Lemmy Kilmister (1945–2015): Motörhead in Winterthur
Nichts ist unauthentischer als Musik, und dennoch galt er als Verkörperung all dessen, was im Rock als echt zu gelten hat. Lemmy, Bassist und Sänger der britischen Motörhead, starb unerwartet am 28. Dezember, Tage nur nach seinem 70. Geburtstag. Kurz zuvor war schon der frühere Drummer der Band gestorben, «Philthy Animal» Taylor.
Es ist die Musik, die MusikerInnen erschafft, und nicht umgekehrt. Motörhead waren die Ausnahme. Ihr Einfluss könnte kaum grösser gewesen sein: Nie zuvor und selten danach hat ein Trio mit weniger Aufwand mehr Wirkung erzielt. Wuchtig brummende Songs in der Tonlage eines «Triumph»-Motors, von Album zu Album wurden sie schneller, und als 1979 «Overkill» erschien, geschah Unerhörtes: Eine in irrem Tempo gespielte Doublebass-Drum kickte gnadenlos, voller Wut den Titelsong an. Der Takt war gesetzt, innert weniger Jahre gehörte die schnelle Doublebass zum Metal-Standard. Und dann das Outfit: schwarzes Leder, enge Jeans, langes Haar, Patronengurte um schlanke Hüften – als ob Lemmy und Co. Mad Max von der Leinwand auf die Konzertbühne gebracht hätten, testosteronsatt, bedrohlich und – im Rückblick lässt sich so was leicht sagen – vielleicht auch ein wenig lächerlich.
Auf ihrem künstlerischen Zenit spielten Motörhead Ende 1981 zum ersten Mal in der Deutschschweiz, in Winterthur, mit Lemmy, Philthy Taylor und dem chronisch unterschätzten Gitarristen «Fast» Eddie Clark. Unter dem Bühnenhimmel das stilisierte Holzskelett eines Bombers. Am Ende des Gigs wurde er an Stahltrossen herabgelassen, leuchtete in Stroboskopgewittern auf, von Luftsirenengeheule begleitet. Das war ein Statement gegen irgendwas, Krieg vielleicht, aber vor allem für etwas: Lautstärke und Aggression. In der Bühnenmitte Lemmy mit seinem Bass, virtuos-gnadenlos bearbeitet, den Kopf in den Nacken gelegt, zum voll ausgefahrenen Mikrofon hoch. Wunderschön.
«But that’s the way I like it, baby / I don’t wanna live forever» – das Mantra aus dem Refrain ihres grössten Hits «Ace of Spades» hat viel dazu beigetragen, dass Ian «Lemmy» Kilmister mit seinem Tod nun doch noch unsterblich zu werden droht. Im Internet werden Unterschriften gesammelt für eine Lemmy-Statue, sie soll in seiner Lieblingsbar in Los Angeles aufgestellt werden. Hoffentlich wird nichts daraus, denn Götzenkult hat der zynische Atheist keinen verdient.