Tadschikistan: Die Angst vor dem Minarett
Der Präsident des zentralasiatischen Landes Tadschikistan, Emomali Rahmon, gibt vor, den Terrorismus zu bekämpfen. Stattdessen unterdrückt er die religiöse Opposition und vernachlässigt die eigentlichen Probleme: die Armut und die allgegenwärtige Korruption.
Safar Dawlat ist wütend. Der Imam musste auf Befehl des tadschikischen Geheimdienstes das Minarett seiner neu erbauten Moschee abreissen lassen. Mit seinem imposanten Dach war das Gotteshaus einer kleinen Stadt nördlich der Hauptstadt Duschanbe auch von der Strasse her zu sehen. Dawlat wendet sich auf dem Beifahrersitz des Autos nach links und weist mit der Hand auf die Moschee. Ein unauffälliges graues Gebäude, das sich nun kaum mehr von den umliegenden Häusern unterscheidet. «Wegen des Geheimdienstes muss ich unsere Gastfreundschaft verletzen. Ich wollte Sie zu mir nach Hause einladen, aber es ist unmöglich», entschuldigt sich der hochgewachsene Mann im langen traditionellen Gewand. Jeder seiner Schritte werde überwacht. Deswegen müssen hier sein richtiger Name und sein Wohnort ungenannt bleiben.
Die Stadt, in der Dawlat wohnt, ist ein beliebtes Naherholungsziel für die Besserverdienenden aus der Hauptstadt – mit Hotels, Restaurants und Sommerhäusern. Eine Moschee würde die UrlauberInnen stören, sie könnten dort Terroristen vermuten, hätten die Sicherheitsbeamten behauptet, setzt der Imam seine Erzählung fort. Widerwillig lenkte er ein und liess das Minarett abreissen. Der Druck der Behörden liess aber auch danach nicht nach. Seine Weigerung, SympathisantInnen der Opposition in der Freitagspredigt als Verräter zu brandmarken, kostete Dawlat schliesslich seinen Job.
Arbeit in Russland
Hinter vorgehaltener Hand wird erzählt, dass nicht TouristInnen, sondern der tadschikische Präsident Emomali Rahmon auf dem Weg zu seiner luxuriösen Residenz keine Moschee sehen möchte. Eine solche Herangehensweise ist keine Seltenheit in der kleinen zentralasiatischen Republik: Auf den ersten Blick fördert der Präsident, der die ehemalige Sowjetrepublik seit 1992 mit eiserner Hand regiert, zwar eine Hinwendung zu tadschikischer Tradition und propagiert den Islam als Staatsreligion. Alle Aspekte des religiösen Lebens unterliegen jedoch rigorosen Gesetzen. Minderjährigen und Frauen ist es etwa verboten, eine Moschee zu betreten. Frauen müssen zu Hause beten. Kinderbücher in einer Moschee können bereits zur Schliessung des Gotteshauses führen. Zu westliche oder zu traditionelle Kleidung ist ebenfalls verboten. Studentinnen dürfen keinen Hidschab tragen. Männer mit einem zu langen Bart müssen damit rechnen, von der Polizei angehalten zu werden.
Auf dem Rudaki-Prospekt, der Flaniermeile im Zentrum von Duschanbe, halten sich westliche und traditionelle Kleidung die Waage. Nur wenige Frauen und Mädchen tragen einen Hidschab oder einen Ganzkörperschleier. Auf der geschäftigen Hauptverkehrsader der Stadt mit ihren etwas verblassten Prachtbauten aus der Sowjetzeit hängen Fotos von Cristiano Ronaldo oder David Beckham in der Auslage des Herrencoiffeurs. Junge Männer und Frauen sitzen in den Parks, tauschen mit ihren Smartphones eifrig Fotos und Videos – allerdings in gebührendem Abstand zueinander. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes ist unter 25 Jahre alt. Nur die wenigsten können auf eine gute Ausbildung und einen guten Arbeitsplatz hoffen. Das Bildungssystem der ärmsten Republik Zentralasiens hat einen schlechten Ruf, StudentInnen erzählen von korrupten LehrerInnen.
Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt in grosser Armut. Viele, vor allem junge Männer, verdienen ihr Geld deshalb als ArbeitsmigrantInnen. Gut eine Million der 8,3 Millionen TadschikInnen arbeitet im Ausland, die meisten im Niedriglohnsektor in Russland. Ihre Überweisungen sind wichtige Einkommensquellen für die Familien zu Hause. Aufgrund der Wirtschaftskrise in Russland sind die Gelder allerdings stark zurückgegangen. Russland ist aber nicht nur Arbeitsort. Immer wieder berichten tadschikische Medien und ExpertInnen, dass sich ArbeitsmigrantInnen in der Fremde radikalisieren, sich dschihadistischen Gruppierungen anschliessen und dann nach Syrien oder in den Irak weiterreisen. Wie viele genau, ist unklar. Das staatliche Religionskomitee spricht von 450, andere Quellen gehen von mindestens 600 tadschikischen Kämpfern aus. Imam Dawlat beunruhigt dieser Trend. Allein aus seinem Bezirk seien dreizehn Leute nach Syrien gefahren und zwei bereits gefallen. Aber seit er nicht mehr predigen darf, kann er Leute, die anfällig für radikales Gedankengut sind, nicht mehr erreichen.
Politische Willkür, Unterdrückung der Religion, Armut und die allgegenwärtige Korruption bildeten ein gefährliches Gemisch für die Zukunft Tadschikistans, sagt Dzamshed Jorow, Anwalt aus Duschanbe. Erst kürzlich wurde sein Bruder Buzurgmekhr, ebenfalls Anwalt, festgenommen, weil er inhaftierte OppositionspolitikerInnen und deren Familien juristisch beraten hatte. Nun werden ihm Fälschung und Betrug vorgeworfen. «Konstruierte Vorwürfe», sagt der 43-Jährige beim Gespräch im Haus seines Vaters, wenige Schritte hinter dem Rudaki-Prospekt. Das kleine, einfache Haus ist von einer baufälligen Mauer umgeben, dahinter sticht das säulengeschmückte Portal einer luxuriösen Villa hervor. Eine der Präsidententöchter wohne darin, sagt der Gastgeber.
Radikalisierung dank Repression
Vor allem die Mitglieder der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans sehen sich Repressionen ausgesetzt. Die zuvor einzige legale islamische Partei Zentralasiens wurde 2015 vom Obersten Gerichtshof für illegal erklärt und ihre über zwanzigköpfige Führungsriege verhaftet. Offiziell, weil die Partei im September einen Putschversuch unterstützt habe. Die Hintergründe des angeblichen Staatsstreichs sind allerdings unklar, eine unabhängige Untersuchung gab es bislang nicht.
Präsident Rahmon geht es aber nicht in erster Linie um Sicherheit, Stabilität und den Kampf gegen Terror. Durch die religiöse Opposition sehe er sich in seiner Macht bedroht, erzählen der Partei nahestehende Personen. Es herrscht ein Klima der Angst. Kein Parteimitglied will offen reden. Das Regime treibe die Leute in die Radikalisierung, heisst es. «Auf einen Schlag wurden alle 44 000 Mitglieder der grössten Oppositionspartei im Land zu Terroristen gemacht», sagt Jorow. Die Gefahr terroristischer Anschläge in Tadschikistan selbst schätzt der Anwalt allerdings als gering ein. Das Regime überzeichne sie bewusst.
Verarmte Grenzregion
Anders beurteilt dagegen Scherali Rizojew vom staatlichen Zentrum für Strategische Forschung in Duschanbe, das die offizielle staatliche Position vertritt, die Lage: «Vor allem im Norden Afghanistans sind im vergangenen Jahr verschiedene verbotene Gruppen wie der Islamische Staat aktiver geworden», sagt der Politologe. Nun könnten sich diese mit oppositionellen Gruppierungen in Tadschikistan verbünden und die Situation destabilisieren. Den Bürgerkrieg der neunziger Jahre haben die Menschen noch nicht vergessen. Der Staat müsse deshalb laut Rizojew Lehre und Ausübung der Religion kontrollieren, um eine weitere Radikalisierung der Bevölkerung zu verhindern.
Tadschikistan und Afghanistan teilen sich eine knapp 1400 Kilometer lange Grenze, die über weite Strecken durch schwer zu kontrollierendes Hochgebirge führt. Drogenschmuggel ist weitverbreitet. Durch Tadschikistan führt eine der wichtigsten Routen, auf denen Heroin aus Afghanistan nach Europa gelangt. Südlich der Hauptstadt Duschanbe, in rund vier Autostunden Entfernung an der afghanischen Grenze, ist von einer angespannten Sicherheitslage kaum etwas zu merken. Die letzten Hügel haben einer Ebene Platz gemacht. Nur wenige Bäume stehen in der kargen, wüstenähnlichen Landschaft. Der direkte Zugang zur kleinen Siedlung Pandschi Pojon unmittelbar an der Grenze ist durch Stacheldraht und Schlagbäume verwehrt. Die Grenzsicherung liegt seit 2005 in der Verantwortung der tadschikischen Armee. Vorher kontrollierte Russland das Gebiet. Moskau zeigt jedoch nach wie vor Präsenz und hat in Tadschikistan zwischen 5000 und 7000 Soldaten stationiert.
Über den Fluss Pandsch, der die natürliche Grenze zwischen Tadschikistan und Afghanistan bildet, wurde 2007 mit Geldern aus den USA die sogenannte Freundschaftsbrücke eröffnet. Mehr Handel sollte die Lage der Menschen in der Grenzregion verbessern. Arbeitsplätze sind in der Gegend rar, viele Dörfer verfügen nach wie vor nicht über fliessend Wasser und Elektrizität. Der Aufschwung lässt auf sich warten. Bloss ein einziger Lastwagen wartet in der warmen Wintersonne auf die Zollabfertigung und die Weiterfahrt nach Afghanistan. In der Gegenrichtung ist die Strasse leer. Früher habe hier mehr Betrieb geherrscht, erzählt der Anwohner Suchrob Schodibekow, der zusammen mit zwei Uniformierten an einem Schlagbaum lehnt. Die Grenze ist offen, trotzdem überqueren täglich nur zwischen zehn und zwanzig Lastwagen die Brücke über den Pandsch. Vor zwei Jahren waren es noch bis zu 200 pro Tag, heisst es. Aus Tadschikistan wurden vor allem Landwirtschaftsprodukte exportiert, während aus Afghanistan und Pakistan etwa Zement importiert wurde. Die instabile politische Situation in Afghanistan und die Wirtschaftskrise in Tadschikistan haben den Verkehr auf der Strasse nach Süden fast zum Erliegen gebracht. Die AnwohnerInnen hoffen nun auf chinesische Unternehmen, die im Grenzgebiet bereits Zwiebeln und Kartoffeln anpflanzen und für etwas mehr als sechs Franken pro Tag Beschäftigung für TagelöhnerInnen bieten.
Obwohl seit Jahren immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Grenzschützern und Drogenschmugglern aufflackern, ist die Situation hier momentan ruhig. «Warum sollen wir uns vor den Taliban fürchten?», fragt Nabi Baratow, der etwas weiter in Richtung Fluss vor einer Baubaracke gemeinsam mit Kollegen Mittagessen kocht. Er produziere hier, antwortet Baratow etwas unbestimmt auf die Frage nach seiner Arbeit. Die Taliban leben auf der anderen Seite des Flusses. Dazwischen stehen die Grenztruppen. Nach vierzig Jahren Krieg herrsche drüben tiefstes Mittelalter. Tadschikistan sei hingegen ruhig. «Wir hören nur Schüsse und Explosionen von den Kämpfen», erzählt Baratow. Auch als die Taliban im September 2015 während zweier Wochen die rund fünfzig Kilometer entfernte Stadt Kundus besetzt hielten. 2000 Flüchtlinge aus Afghanistan hätten damals versucht, über die Brücke in Pandschi Pojon nach Tadschikistan zu entkommen. Nur knapp 100 habe das Militär durchgelassen, den Rest wieder zurückgeschickt, wird erzählt.
Eine prekäre Lage
Flüchtlinge haben die BewohnerInnen des Weilers Saripul, der neben der Hauptstrasse in Sichtweite des Grenzflusses liegt, damals keine gesehen. Nun sind Panzer und Soldaten zu hören, wenn sie auf der Strasse Richtung Grenze fahren. «Wir haben Geschichten über Bombardements gehört, als Kundus fiel, gesehen haben wir niemanden», erinnert sich Mardschana Asanowa, die uns bei sich zu Hause mit Tee und frischem Fladenbrot bewirtet. Das Wohnzimmer der fünfköpfigen Familie ist spärlich möbliert. Polster und Kissen liegen auf. Trotz der guten Bewachung der Grenze hätten sie sich gefürchtet, erzählt Asanowa.
In Afghanistan, drüben auf der anderen Seite des Flusses, war sie noch nie. Stärker beschäftigt sie die prekäre Situation der Familie. Arbeit gibt es hier keine. Die Männer der Familie arbeiten in Russland. Asanowa hat ihren Mann seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Pünktlich jeden Monat überweist er ihr umgerechnet 130 Franken. Nun fehlt ihm allerdings das Geld für die Heimreise. Auch verdient er zu wenig, um seine abgelaufenen Aufenthaltspapiere erneuern zu lassen. Wird er von den russischen Behörden erwischt, drohen ihm Deportation und eine mehrjährige Einreisesperre. Laut seiner Frau kann er in Tadschikistan einzig noch als Taxifahrer arbeiten. Aber dann würde das Geld erst recht nicht mehr reichen.