Nestlé in Indien: Die Nudelschlacht

Nr. 34 –

Regierungschef Narendra Modi wollte bisher möglichst viele Grossunternehmen nach Indien holen. Nun legt er sich aber mit dem Nestlé-Konzern an.

Die Zweiminutennudeln von Maggi sind in Indien eine Institution. Sie sind zwar nicht unbedingt billiger als frisch zubereitete Gerichte von den mobilen Garküchen. Aber die Marke des schweizerischen Nahrungsmittelmultis Nestlé stand – anders als die Garküchen – jahrzehntelang für einwandfreie Qualität und Hygiene.

Geschockte InderInnen

Doch Anfang Juni wurden die neun Maggi-Nudelsorten in den gelben Paketen vom indischen Markt verbannt. Dies entschied die indische Nahrungsmittelsicherheitsbehörde, nachdem sie in Laboruntersuchungen teilweise einen zu hohen Bleigehalt festgestellt hatte. Die Produkte seien «gefährlich und unsicher für den menschlichen Verzehr», urteilte die Behörde in Delhi. Millionen InderInnen waren geschockt, die Institution Maggi geriet ins Wanken.

Immerhin, für die unerschütterlichen Maggi-Fans wie auch für Nestlé gibt es wieder Hoffnung: Letzten Donnerstag hat das Obergericht von Bombay die Produktsperre für ungültig erklärt. Die Entscheidung der Nahrungsmittelsicherheitsbehörde sei willkürlich gewesen und beruhe auf Tests in Labors, die von dieser Behörde gar nicht autorisiert seien. Doch bevor Nestlé die Fertignudeln in Indien wieder produzieren und vertreiben darf, muss das Unternehmen in den nächsten Wochen neue Tests über sich ergehen lassen. Die Nahrungsmittelsicherheitsbehörde hat noch nicht entschieden, ob sie das Urteil des Obergerichts an den Obersten Gerichtshof weiterzieht.

Gleichzeitig ist eine von der Zentralregierung eingereichte Sammelklage über eine Entschädigung von 6,4 Milliarden Rupien (95 Millionen Franken) hängig. Das quasijudikative nationale KonsumentInnenforum hat am Montag entschieden, dass Nestlé dreissig Tage Zeit eingeräumt wird, um auf die Vorwürfe aus Delhi zu reagieren. Grund der Sammelklage ist nicht nur der Gehalt an Blei in den Nudeln, sondern auch derjenige an Mononatriumglutamat. Auf den Maggi-Paketen wird damit geworben, dass dieser Geschmacksverstärker nicht zusätzlich beigefügt werde. Die Regierung wirft Nestlé in der Klageschrift «unfaire Handelspraktiken und trügerische Beschriftung» vor, obwohl auch sie nicht ausschliesst, dass es sich beim gefundenen Glutamat um natürlich vorkommendes handeln könnte.

Der forsche Angriff der Regierung auf Nestlé erstaunt viele. Denn Ministerpräsident Narendra Modi reiste bisher gerne in der Welt herum, um möglichst viele multinationale Konzerne nach Indien zu holen. Manche KonsumentInnen trauen seiner plötzlichen Sorge um die öffentliche Gesundheit nicht so recht. In den sozialen Medien ist eine oft sarkastische Debatte darüber entbrannt, was die Regierung mit den 6,4 Milliarden Rupien, die sie im Namen der KonsumentInnen von Nestlé einfordert, denn tun würde. «Wird das Geld an alle verteilt, die jemals Maggi gegessen haben?», fragen einige auf Twitter.

Seit dem Bombay-Urteil und neueren, für den Konzern positiven Testresultaten scheint die Empörung wieder abzuflauen. KommentatorInnen des Newsmagazins «Tehelka» erinnerten daran, dass die Gefahr durch Umweltgifte und die extreme Luftverschmutzung in Delhi von der Regierung mindestens so energisch angegangen werden müssten – und dass neunzig Prozent der Lebensmittel in Indien noch nie getestet worden seien.

«Warum zerstören Sie das Produkt?»

Vielleicht hat auch die PR-Offensive von Nestlé zu dem Meinungsumschwung beigetragen. Der Multi gab selbst Produkttests in Auftrag und kommunizierte die Resultate auf allen Kanälen.

Dass die meisten dieser Tests im Ausland ausgeführt und die Protokolle davon nicht den indischen Behörden übergeben wurden, stösst wiederum den ChefbeamtInnen in Delhi sauer auf. Ebenso, dass sich Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck als Opfer hinstellte und öffentlich klagte, die Behörden hätten Nestlé «gezwungen, 29 000 Tonnen Lebensmittel zu verbrennen». Der Chef der Nahrungsmittelsicherheitsbehörde erwiderte im «Indian Express»: «Wenn Ihr Produkt sicher ist, warum zerstören Sie es? Wir haben nur den Rückruf des Produkts angeordnet.»

Für den Multi, der in Indien über ein Viertel seines Umsatzes mit Maggi-Produkten macht, ist der Nudelkrieg ein riesiges Reputationsproblem. Erstmals seit fünfzehn Jahren fuhr Nestlé in Indien im letzten Quartal (das bis Ende Juni dauerte) einen Verlust ein: rund 9,6 Millionen Franken. Vor einem Jahr gab es noch einen Quartalsgewinn von über 40,7 Millionen Franken. Selbst wenn Maggi bald wieder auf den Markt kommt, muss Nestlé das Vertrauen der Millionen enttäuschten InderInnen zurückgewinnen.