Shells Finanzen : Schweizer Pensionsgelder befeuern den Klimawandel

Nr.  35 –

Milliarden von Franken aus verschiedenen Schweizer Pensionskassen fliessen in Öl-, Gas- und Kohleunternehmen, die am Klimawandel besondere Schuld tragen. Bei der Pensionskasse des Bundes wird über einen Ausstieg diskutiert, im rot-grünen Zürich will man nichts davon wissen.

Shell ist ein Konzern, der das Risiko liebt. Bereits sieben Milliarden US-Dollar hat der britisch-niederländische Ölmulti in sein Arktisprojekt gesteckt. Noch ist völlig unklar, ob sich das jemals auszahlt. Doch im Meeresuntergrund vor der Küste Alaskas vermuten GeologInnen Erdöl im Umfang von Dutzenden Milliarden Fass. Eine grosse Menge Öl für die Zeit, wenn die Vorräte anderswo versiegt sein werden.

Shell musste bei Probebohrungen bereits herbe Rückschläge einstecken. So lief das Bohrschiff Kulluk an Silvester 2012 während eines Sturms an der Küste Alaskas auf Grund. Weitere Bohrungen wurden danach zwischenzeitlich verboten. Die Gewässer in der Arktis sind stürmisch und meist über Monate vereist. UmweltschützerInnen demonstrieren seit Jahren gegen die Bohrpläne von Shell: einerseits, weil Ölbohrungen in der Arktis besonders gefährlich sind und bei einem Unfall grosse Gebiete mit Öl verschmutzt werden könnten; andererseits aber auch, weil es angesichts des Klimawandels unsinnig ist, neue grosse Ölquellen zu erschliessen. Vielmehr sollten Investitionen in die Förderung sauberer Energien fliessen. Doch vergangene Woche hat Shell von der US-Regierung grünes Licht erhalten, an zwei Stellen in der Tschuktschensee zu bohren.

Zürcher Pensionskasse bleibt dabei

Der Ölmulti kann nicht zuletzt auch deshalb weitermachen wie bisher, weil der Konzern an billiges Kapital kommt. In der Schweiz hat sich Shell letzte Woche besonders günstig eingedeckt: Der Konzern nahm 1,325 Milliarden Schweizer Franken auf dem schweizerischen Obligationenmarkt auf – zu derart tiefen Zinsen, wie er sie nie zuvor bezahlen musste: Gerade einmal 0,375 Prozent bekommen die Geldgeber für achtjährige Anleihen und 0,875 Prozent für dreizehnjährige. Was Shell mit dem vielen Geld anstellt, sagen die ManagerInnen nicht: «Kein Kommentar», heisst es lapidar von der Pressestelle in London.

Die Shell-Obligationen seien rasch vergriffen gewesen, heisst es aus Insiderkreisen. Denn bei den professionellen Anlegerinnen – etwa Pensionskassen, Versicherungen und Stiftungen – herrscht «Anlagenotstand», wie der Präsident der Pensionskasse der Stadt Zürich, Jorge Serra, sagt. Verzweifelt suchen diese Anlegerinnen nach Möglichkeiten, Kapital mit einigermassen guten Renditeaussichten zu investieren. Und weil gerade Pensionskassen aus Sicherheitsgründen möglichst unterschiedliche Anlagevehikel suchen und derzeit nur wenige neue Obligationen angeboten werden, kommt vielen von ihnen ein Shell-Investment gerade recht.

Einen Zusammenhang zwischen ihren Anlagen und dem Klimawandel sehen die meisten Investoren nicht. Bei der links-grün dominierten Pensionskasse der Stadt Zürich – ihr Präsident Jorge Serra ist Sozialdemokrat und VPOD-Zentralsekretär, Vizepräsident ist der grüne Stadtrat Daniel Leupi – will man nach internen Diskussionen Investitionen in klimaschädigende Firmen sogar explizit nicht zurückfahren: Die betroffenen Unternehmen würden sich schon von selber den «veränderten Rahmenbedingungen» anpassen, ist man überzeugt. Und ausserdem heisst es zur Begründung: «Wir dürfen auch nicht ausser Acht lassen, dass ein Grossteil unserer Versicherten Strom und Heizenergie aus fossilen Quellen sowie Benzin für Auto und Busse benutzt und – zumindest bis auf weiteres – auf entsprechende Lieferungen angewiesen ist», schreibt der Leiter der Vermögensabteilung, Jörg Tobler.

Die Pensionskasse der Stadt Zürich lagert die Verwaltung ihres rund fünfzehn Milliarden grossen Kapitals wie die meisten Pensionskassen an sogenannte AssetmanagerInnen in externe Firmen aus. Deren Vorgabe ist es, die grossen Indizes auf Aktien und Obligationen relativ genau abzubilden und dank breiter Diversifizierung eine mindestens durchschnittliche Rendite zu erzielen. Man macht das, was die grosse Mehrheit macht. Herdentrieb suggeriert Sicherheit.

Es droht eine «Kohlenstoffblase»

Dabei gibt es inzwischen eine weltweite Kampagne unter dem Titel «Fossil Free», die institutionelle Anleger auffordert, ihre Investitionen in klimaschädigende Firmen zu verkaufen. Argumentiert wird insbesondere auch mit ökonomischem Sachverstand: Wenn Dürren wie derzeit in Kalifornien und Hitzewellen wie dieses Jahr in vielen Teilen der Welt zunehmen, wird sich der politische Druck verstärken, einschneidende Massnahmen zur Minderung des Klimawandels zu treffen. Eine Firma wie Shell könnte dann gezwungen sein, ihre Ölreserven im Boden zu lassen. Grosse Investitionen müssten auf einen Schlag abgeschrieben werden. Das wäre ein harter Schlag für die Energieindustrie als Ganzes. Auch konventionelle FinanzanalystInnen gehen inzwischen von der Gefahr einer «Carbon Bubble», einer «Kohlenstoffblase», aus. Ein massiver Wertverlust der Energiefirmen würde dann auch all jene beeinträchtigen, die Aktien und Obligationen dieser Unternehmen halten.

Inzwischen haben institutionelle Anleger weltweit reagiert: Die britische Zeitung «Guardian», die schwedische Staatskirche, die Universität von Sydney, aber auch die Stadt San Francisco und andere wollen keine Anlagen mehr in Öl-, Gas- und Kohlefirmen tätigen. Besonders spektakulär ist die Divestment-Ankündigung des Rockefeller Brothers Fund – der Stiftung der Rockefeller-Familie, die ausgerechnet mit dem Ölgeschäft der früheren Standard Oil Company reich geworden ist.

Pensionskasse des Bundes diskutiert

Maximilian Horster hat früher selber als Assetmanager Anlagen von grossen Anlegern betreut. Jetzt arbeitet er in Zürich bei der Firma South Pole und analysiert für Investoren die Klimaschädlichkeit von Firmen. «Seit zwei Jahren boomt unser Geschäft», sagt er, schränkt aber ein, dass bislang in der Schweiz wenig Nachfrage bestehe. Besonders in Skandinavien suchen beispielsweise Pensionskassen nach Möglichkeiten, ihre Investitionen klimafreundlich zu gestalten.

Bei der Publica, der grössten öffentlichen Pensionskasse der Schweiz, in der unter anderem die Bundesangestellten versichert sind, ist die Carbon Bubble inzwischen auch ein Thema, wie Assetmanager Patrick Uelfeti sagt. Derzeit halte Publica für rund 1,5 Milliarden Franken Aktien und Obligationen von Firmen wie Shell, BP und Exxon, das sind vier Prozent des Gesamtvermögens. «Bis Ende Jahr soll entschieden werden, ob diese Anlagen gehalten oder schrittweise zurückgefahren werden», sagt Uelfeti.

Ein Ausstieg der Publica wäre ein starkes Signal, das auch andere Pensionskassen unter Zugzwang setzte, vor allem dann, wenn auch Versicherte kritisch nachfragen. Die Diskussion anheizen dürfte auch ein Bericht des Bundesamts für Umwelt, der nach verschiedenen Anfragen im Parlament jetzt ausgearbeitet wird und die Risiken einer Carbon Bubble für den Finanzplatz Schweiz abschätzen soll. Ende Oktober ist mit der Veröffentlichung zu rechnen.