionierten EU-Poulets nicht einmal halb so teuer sind wie die lokalen, gingen etwa in Kamerun reihenweise KleinbäuerInnen pleite. Einige von ihnen hatten ihre Zuchten zuvor mit EU-Entwicklungshilfe aufgebaut. Kamerun wehrte sich mit Strafzöllen – eine Option, die ein Land unter den EPA nicht mehr hätte.

Beschnittene Entwicklungswerkzeuge

Wie bedeutend Zölle für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas insgesamt sind, weiss der Ghanaer Sylvester Bagooro von der entwicklungspolitischen Organisation Third World Network. «Importzölle sind ein Mittel, mit dem die einheimische Industrie gefördert wird. Sie wird so konkurrenzfähig gegenüber billigeren Importprodukten, die durch die Zölle verteuert werden.» Nur so könne sich überhaupt eine Industrie in Afrika entwickeln. Unter den EPA ist aber auch ein zweites Regulierungsinstrument verboten: die Ausfuhrsteuern. «Mit Exportsteuern macht eine Regierung lokale Rohstoffe der eigenen Industrie zugänglich», so Bagooro. Ohne sie flössen Rohstoffe an besser zahlende Konzerne im Ausland. Wenn die einheimische Industrie erst einmal pleite gegangen sei, könnten ausländische Konzerne ihre Monopolposition ausnutzen und die Preise drücken. In Afrika passiere das immer wieder.

«Ohne Industrialisierung kann Afrika wirtschaftlich nicht anhaltend wachsen», sagt auch Richard Kozul-Wright, Direktor der Globalisierungsabteilung bei der Uno-Konferenz für Handel und Entwicklung in Genf. «Unsere Sorge ist, dass die dafür nötigen Werkzeuge bei diesen neuen Handelsabkommen beschnitten werden.» Und noch eine Sorge hat Kozul-Wright: «Ich fürchte, dass der politische Handlungsspielraum eingeschränkt wird.» In regionalen Freihandelsabkommen wie den EPA oder der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) gehe es im Kern gar nicht mehr um den Handel mit Gütern. «Diese Abkommen werden genutzt, um Finanzdienstleistungen oder Rechte an geistigem Eigentum zu verhandeln.» Ratifizieren die afrikanischen Staaten die EPA, müssen sie ein halbes Jahr später mit der EU über die Liberalisierung zahlreicher weiterer in den EPA nicht abgedeckter Sektoren verhandeln. Die Liberalisierung staatlicher Ausschreibungen beispielsweise dürfte viele afrikanische Unternehmen, die von Aufträgen der eigenen Regierung leben, empfindlich treffen. Denn gegen die europäische Konkurrenz sind sie meist chancenlos.

Auch kurzfristig werden die Auswirkungen der EPA zu spüren sein, vor allem durch verlorene Zolleinnahmen. Alleine in Ghana sind das nach Schätzungen des entwicklungspolitischen Thinktanks South Centre 275 Millionen Franken, in ganz Westafrika 1,65 Milliarden Franken pro Jahr. Als Ausgleich hat die EU Projektmittel in Höhe von mehr als 8 Milliarden Franken über fünf Jahre angekündigt. «Aber das ist kein frisches Geld, sondern ohnehin eingeplantes Geld aus dem Europäischen Entwicklungsfonds», weiss Francisco Marí. Bei solchen Aussichten wundert es nicht, dass viele afrikanische Parlamente zögern, die ausgehandelten EPA zu ratifizieren.

Alternative vom Kap bis Kairo

Dass sich die Afrikanische Union Anfang Juni auf die Bildung einer afrikanischen Freihandelszone geeinigt hat, die vom Kap bis Kairo reicht und in der 625 Millionen Menschen leben, gibt den SkeptikerInnen Aufwind. «Das wäre eine echte Alternative», glaubt auch Marí. «Zumal bei diesem Abkommen auch viele Nicht-EPA-Staaten dabei sind.» Sambia etwa, Äthiopien, Kongo-Kinshasa, der Tschad oder Sudan haben bislang Verhandlungen über die EPA verweigert – ohne Nachteile. Denn 43 der 53 afrikanischen Staaten gehören ohnehin zu den unterentwickeltsten und geniessen deshalb in Europa bereits die gleichen Zollprivilegien wie später die EPA-Staaten – ohne selber die Grenzen öffnen zu müssen. Angebliche Drohungen der EU, bei der Verweigerung der Ratifikation erneut Strafzölle zu erheben, würden vor allem die Wirtschaftslokomotiven Afrikas treffen – unter ihnen Staaten wie Ghana oder Kenia. Das von de Gucht beschworene «Streben» Afrikas würde auf diese Weise nicht unterstützt, sondern im Keim erstickt.

Marc Engelhardt lebte lange in Nairobi und berichtet seit 2010 aus Genf über die Uno und andere internationale Organisationen.

Verhandlungen seit 2004

Über die Economic Partnership Agreements (EPA) verhandeln die EU und 79 Länder Afrikas, der Karibik und des südlichen Pazifik seit 2004 in verschiedenen Regionalgruppen. Für Afrika gibt es bislang drei getrennte Abkommen für West-, Ost- und Südafrika. Jeder Staat muss dem ihn betreffenden Abkommen zustimmen. Ziel der Abkommen ist es, Marktzugänge, die bisher nur für den Import von Produkten aus den ärmsten Ländern reserviert waren, künftig für alle Länder in beide Richtungen festzuschreiben.

Das Europäische Parlament muss die EPA ratifizieren. Umstritten ist, ob auch in Europa die nationalen Parlamente zustimmen müssen, wie es GlobalisierungskritikerInnen fordern. Rechtskräftig werden die EPA erst, wenn sie von beiden Seiten ratifiziert sind. Die EU hat dafür bislang eine Frist bis Ende 2016 gesetzt.