Ägypten: Fort mit der jüngsten Geschichte
Präsident al-Sisi versprach dem ägyptischen Volk eine zügige Erholung der Wirtschaft und ein Ende des islamistischen Terrors. Beides ist ausgeblieben. Nun weicht er auf Symbolpolitik aus.
Mit einer pompösen Zeremonie in Ismailia östlich von Kairo feierte Ägypten am 6. August die fristgerechte Fertigstellung des neuen Suezkanals. Die Bauzeit des Megaprojekts, das eine 35 Kilometer lange zweite Fahrrinne und die Erweiterung des alten Kanals umfasste, betrug weniger als ein Jahr. Die autoritäre Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi hofft, bis 2023 die Einnahmen durch Kanalgebühren von derzeit 5,3 Milliarden auf 13,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigern zu können. Doch BeobachterInnen bezweifeln die optimistischen Erwartungen des Regimes.
Der Chef der Suez Canal Authority, Mohab Mamisch, betitelt das Projekt als «Ägyptens Geschenk an die Welt» – der Nachrichtendienstleister Bloomberg hingegen als «Kanal, den die Welt vielleicht nicht braucht». Zweifellos ist sich das Regime bewusst, dass seine veröffentlichten Prognosen zur Wirtschaftlichkeit des Projekts unrealistisch sind. Dennoch setzte es auf eine zügige Umsetzung des volkswirtschaftlich umstrittenen Kanalausbaus. Und das aus gutem Grund: Schliesslich geht es al-Sisi hier weniger um die Rettung der am Boden liegenden Wirtschaft des Landes, sondern um Symbolpolitik, um von politischem Versagen abzulenken.
Barakat statt Rabaa
Schon seit dem Militärputsch und der Entmachtung von Expräsident Muhammad Mursi im Juli 2013 ist die wieder an den Hebeln der Macht sitzende Armee bemüht, eigene Errungenschaften hervorzuheben. Die Regierung sei unter enormem Druck, endlich Erfolge vorzuweisen, sagt der ägyptische Sozialwissenschaftler Amr Adly vom Carnegie Middle East Center: «Al-Sisi muss der Öffentlichkeit dringend beweisen, dass er in der Lage ist zu handeln.» Der Präsident versuche nun zu zeigen, dass er fähig sei, für die Bevölkerung nützliche Projekte auch wirklich umzusetzen – anders als die vom Militär gestürzten Muslimbrüder, aber auch anders als der 2011 entmachtete Expräsident Hosni Mubarak. «Das Regime will den Eindruck vermitteln, weniger korrupt, effektiver und technologisch fortschrittlicher als Mubarak zu sein», sagt Adly. Al-Sisi hatte dem Volk nach der Machtübernahme nichts weniger als eine zügige Erholung der Wirtschaft und ein Ende des islamistischen Terrors im Land versprochen. Beides blieb aus.
Um ihre Narrative zu verankern, deuten Armee und Staat Symbole der Revolte von 2011 und des Sturzes der Muslimbruderschaft von 2013 auf ihre Weise um. Im Juli verkündete die Regierung die Umbenennung des Kairoer Rabaaplatzes in Barakat-Platz. Generalstaatsanwalt Hischam Barakat war kurz zuvor bei einem Bombenanschlag getötet worden. Der Rabaaplatz ist für die Muslimbruderschaft ein Symbol für illegitime Staatsgewalt, wurde doch hier im August 2013 ein Protestlager der IslamistInnen mit roher Gewalt dem Erdboden gleichgemacht; rund tausend Menschen wurden dabei getötet. Barakat war derweil federführend bei der strafrechtlichen Verfolgung der IslamistInnen. Die Umbenennung soll den Platz zum Symbol für den Kampf des Regimes gegen die Bruderschaft machen.
Neue Fassaden, Ampeln, Trottoirs
Auch die Innenstadt von Kairo ist derzeit Schauplatz von Symbolpolitik. Sichtbarstes Zeichen dessen ist der Abriss des früheren Hauptsitzes der Nationaldemokratischen Partei (NDP), der Partei Mubaraks. Das Gebäude nahe des Tahrirplatzes brannte während der Revolution im Frühjahr 2011 aus und thront heute wie ein Mahnmal über dem Platz. Dieses Symbol soll weg.
Überhaupt treibt das ägyptische Regime derzeit die Gentrifizierung der Kairoer Innenstadt massiv voran, ist das Viertel doch symbolisch eng mit der Revolution von 2011 verbunden. Renovierte Hausfassaden am Tahrir, neue Trottoirs, neue Ampeln und die rigorose Vertreibung Tausender StrassenhändlerInnen, die nach 2011 die Strassen des Bezirks für ihre Geschäfte nutzten, sind nur ein paar der Initiativen der letzten Monate.
«Seit Jahrzehnten erlebt das Viertel einen Zuzug von Menschen aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten», sagt Stadtplaner Omar Nagati. «Sie haben nach und nach die grossbürgerlichen und kulturellen Eliten verdrängt, die wiederum seit den siebziger Jahren vermehrt in ‹besseren› Bezirken siedelten.» Dieser auch als «Degentrifizierung» bezeichnete Vorgang habe sich während der ersten Jahre nach der Revolution 2011 noch intensiviert. Die Staatsmacht versuche nun seit zwei Jahren, den öffentlichen Raum zurückzugewinnen, um ihre Ordnung wieder durchzusetzen. «Die Kairoer Innenstadt ist das Pilotprojekt dafür, auch weil das Viertel eine Art Hinterhof der Revolution ist, ein Symbol für den Aufstand gegen die herrschende Klasse», so Nagati. Die intensivierte Gentrifizierung der Innenstadt geht einher mit der Verfolgung linker und liberaler Oppositioneller, die das Viertel seit der Revolte als Bühne für politische Aktivitäten nutzten.
Doch sowohl Kairos Innenstadt als auch der Suezkanal und der Rabaaplatz sind nicht nur Symbole für die Versuche der Regierung, Erinnerungen an politische Ereignisse der letzten Jahre umzudeuten. Sie sind vielmehr auch Ausdruck einer politischen Klasse, die kurz nach der völligen Restauration ihrer Privilegien um ebendiese bereits wieder bangen muss. Schliesslich bleiben die Auslöser der Revolution – Perspektivlosigkeit, Armut, staatliche Repression – weiterhin bestehen. Sie bleiben auch weiterhin die Triebfedern für viele politisch Aktive in Ägypten.