Kriminalroman «Die schützende Hand»: Dengler und die toten Neonazis
Schon einmal etwas von «spontaner Deradikalisierung» gehört? Diese könnte laut einem Experten für Rechtsextremismus der Grund dafür sein, dass sich zwei Mitglieder des deutschen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) für den gemeinsamen Suizid entschieden haben. Die beiden Neonazis, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sollen also «spontan» erkannt haben, dass sie sich in Gesinnung und Taten – eine Mordserie an MigrantInnen und mehrere Bombenanschläge – geirrt hatten. Danach sollen sie sich selbst gerichtet haben.
So unglaubwürdig das auch ist: Im neuen Roman des Krimiautors Wolfgang Schorlau, «Die schützende Hand», stösst der Privatdetektiv Georg Dengler in den Polizeiberichten auf eine ganze Reihe von abstrusen Thesen zum doppelten Selbstmord. So erscheint die ganze Ermittlungsarbeit als Konstrukt, das letztlich nur dazu dient, eine unhaltbare Theorie zu erhärten. Im Zentrum steht das Wohnmobil, in dem die Leichen von Mundlos und Böhnhardt im November 2011 gefunden wurden. Es wurde abgeschleppt, ohne dass zuvor die Spuren gesichert worden wären: «Im Inneren des Campers purzelten dadurch Leichen, Waffen und Munition, das heisst alle Beweismittel und alle erdenklichen Spuren durcheinander.» In seinem achten Fall zieht Privatermittler Dengler in Zweifel, dass sich Mundlos und Böhnhardt tatsächlich umgebracht haben – und fragt sich, ob vielmehr etwas passiert ist, was wir sonst nur aus Ländern mit autoritären Regimes kennen: aussergerichtliche Hinrichtungen.
Wie in seinen anderen Krimis greift Schorlau in «Die schützende Hand» gesellschaftlich relevante Themen und Ereignisse auf. Dengler stösst bei seinen Ermittlungen auf die Verflechtung von Neonaziszene und Behörden. Letztere erregen zunehmend sein Misstrauen. Zu Anfang des Buchs freut sich einer der Zeugen des Kölner Nagelbombenattentats von 2004 noch über die anrückende Polizei: «So schnell sind sie da in Deutschland. Wie beruhigend.» Am Ende ist da gar nichts mehr beruhigend, nicht die Polizei und vor allem nicht der Verfassungsschutz.
Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2015. 381 Seiten. 22 Franken