Kommentar zur Rasa-Initiative: Mehr Konfrontation!
Die Rasa-Initiative lädt zum Kämpfen ein. Was gibt es für die Linke zu verlieren, wenn das Land sowieso schon in der Sackgasse steckt?
Selbst hier auf der WOZ-Redaktion gab man ihr nicht viel Kredit. Nach dem Ja zur «Masseneinwanderungsinitiative» sei jede Aktion willkommen, die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (Rasa) aber wohl chancenlos. Nun sieht alles etwas anders aus: Die InitiantInnen verkünden, sie hätten die 100 000-Unterschriften-Grenze nach nur acht Monaten bereits geknackt. Gut möglich also, dass das Stimmvolk bald noch einmal über den Zuwanderungsartikel befinden wird.
Rasa, mit der der Artikel zur «Masseneinwanderung» schlicht aus der Verfassung gestrichen werden soll, könnte tatsächlich der sauberste Weg aus der Sackgasse sein, in die sich die Schweiz am 9. Februar 2014 manövriert hat. Dazu aber müssten sich die Empörten von damals geschlossen an ihre Empörung erinnern.
Was hatten etwa die Zeitungen aufgeheult an diesem «schwarzen Tag» vor anderthalb Jahren. Nur um danach rasch wieder in gut schweizerisches Lamentieren zu verfallen. Die EU macht in Sachen Personenfreizügigkeit keinerlei Konzessionen. Sie ist noch nicht einmal zu Verhandlungen bereit. Dennoch füllen vermeintliche Vor- und Rückschritte, Taktiken und Mandatsernennungen die Zeitungsseiten. Die SVP hat damit ihr Ziel erreicht: Einmal mehr können sich die WutbürgerInnen über die harzige Umsetzung einer Initiative aufregen. Wieder einmal können sie darüber fluchen, dass ihre Stimme nichts mehr zählt in diesem Land. Dass im Bundesrat nur Schlufis sitzen, die sich nicht gegen die EU-BürokratInnen wehren. Und dass keine Partei etwas dagegen unternimmt, ausser der Volkspartei.
Auch der Bundesrat hat es versäumt, dem verwöhnten Volk nach der «Masseneinwanderungs»-Abstimmung reinen Wein einzuschenken. Das würde sich etwa so anhören: «Vielleicht haben wir vor der Abstimmung zu wenig klar kommuniziert. Denn wir rechneten mit etwas mehr Vernunft eurerseits. Deshalb noch mal ganz deutlich: Ihr könnt nicht beides haben, Wachstum und Abschottung, bilaterale Wirtschaftsvorteile, aber nicht die Menschen, die damit einhergehen. Rückwärts oder vorwärts – entscheidet euch.»
Auch der Bundesrat will eine erneute Abstimmung, aber er nimmt dabei keine klare Haltung ein. Nach Bekanntwerden des Rasa-Sammlungserfolgs betont Didier Burkhalter, der Bundesrat ziele weiterhin darauf, die Zuwanderung besser steuern zu können. Gleichzeitig wolle man den bilateralen Weg mit der EU für die nächsten Generationen sichern. Um beides zu erreichen, hofft die Schweizer Regierung noch immer auf Verhandlungsbereitschaft der EU und hat gleichzeitig eine Reform des Ausländergesetzes lanciert. Diese Strategie führt ganz offensichtlich nicht aus der Sackgasse heraus.
Da ist Rasa doch weit schnörkelloser – und logischer. Bei einem Erfolg könnte man den leidigen Zuwanderungsartikel einfach aus der Verfassung streichen. Der Bundesrat könnte sich zumindest bei einem Thema aus der Knechtschaft der SVP befreien, sich ein paar zwecklose Brüsselreisen ersparen und sich endlich wieder den wirklich relevanten Themen zuwenden.
Dennoch scheint vor Rasa auch die Linke Angst zu haben: Was, wenn eine neue Abstimmung ein noch klareres Resultat gegen die Personenfreizügigkeit bringen würde? Dieses Risiko besteht tatsächlich. Wer die Konfrontation sucht, kann auch verlieren. Doch viel steht nicht auf dem Spiel: Die EU will ohnehin keinen Kompromiss. Und ein paar Prozentpunkte machen das Desaster nicht grösser, als es ohnehin schon ist.
49,6 Prozent der WählerInnen haben die «Masseneinwanderungsinitiative» abgelehnt, und das, obwohl man sich beim letzten Abstimmungskampf auf der irrigen Annahme ausruhte, dass das SVP-Anliegen sowieso chancenlos sein werde. Warum also sollte es nach diesem Weckruf nicht möglich sein, das Resultat zu kippen? Brauchen allerdings würde es dazu eine starke, interessenübergreifende Allianz, und das scheint derzeit schwierig: Die bürgerlichen Parteien jenseits der SVP distanzieren sich bislang so geschlossen von den Rasa-InitiantInnen, wie sie einst die «Masseneinwanderungsinitiative» bekämpften. Kurz vor den Wahlen will sich offenbar niemand den antidemokratischen Stempel aufdrücken lassen. Vielleicht sieht das nach den Wahlen dann etwas anders aus.