Kommentar von Yves Wegelin: Mit Fremdenhetze zum grossen Hedgefonds
Die Ernennung von Thomas Aeschi zum SVP-Bundesratskandidaten kommt nicht ganz überraschend. Der Entscheid entspricht der Rezeptur der Partei.
Aeschi statt Brand. So hat die SVP-Fraktion entschieden – genauer: der Wirtschaftsflügel um Milliardär Christoph Blocher. Statt des im Vorfeld als Favorit gehandelten Bündners Heinz Brand steht nun der Zuger Thomas Aeschi auf dem Dreierticket für die Bundesratswahl – auf dem die beiden anderen Kandidaten Guy Parmelin und Norman Gobbi die Rolle der nützlichen Deppen spielen sollen, die den Schein einer Auswahl vermitteln. Der Entscheid kommt jedoch nicht ganz überraschend. SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz hatte bereits Anfang des Monats via «Blick» Brand wegen dessen Staatsnähe diskreditiert. Vor allem aber entspricht der Entscheid der Rezeptur der Partei. Ihr Kern: Die SVP verschafft sich mit ihrer Ausländerhetze die nötige Macht, um in Bern das Land als grossen Hedgefonds in der Welt zu positionieren.
Blochers SVP hat sich längst als Partei des Grosskapitals etabliert. Das Projekt: Die Schweiz als globale Finanzdrehscheibe und Steuerparadies für Grosskonzerne – inklusive schwachen Sozialstaats und flexiblen Arbeitsmarkts. In diesem Bereich steht in den kommenden Jahren etliches an: etwa die Unternehmenssteuerreform III, die Altersreform oder die Energiewende (oder was von ihr übrig bleibt). Die SVP will die Steuern auf Kapital weiter senken, die AHV stutzen und möglichst billigen Strom.
Aeschi, so scheint es, ist der Mann, der all das im Bundesrat vorantreiben soll. Und das wohl am besten im vakanten Finanzdepartement, das ihm SVP und FDP-Bundesratsvertreter per Mehrheitsbeschluss zuschanzen könnten. Der 36-Jährige ist nicht nur Blochers Zögling und ergebener Soldat. Er ist auch Unternehmensberater und zumindest in Wirtschafts- und Finanzfragen ein Rechtsextremist. Er sitzt im Initiativkomitee, das das Bankgeheimnis in der Verfassung verankern will; und in einem Ranking der Umfrageplattform Vimentis positioniert er sich in der Frage, wie viel Sozialstaat es brauche, auf einer Skala von eins bis hundert bei nahezu null. Der Mann kennt keine Grautöne.
Die NZZ, die zunehmend ihre Berührungsängste mit der SVP verliert, wittert bereits Morgenluft. Der «bürgerliche Schulterschluss» soll, so das Kampfblatt, einer «liberalen Agenda» zum Durchbruch verhelfen (als wären bis jetzt die KommunistInnen an der Macht gewesen). Da werden Erinnerungen an das Jahr 2003 wach, als mit Blochers Einzug in den Bundesrat SVP und FDP vorübergehend die Mehrheit in der Regierung erlangten. In diese Zeit fällt auch die Unternehmenssteuerreform II des ehemaligen FDP-Finanzministers Hans-Rudolf Merz, die bis heute jedes Jahr ein – im Vorfeld verschwiegenes – Loch von über einer halben Milliarde Franken in die Staatskasse frisst.
Heinz Brand fehlte Aeschis Treue zu Blocher. Vor allem ist er kein Wirtschaftspolitiker. Seine Leidenschaft gilt den AusländerInnen. Doch einen solchen Politiker braucht die SVP nicht im Bundesrat. Denn anders als die Wirtschaftsreformen, die die SVP hinter der Bundeshausfassade vorantreibt, peitscht sie die Ausländerpolitik von unten an, mittels Initiativen und Referenden. Die Umsetzung überlässt sie den BundesrätInnen anderer Parteien: Mit ihrer Endloskritik, SP-Justizministerin Sommaruga missachte dabei den «Volkswillen», sichert sie sich weitere Wahlerfolge, die ihr wiederum im Bundeshaus die Macht sichern, um ihre Wirtschaftsagenda durchzusetzen.
Die grosse Mehrheit des Parlaments will der SVP einen zweiten Bundesratssitz gewähren. Doch wird sie Aeschi wählen? Oder vielleicht doch den Westschweizer Guy Parmelin? Oder vielleicht gar sonst einen SVPler? Dies, obwohl laut SVP-Statuten jeder von der Partei ausgeschlossen würde, der als Nichtnominierter die Wahl annähme? Ist das gar Blochers Zweitstrategie, damit sich die SVP weiter als Opfer aufspielen kann? Im aktuellen Verwirrspiel ist das kaum abzuschätzen.
Fest steht: Laut Verfassung soll das Parlament die Bundesratsmitglieder gemäss jenen Kriterien wählen, die es für richtig hält. Die SVP hat keinen Anspruch auf einen zweiten Sitz. Und schon gar nicht auf jenen Kandidaten, den Blocher will. Will das Parlament verhindern, dass sich die SVP weiterhin als Opfer aufspielt, wäre es jedoch gut beraten, Parmelin statt Aeschi zu wählen. Ein rechtsnationalistischer Hardliner ist auch er. Anders als Aeschi würde er jedoch vermutlich nicht vor jedem Entscheid im Bundesrat nach Herrliberg telefonieren.
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