Deutschland: Wenn der Hass an den Salon klopft
Bewegungen wie Pegida und Parteien rechts der Union radikalisieren sich zunehmend. Es droht ein neuer Rechtsterrorismus.
Auch dieser Tage ziehen wieder Tausende «patriotischer Europäer» durch die Strassen von Sachsen. Nicht nur in sozialen Medien sind Hasstiraden gegen «Berliner Diktatoren» oder Aufrufe wie «Politikerpack in den Gulag» zu lesen. Schilder mit Sprüchen wie «Merkel muss weg» oder Sprechchöre wie «Abschieben, abschieben!» gehören inzwischen zum Usus der regelmässigen Demonstrationen in ostdeutschen Städten wie Dresden, Magdeburg oder Leipzig.
Am Montag letzter Woche versammelten sich etwa 9000 AnhängerInnen der «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) vor der Dresdner Semperoper. Neu dabei war eine mitgeführte Galgenattrappe, vorgesehen für Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel. Ein Mann aus Schwarzenberg hatte sie gebaut und posiert damit seit vergangenem Samstag auf der Facebook-Seite der «Bürgerbewegung» Pro Chemnitz. Das eindrucksvolle Symbol sei Satire, sagte sein Anwalt. Das scheint die Staatsanwaltschaft anders zu sehen: Sie eröffnete ein Verfahren gegen den Mann wegen «Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten» und «öffentlicher Aufforderung zu Straftaten».
Auch ein anderer Fall beschäftigt die Justiz: Am vergangenen Wochenende ging ein Rechtsextremist mit dem Messer auf die parteilose Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker los und verletzte sie lebensgefährlich. Bei dem Angriff wurden drei weitere Menschen schwer verletzt. Als Motiv soll der Attentäter gegenüber der Polizei Rekers Flüchtlingspolitik genannt haben. Die Politikerin hatte sich im Kölner Sozialdezernat für eine bessere Integration von AsylbewerberInnen ausgesprochen.
Johlen und prügeln
Den ersten Jahrestag von Pegida feierten in Dresden diesen Montag mehr als 20 000 Demonstrierende. Auf benachbarten Plätzen der Innenstadt endeten gleichzeitig fünf Sternläufe mit über 10 000 Personen, zu denen das Bündnis «Herz statt Hetze» aufgerufen hatte. Mit Ausnahme der rechtskonservativen Partei Alternative für Deutschland (AfD) hatten sich alle Fraktionsvorsitzenden des Dresdner Stadtrats von Pegida distanziert. Die Pegida-DemonstrantInnen könnten nicht für 534 000 DresdnerInnen sprechen, hatte Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erklärt.
Aber die Feier zeigt, wie sich die «Bürgerbewegung der Empörten» gewandelt hat: Sie ist inzwischen verbal hasserfüllter – und mancherorts sogar physisch gewalttätig geworden. Am Montag wurden auch mehrere Journalisten angegriffen. Am Rand der Demonstration kam es zu Zusammenstössen zwischen Pegida-AnhängerInnen und GegendemonstrantInnen. Am selben Abend wurde am Dresdner Bahnhof Mitte ein Nordafrikaner krankenhausreif geschlagen.
Einer der Hauptredner, der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci, sprach von einer drohenden «Moslemmüllhalde» und nannte Flüchtlinge «Invasoren». Die Macht habe den Respekt vor dem Volk verloren und empfehle denjenigen, die nicht mit der aktuellen Politik einverstanden seien, die Ausreise. Es gäbe natürlich auch Alternativen, so der Rechtspopulist. «Aber die KZs sind ja leider derzeit ausser Betrieb.» Sein Auftritt wurde vom Johlen der ZuhörerInnen begleitet. Die Staatsanwaltschaft in Dresden nimmt nun Ermittlungen wegen «Verdachts auf Volksverhetzung» auf. Und Pegida-Chef Lutz Bachmann distanzierte sich öffentlich von Pirinçcis Äusserungen.
Drei Monate nach ihrer Gründung im Oktober 2014 hatten sich in Dresden jeweils bis zu 25 000 sogenannte WutbürgerInnen versammelt. Im Sommer flaute das Phänomen zwar ab, in den vergangenen Monaten ist das Klima jedoch wieder rauer geworden. Und nun ist die Bewegung – aggressiver als je zuvor – zurück.
Das dominante Feindbild ist inzwischen die Bundeskanzlerin. Laut neusten Umfragen würden heute deutlich weniger als fünfzig Prozent der Deutschen Angela Merkel im Amt bestätigen – selbst innerhalb ihrer CDU und vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden sinkt die Zustimmung. Die bayerische CSU unter Ministerpräsident Horst Seehofer positioniert sich seit längerem als Gegenpol.
Die CSU bündelt die konservativen bis rechten WählerInnen, während die CDU modernisiert: Diese Arbeitsteilung hat Tradition. In der alten Bundesrepublik und auch im wiedervereinigten Deutschland war es der Union damit gelungen, alle Versuche, eine Partei rechts von der CSU zu gründen, im Keim zu ersticken. Doch spätestens seit der letzten Europawahl 2014 zeichnet sich ein neuer Trend ab: Horst Seehofer schob PolitikerInnen in die erste Reihe der CSU, die dezidiert kritisch gegenüber der EU und dem Euro waren. Dennoch musste die CSU einen Stimmenverlust von sieben Prozent hinnehmen, während die AfD sieben Prozent der Stimmen erreichte und erstmals Abgeordnete ins EU-Parlament schicken konnte. Neusten Umfragen aus Baden-Württemberg zufolge könnte ihr bei den nächsten Landtagswahlen im März sogar der Einzug ins Parlament gelingen. Und dies, obschon sich die junge Partei unlängst nach schweren internen Konflikten gespalten hat.
Keine Abgrenzung
Der einstige AfD-Parteivorsitzende Bernd Lucke verliess mit ein paar Tausend AnhängerInnen die Partei und gründete die «Allianz für Fortschritt und Aufbruch» (Alfa). Lucke repräsentiert einen gutbürgerlichen Flügel, für den nicht die AusländerInnen- und Flüchtlingspolitik, sondern die Themen Wirtschaft und Euro im Mittelpunkt stehen. Er grenzt sich strikt von der rechtsextremen NPD, der Pegida-Bewegung und weiteren rechtspopulistischen Initiativen ab.
Anders die AfD: Sie lässt fliessende Übergänge zu. So plädiert etwa der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland, ehemals ein bedeutender CDU-Politiker, für die Aussetzung des Asylrechts. Gauland hält es nicht für nötig, sich von Pegida abzugrenzen, und unterstützt Björn Höcke, den Vorsitzenden des AfD-Landesverbands Thüringen und der dortigen Landtagsfraktion. Dieser zieht keine scharfen Grenzen zur rechtsradikalen NPD und arbeitet offen mit VertreterInnen der sogenannten Neuen Rechten zusammen. Höcke sieht die AfD als Zentrum einer «Fundamentalopposition».
500 Angriffe in diesem Jahr
Die Hemmschwelle gegenüber rechtsextremer Hetze ist nicht nur auf politischer und verbaler Ebene gesunken: Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) haben Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte deutlich zugenommen. Bis Ende September 2015 zählte die Behörde bundesweit knapp 500 Angriffe auf Asylunterkünfte. Bei einem Grossteil der Delikte handelte es sich laut BKA um Sachbeschädigungen oder Fälle von Volksverhetzung. Die Zahl ist wesentlich höher als noch vergangenes Jahr. Für 2014 zählte die antirassistische Amadeu-Antonio-Stiftung 153 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte.
Sachsen beherbergt seit Jahren eine gut organisierte rechtsextreme Szene, deren Ansichten in Teilen der Bevölkerung salonfähig geworden sind. Die seit Beginn enthemmte Rhetorik von Pegida und AfD spiegelt sich nun in der Radikalisierung auf der Strasse. Deren AgitatorInnen seien längst nicht mehr «Biedermeier, sondern gefährliche Brandstifter», sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gegenüber der «Süddeutschen Zeitung». Und vor dem Einjahrjubiläum fand Innenminister Thomas de Maizière deutliche Worte für Pegida: «Inzwischen ist völlig eindeutig: Diejenigen, die das organisieren, sind harte Rechtsextremisten», sagte er gegenüber der ARD.
Die scheinbare Salonfähigkeit der Neuen Rechten zeigt, dass Angriffe wie die Messerattacke auf Henriette Reker oder auf Asylzentren nicht länger als «Einzeltaten» verharmlost werden können. Denn wer ein Klima von Ausländer- und Islamfeindlichkeit sät, muss sich bewusst sein, dass ein neuer Rechtsterrorismus die Ernte sein könnte.