Der SVP-Aufsteiger: Die Welt, wie sie Aeschi sieht
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi kämpft im Parlament an vorderster Front für eine Steuervorlage im Sinne der Grosskonzerne. Neoliberal und gleichzeitig stramm nationalkonservativ, steht der Zuger Unternehmensberater wie kein Zweiter für die neue Ausrichtung der einstigen Bauernpartei.
In Allenwinden ZG ist Volg-Fest. Kurz nach vier Uhr nachmittags sitzen nur noch ein paar Standhafte auf einer Festbank, heiter angetrunken. Sollen die Volg-Leute doch rundherum zusammenräumen. Bier ist geflossen, die Fremde wird freundlich dazugebeten, man verspricht sich wohl noch etwas Unterhaltung. Thomas Aeschi ist am Fest nicht erschienen, im Gegensatz zu anderen lokalen Politgrössen. «Alle waren da», sagt eine Frau. Aeschi aber sei ein Phantom. «Ab und zu taucht er plötzlich auf. An der Fasnacht. Oder am Musikfest. Aber immer alleine! Und dann ist er auch wieder weg. Wir kennen ihn nicht, das ist das Problem, er gehört hier nicht richtig dazu.» Der Lauteste am Tisch ist ein schnauzbarttragender Büezertyp, der sein Gegenüber gerne niederbrüllt.
Der Mann ist ein Fan von Thomas Aeschi. Das brüllt er zur Sicherheit gleich mehrmals über den Tisch. Auch dass er selbstverständlich die SVP wähle. Und dass die Partei noch nie einen so guten Vertreter wie diesen fleissigen, studierten jungen Mann gehabt habe. «Wenn er jetzt noch ein bisschen volksnaher wäre, dann wäre der schon lange Bundesrat», sagt der Schnauzbärtige. Das sei leider wirklich das Einzige, was ihm fehle: «Im Gegensatz zu Christoph Blocher.»
Nein, Bundesrat ist Thomas Aeschi vor drei Jahren nicht geworden: Der damals 36-Jährige Zuger unterlag bei der Wahl um die Nachfolge von Eveline Widmer-Schlumpf dem Waadtländer Weinbauern Guy Parmelin. Seinen Ehrgeiz hat diese Niederlage nicht gebremst. Aeschi, der seit 2011 im Nationalrat sitzt und sich dort wegen seiner Beflissenheit den Übernamen Ritalin eingehandelt hat, ist seit letztem Herbst Fraktionschef der SVP. Dass es ausgerechnet einen wie ihn so rasch noch oben gespült hat, ist kein Zufall: Aeschi, der bis heute für den global tätigen Treuhandriesen Pricewaterhouse Coopers (PwC) tätig ist und nebenher seine eigene Unternehmensberatungsfirma Aeschi & Company führt, steht geradezu prototypisch für die DNA der neuen SVP: einer Partei, die nationalkonservatives Gedankengut mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik vereint.
Der konservative Weltenbummler
Was wurde nicht schon alles über Aeschis Widersprüche geschrieben: In eine CVP-Familie geboren (der Vater Steuerberater, die Mutter Krankenschwester), aufgewachsen in der Tausendseelengemeinde Allenwinden hoch über dem Zugersee, zog es den jungen Aeschi früh in die Welt, als Gymnasiast nach Chicago ins Austauschjahr, später trampte er alleine durch Südamerika, absolvierte als Wirtschaftsstudent Austauschsemester in Malaysia und Israel, machte einen Master in Harvard. Und dann kehrt Aeschi heim und tritt der SVP Baar bei, um sich in dieser Partei nach oben zu arbeiten. Ob man in Zug nun mit politischen GegnerInnen spricht oder mit Gleichgesinnten: Alle schildern Aeschi als etwas hölzern, als einen Aussenseitertyp, der in der SVP eine Familie gesucht habe. Als Streber, der auch dank freundlicher Unterstützung aus Herrliberg einen so rasanten Aufstieg hingelegt habe. Im Nationalratswahlkampf sei er von Tür zu Tür gezogen, heisst es. Dennoch bleibe er rätselhaft. Ob Aeschi überhaupt ein Privatleben habe – oder nur seine Politkarriere, fragt man sich nicht nur hinter vorgehaltener Hand.
Seit er der SVP beigetreten ist, hat sich der einstige Weltenbummler geradezu übereifrig als Verfechter der nationalkonservativen SVP-Agenda hervorgetan: In Baar etwa kämpfte er an vorderster Front gegen den Bau eines Asylzentrums. Und auf einen Bundesgerichtsentscheid, der zwei Mädchen im Kanton Thurgau erlaubte, die Schule mit Kopftuch zu besuchen, reagierte der Katholik mit der Forderung nach Kruzifixen in öffentlichen Gebäuden. Aeschi ist ein Scharfmacher: Er spricht sich gegen die direkte Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisengebieten aus. 2016 unternahm er mit einer Politdelegation ein «Reisli» nach Eritrea. Seither behauptet er, dass es in der Diktatur doch gar nicht so schlimm sei – und führt erfolgreich einen Verschärfungsfeldzug gegen die grösste Flüchtlingsgruppe in der Schweiz.
Globalisierung nach Aeschis Geschmack
Vielleicht muss man nach Baar blicken, um Aeschi zu verstehen. Hier, nur ein paar Kilometer entfernt von seinem Geburtsort, unten in der Talsohle, wohnt der 39-Jährige, in einem nichtssagenden, aber grosszügigen Neubau, in der Nähe des Bahnhofs. Baar, etwas über 24 000 EinwohnerInnen, hat letztes Jahr das Schwyzer Dorf Wollerau als steuergünstigste Gemeinde der Schweiz abgelöst. Der Ort wirkt nur auf den ersten Blick wie eine Schweizer Durchschnittsgemeinde. Googelt man nach hier ansässigen Unternehmen, findet man eine Liste der Giganten: das Rohstoffunternehmen Glencore, das Ölunternehmen Shell, die Trans Adriatic Pipeline AG, Red Bull oder Burger King. Im Kanton Zug herrscht die Art von Globalisierung, die Aeschi vorschwebt: Auf den Strassen, die sich von Baar hoch zu den bäuerlichen Dörfern wie Allenwinden oder Oberägeri winden, kreuzen sich Traktoren und teure Cabriolets. Einfamilienhäuser und Bauernhöfe reihen sich hübsch aneinander. Nichts stört das Idyll dieser Gegend, die die Probleme der Welt weit von sich weist. Zug, das ist die SVP-Schweiz im Kleinformat: Globalisierung gibt es hier nur in Form von properen Bürogebäuden.
Treffen in Bern. Die Session steht voll im Zeichen der Steuervorlage 17. Aeschi rennt wie ein aufgedrehter Kasper durchs Bundeshaus. Schlaksig, wendig, durch die Tür zwischen dem Nationalratssaal und dem Vorzimmer hechtet er geradezu, schüttelt einem kurz die Hand, hechtet weiter, um demonstrativ noch ein anderes Gespräch dazwischenzuschieben. Dann sitzt er zusammengesunken auf der Besucherbank und blinzelt desinteressiert. Nein, er habe kein Problem mit kritischen Journalistenfragen, sagt der Fraktionschef, der die Gesprächszeit rigoros verkürzt hat, nachdem er alte WOZ-Artikel über ihn gefunden hat. «Fünfzehn Minuten», sagt er. «Sie sehen ja, ich habe zu tun.»
Aeschi spielt in der Debatte zur Steuervorlage 17 eine Schlüsselrolle. Bürgerliche wie linke Mitstreiter der Wirtschaftskommission bezeichnen seine Art, einen Vorstoss nach dem anderen zu lancieren, als geradezu blindwütig. Das Ziel seiner Steuerpolitik lässt sich kurz zusammenfassen: möglichst tiefe Steuern für multinationale Konzerne. Dass die StimmbürgerInnen die gleich gelagerte Unternehmenssteuerreform III vor anderthalb Jahren abgelehnt haben: Aeschi kümmert das nicht. In der Wirtschaftskommission scheiterte der Zuger mit seinen Anträgen mehrheitlich. Nun bekämpft er den Steuer-AHV-Deal aus dem Ständerat, der die Steuervorlage 17 zumindest an einen sozialen Ausgleich in Form einer Finanzspritze an die AHV knüpft (vgl. «Wie viel besser ist die neue Steuervorlage?» ). Seine Fraktion, die unter der Führung von Magdalena Martullo-Blocher erst Kompromissbereitschaft signalisiert hatte, hat Aeschi inzwischen auf Kurs gebracht: Sie lehnte den Steuer-AHV-Deal am Mittwoch im Nationalrat ab.
Kein Mann der Widersprüche
Man hat es oft gelesen: Aeschi sei ein verirrter Liberaler. Einer, der bei der erstarkenden SVP Karrierechancen gewittert hat und den SVP-Populismus in Kauf nimmt, um seine eigentlichen, finanz- und wirtschaftspolitischen Interessen durchzusetzen. Doch das verkennt die konservative Ideologie Aeschis. Vielleicht ist es ein Vorteil, wenn man nur fünfzehn Minuten Zeit hat, mit ihm zu reden. Man stellt grundsätzliche Fragen zu seiner Sicht auf die Welt. Und er antwortet mit Sätzen wie: «Klar wollen alle ein Leben, wie wir es führen, mit grünen Wiesen und sauberem Trinkwasser.» Aber so funktioniere die Welt nun einmal nicht. «Jeder und jede schaut, dass es zuerst seiner Familie, dann seiner Gemeinde und schliesslich dem Land gut geht.» Als Nationalrat, sagt Aeschi, vertrete er die Interessen der Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Daran änderten auch tragische Einzelschicksale nichts wie das eines Kameruners, den er letztes Jahr in Nordafrika angetroffen habe. Wirtschaftsliberalisierung, Waffenexporte, Grenzschliessung: Alles ist in der gleichen Logik zu rechtfertigen, wenn man so denkt. Aeschi ist kein Mann der Widersprüche. Er glaubt an das Recht des Stärkeren.
Auf dem Dorfplatz in Aeschis Heimatdorf Allenwinden kochen irgendwann die Emotionen hoch, alkoholbedingt und weil die Festbrüder sich gegenseitig schon so lange kennen, dass man sich auch mal ein bisschen Wut an den Kopf werfen kann. Aeschi sei doch bloss eine Marionette der Wirtschaft, schmettert einer dem Schnauzbärtigen entgegen. Und dass die Partei rassistisch sei, sei doch offensichtlich: «Meine Frau ist Dänin, die hatte nie Probleme, sobald aber jemand schwarz ist, ist er eine Gefahr.» Kurz ist der Angesprochene einsichtig: Rassismus gehe natürlich nicht, sagt er. Und vielleicht lasse er sich ja tatsächlich Sand in die Augen streuen. Dann siegen wieder die Emotionen: Es sei doch völlig klar, wer einen Kuchen vor sich habe, wolle ihn lieber selber essen, als ein Stückchen davon abzugeben. Die SVP sei als einzige Partei immer für Leute wie ihn eingestanden. Für die einfachen Leute. Basta.