Die TTIP und die Folgen: Geheimverhandlungen werden allmählich öffentlich
Angleichung von Standards und «Investorenschutz»: Die «Kompromisse» zwischen EU und USA sollen vor allem den Unternehmen dienen.
Seit 2012 wird auf verschiedenen Ebenen über neue regionale oder multilaterale Abkommen zur weiteren Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen verhandelt. Dies geschieht ausserhalb der mit inzwischen 160 Mitgliedstaaten annähernd globalen Welthandelsorganisation (WTO), die seit 2001 blockiert ist. Die USA verhandeln mit der EU über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), manchmal auch als Transatlantische Freihandelszone (Tafta) bezeichnet. Entsprechende Gespräche führt Washington auch mit einer Reihe pazifischer und asiatischer Staaten. Bereits fertig ausgehandelt, aber noch nicht ratifiziert ist ein Abkommen über eine Freihandelszone zwischen der EU und Kanada (Ceta). Und in Genf sprechen auf Initiative der EU, der USA und Australiens fünfzig Staaten – darunter die Schweiz – über einen Vertrag zur weiteren Deregulierung des Handels mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, Tisa).
Ähnlich wie frühere werden auch die aktuellen Verhandlungen von den Regierungen und der EU-Kommission unter weitgehendem Ausschluss der nationalen Parlamente, des EU-Parlaments und der demokratischen Öffentlichkeit betrieben. Wirtschaftsunternehmen und ihre Lobbyverbände, die an der Deregulierung regionaler oder globaler Märkte Interesse haben, nehmen einen erheblichen und demokratisch nicht kontrollierten Einfluss auf die Verhandlungen.
Dennoch ist inzwischen vor allem das geplante Abkommen TTIP zwischen den USA und der EU in die öffentliche Kritik geraten. Am breitesten und stärksten ist der Widerstand bislang in Deutschland, der ökonomischen und häufig auch politischen Führungsmacht der EU. Weitgehend unbestritten ist das Vorhaben, die Einfuhrzölle für Waren, die bereits unter fünf Prozent liegen, noch weiter abzusenken.
Angleichung als Senkung
Auf wachsende Kritik stösst jedoch das erklärte Ziel, regulatorische Normen im Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz sowie von Arbeits- und Sozialstandards anzugleichen. Diese Normen und Standards sind in der EU zumeist höher als in den USA. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Zulassungsbedingungen für neue Medikamente oder einzelstaatliche Regulierungen in den USA, wie die Umweltnormen für Autos in Kalifornien.
Bei einer solchen Angleichung als Ergebnis eines Verhandlungsprozesses käme es mit Sicherheit zu einer Absenkung der heutigen EU-Normen und -Standards. Dafür wäre aber keineswegs allein oder auch nur hauptsächlich die US-Seite verantwortlich, wie manche TTIP-KritikerInnen unterstellen. Denn die europäischen Unternehmen und ihre Lobbyverbände, die Interesse an einem Freihandelsabkommen mit den USA haben, machen bei der EU-Kommission in Brüssel sowie in den nationalen Hauptstädten massiv Druck für die «erforderlichen Kompromisse» mit den USA.
RichterInnen in eigener Sache
Die Sorge vor einem Abbau und einer Aushebelung der bislang in der EU gültigen Normen und Standards wird massiv verstärkt angesichts des Ziels des TTIP-Abkommens, Wirtschaftsunternehmen weitgehende Klagerechte gegen Gesetze und regulatorische Massnahmen von Regierungen oder kommunalen Behörden einzuräumen. Nach den derzeit vorliegenden Textentwürfen sollen Unternehmen und InvestorInnen immer dann auf finanzielle Entschädigung klagen können, wenn sie ihre «legitimen Gewinnerwartungen» durch neue Regulierungen «gefährdet» sehen. Diese Bestimmungen zum «Investorenschutz» könnten dazu führen, dass vor allem schwache und wirtschaftlich erpressbare Staaten von vornherein auf einen verbesserten Umwelt-, VerbraucherInnen- oder Gesundheitsschutz verzichten.
Ursprünglich war vorgesehen, dass Unternehmen ihre Klagen bei den seit den sechziger Jahren bei der Weltbank in Washington angesiedelten Schiedsgerichten (ICSID) einreichen können. Deren «RichterInnen» werden im Wesentlichen von acht auf derartige Verfahren spezialisierten britischen und US-amerikanischen Anwaltskanzleien gestellt, die damit exorbitante Summen verdienen. Um dem wachsenden Protest die Spitze zu nehmen, haben EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel inzwischen vorgeschlagen, dass die Unternehmen ihre Investorenschutzklagen «auch» vor ordentlichen Gerichten in den EU-Mitgliedländern einreichen können.
Doch damit wird die Skepsis gegenüber der TTIP und dem weitgehend identischen Ceta kaum geringer werden. Zumal der Bundesverband der deutschen Industrie und die von der Metallindustrie finanzierte neoliberale Lobbyvereinigung «Neue Soziale Marktwirtschaft» im März öffentlich zugeben mussten, dass sie in ihrer Propaganda für ein TTIP-Abkommen das zu erwartende Wirtschaftswachstum und den Zugewinn von Arbeitsplätzen um mehr als das Zehnfache übertrieben hatten.