Kost und Logis: Saison? Wie meinen?

Nr. 27 –

Bettina Dyttrich wartet gern aufs Sommergemüse

«Das ist aber nicht Saison!», knurre ich immer wieder mal, wenn R. schon Anfang Mai mit Gurken oder Fenchel aus dem Bioladen heimkommt. «Aber es ist aus der Schweiz!», verteidigt er sich, und wenn man dem Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) glaubt, hat er völlig recht: Gurken sind ab April Saison! Saison finden alle gut: Saisonküche, Saisonjoghurt, und in jeder zweiten Küche hängt eine Saisontabelle, die zeigen soll, was wann reif ist.

Aber was heisst eigentlich Saison? In der Schweiz gewachsen, egal unter welchen Umständen? Nach dem VSGP schon. Auf seiner Saisontabelle sind Schweizer Tomaten schon im April reif. Das geht – in Hors-sol-Anlagen, die den ganzen Winter kräftig geheizt werden. Auszurechnen, wie viel Energie-Input es braucht für das bisschen Nahrungsenergie, das in der Tomate steckt, kann schwindlig machen.

Wer wirklich ökologisch essen will, kommt nicht darum herum, Saison anders zu definieren: Gemüse aus Freilandanbau oder ungeheizten Gewächshäusern. Das empfiehlt auch der WWF Schweiz. Nach dieser Definition einzukaufen, ist allerdings nicht ganz einfach – weder beim Grossverteiler noch im Bioladen oder auf dem Markt ist der Unterschied deklariert.

Und die Saisontabelle des WWF hilft auch nicht viel weiter: Viele Angaben darauf sind unrealistisch. Der WWF empfiehlt Kohlrabi ab Mitte April, Broccoli im Mai und Auberginen im Juni. Das geht höchstens in einem sehr günstigen Jahr an wärmster Lage, zum Beispiel in Basel oder Genf. Realistischer Erntebeginn in einem ungeheizten Biogewächshaus im Durchschnittsschweizer Klima ist bei all diesen Gemüsen einen Monat später.

Der Schweizer Bioverband Bio Suisse schränkt das Heizen von Gewächshäusern ein. Vereinfacht gesagt, dürfen gut isolierte Häuser zwischen November und März auf zehn Grad, schlecht isolierte auf fünf Grad erwärmt werden. Im Frühling darf man allerdings stärker heizen, und bei den Setzlingen gibt es in gut isolierten Gewächshäusern gar kein Limit.

Sich deshalb enttäuscht von Bio abzuwenden, bringt nichts: Im konventionellen Gemüseanbau sieht die Energiebilanz noch viel schlechter aus. Und wenn nicht so viele KonsumentInnen auf Tomaten, Peperoni und Broccoli fixiert wären, könnten sich die GemüseproduzentInnen einen grossen Teil des Heizens sparen.

Im Frühling und Frühsommer könnte man auch mit Wildkräutern experimentieren. Oder herausfinden, was sich mit Krautstiel, Zwiebeln und Spinat alles machen lässt. Warum nicht einfach warten, bis das Gemüse wirklich reif ist, von der Sonne, nicht von der Heizung? Freiwillig warten – das klingt immer so asketisch, nach Verzicht und Selbstbestrafung. Dabei ist es das Gegenteil.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin. 
Eine realistische Saisontabelle 
hat der Westschweizer Verband für 
regionale Vertragslandwirtschaft (FRACP) 
herausgegeben: http://www.cocagne.ch/c5/images/stories/legumes/bulletin_n1fracp.pdf (PDF-Datei).