Tadschikistan: Auf dem Weg in den Bürgerkrieg
Die Regierung drangsaliert die gemässigte Opposition, während die radikalen IslamistInnen stärker werden: Herrschen in Tadschikistan bald Zustände wie in Usbekistan?
Zwei Ereignisse haben Tadschikistan, die südlichste und ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien, erschüttert: Die einzige legale islamische Partei der ganzen Region, die Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (PIWT), musste vor zwei Wochen ihre offizielle Tätigkeit einstellen. Und wenige Tage zuvor hatten bewaffnete Gruppierungen in zwei Städten Regierungseinrichtungen angegriffen.
Die Militanten überfielen zwei Waffenlager des Innenministeriums, eines in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Duschanbe, ein weiteres in der Kleinstadt Wahdat, zwanzig Kilometer weiter östlich. Sie erbeuteten viele Waffen sowie Munition und töteten insgesamt elf Beamte. Obwohl sich das Vorgehen ähnelte, ist nicht klar, ob zwischen den beiden Angriffen ein Zusammenhang besteht. RegierungsvertreterInnen bezeichneten die Angreifer, die vom bisherigen Vizeverteidigungsminister Abduchalim Nasarsoda angeführt wurden, abwechselnd als Terroristen und Kriminelle. Nasarsoda war zuvor aus seinem Amt entlassen worden. Nach den Angriffen wurde der Politiker wegen Verrat und der Bildung einer extremistischen Gruppierung angeklagt. Nach den Attacken auf die Einrichtungen des Staats zogen sich die Angreifer ins Romittal, eine Gebirgslandschaft im Bezirk Wahdat, zurück. Dort werden sie seitdem von den Sicherheitskräften gejagt.
Gleich nach den Angriffen hatte die Regierung ihre Muskeln spielen lassen: Sie schloss den zentralen Basar in Duschanbe und sperrte den Zugang zu den sozialen Medien. Sicherheitskräfte errichteten Strassensperren, die den Verkehr auf Überlandstrassen sowie im Zentrum der Hauptstadt stark einschränkten. Die US-Botschaft schloss, und die seit 2012 wieder im Land stationierten russischen Truppen veranstalteten mit den heimischen Streitkräften gemeinsame Übungen, bei denen laut tadschikischen Agenturen auch Drohnen eingesetzt wurden. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte seinem tadschikischen Amtskollegen Emomali Rahmon Unterstützung zu.
Inzwischen behauptet die Regierung, sie habe die Lage wieder im Griff. Vier Tage nach den Vorfällen liess sie verlauten, 31 der Anhänger des ehemaligen Vizeverteidigungsministers Nasarsoda seien gefangengenommen und 13 weitere «liquidiert» worden. Gleichzeitig reiste Präsident Rahmon demonstrativ nach Wahdat. Rahmon ist ein früherer Kolchosevorsitzender, der aus der Kommunistischen Partei Tadschikistans der Sowjetzeit stammt und kurz nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1992 an die Macht kam. Letzte Woche gab das Innenministerium bekannt, die Sicherheitskräfte hätten Nasarsoda selbst und mindestens elf weitere seiner Gefolgsleute getötet.
Partei geht auf Distanz
Ob zwischen dem Verbot der islamischen Partei und den Angriffen ein direkter Zusammenhang besteht, ist nicht klar. Nasarsoda soll zwar früher auch Mitglied der PIWT gewesen sein. Aber die relativ gemässigte Partei, die auch den säkularen Charakter Tadschikistans anerkennt, hat sich inzwischen von den Angriffen distanziert. Laut dem in Australien ansässigen Landeskenner Christian Bleuer könnte Nasarsodas Vorgehen deshalb weniger vom Verbot der PIWT als von der drohenden Verhaftung ausgelöst worden sein. «Das Leben in einem tadschikischen Gefängnis ist entsetzlich», schreibt er.
Seit achtzehn Jahren ist die PIWT in der Regierung vertreten. Das war das Ergebnis eines 1997 geschlossenen Friedensabkommens, das den fünfjährigen Bürgerkrieg zwischen der Regierung und der Vereinigten Tadschikischen Opposition (UTO) beendete. Der Krieg hatte bis zu 100 000 Tote und Zehntausende Vertriebene gefordert. Die UTO, deren stärkste Kraft die islamische Partei war, bekam 1997 ein Drittel aller Regierungsämter.
In den letzten Jahren trieb Rahmon die PIWT und alle anderen OppositionsvertreterInnen jedoch nach und nach unter verschiedenen Vorwänden aus der Regierung. Das hat sicher politische Ursachen – aber die vorgeschobenen kriminellen Vergehen mussten meist gar nicht erfunden werden. Tadschikistan ist ein zentrales Durchgangsland für den Schmuggel, etwa von Drogen und Edelsteinen aus Afghanistan. Bei dem Handel haben viele in der Regierung und im Militär ihre Hände im Spiel – und nicht nur die Opposition.
Gegen Oppositionelle jeder Couleur
Mitte 2013 gerieten die Abmachungen des Friedensabkommens von 1997 zusätzlich unter Druck. Bei einem Fernsehauftritt hatte Präsident Rahmon erklärt, die PIWT stehe in Widerspruch zum nationalen Interesse. Gleichzeitig entliess die Regierung den Anführer der bis dahin verfolgten SalafistInnen aus der Haft. Dieser griff umgehend die PIWT an – mit dem Argument, der Islam kenne keine Parteien und die PIWT sei deshalb unislamisch.
Später begann eine Kampagne, bei der PIWT-Mitglieder mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bedroht und so gezwungen wurden, sich öffentlich von der Partei zu distanzieren. Es kam sogar zu Mordanschlägen. Bereits 2011 war im Osten des Landes ein örtlicher Parteiführer unter dubiosen Umständen ums Leben gekommen. Immer mehr Parteibüros mussten schliessen – nach Brandanschlägen und (wohl orchestrierten) Protesten der «Bevölkerung», wie im Juni dieses Jahres in der nördlichen Provinz Soghd.
Auch andere Oppositionskräfte werden in Tadschikistan zunehmend verfolgt: In der Vergangenheit sind RegierungskritikerInnen wiederholt im Ausland – oft in UdSSR-Nachfolgestaaten – verhaftet worden. So etwa im Februar 2012 der in die Ukraine geflohene Exministerpräsident Abdumalik Abdullodschanow. Ähnlich erging es auch Said Saidow: Der Geschäftsmann und frühere Industrieminister hatte Mitte 2013 die Oppositionspartei Neues Tadschikistan gegründet. Nur eine Woche später wurde Saidow verhaftet und wegen angeblicher Vergewaltigung und geschäftlicher Unregelmässigkeiten zu einer Haftstrafe von 26 Jahren verurteilt. Seine Strafe wurde später noch einmal um drei Jahre verlängert. Omar Ali Kuwatow, der 2012 in Moskau die oppositionelle Gruppe 24 gegründet und die Regierung der Korruption beschuldigt hatte, wurde mithilfe internationaler Haftbefehle erst aus Moskau und dann aus Dubai vertrieben. Er ging nach Istanbul – und wurde dort im März 2015 von Unbekannten ermordet.
Vor zwei Jahren einigten sich die PIWT und die sozialdemokratische Opposition dann auf die Menschenrechtlerin Oinikhol Babanasarowa als Gegenkandidatin zu Rahmon für die Präsidentschaftswahl. Doch der politische Druck der Regierung führte dazu, dass sie nicht genügend Stimmen für ihre Registrierung bekam und deshalb nicht antreten konnte.
Die Wahlen als «Farce»
Bei den Wahlen im März dieses Jahres verlor die PIWT dann ihre letzten zwei Parlamentssitze. Auch die Kommunistische Partei (KP), die andere bis dahin im Parlament vertretene Oppositionskraft, schaffte die Fünfprozenthürde nicht mehr, genauso wenig wie die SozialdemokratInnen und die Demokratische Partei, Letztere im Bürgerkrieg Teil der Anti-Rahmon-Koalition. Neben der Partei von Präsident Rahmon schafften es nur drei andere Kräfte ins Parlament: die Agrarpartei, die SozialistInnen und eine Wirtschaftsreformpartei. Sie alle halten dem Staatsoberhaupt die Stange und werden im Land als «Taschenparteien» bezeichnet. Europäische BeobachterInnen sprachen im Nachgang von «Wahlen in beschränktem Handlungsspielraum». KP-Chef Schodi Schabdalow nannte die Wahlen eine «Farce». Trotzdem sah die PIWT nach dem mutmasslichen Wahlbetrug von Demonstrationen ab, um eine Konfrontation zu vermeiden.
Ende August wurde der Hauptsitz der PIWT in Duschanbe dennoch versiegelt, ihre Zeitung geschlossen. Als die Partei bei einer Pressekonferenz protestieren wollte, wurde ihr der Strom abgestellt. Anschliessend verbot die Regierung die PIWT – ausgerechnet mit der Begründung, sie sei nicht mehr landesweit präsent. Nun kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass sich vor allem radikalere jüngere Mitglieder der Partei sowie ehemalige Bürgerkriegskommandeure in die Ecke gedrängt fühlen und zu den Waffen greifen.
Auf dem Weg in die Diktatur
Die Regierung treibt derweil auch die Angst vor dem Islamischen Staat (IS) um: Im April war Gulmurod Halim, der Kommandeur der tadschikischen Sonderpolizei Omon, verschwunden. Ausgerechnet in einem angeblich in Syrien aufgenommenen Video des IS tauchte er später wieder auf. Danach begann Präsident Rahmon, die PIWT in die Nähe des IS zu rücken. Zudem verstärkte Duschanbe den Druck auf religiöse TadschikInnen. Unter Achtzehnjährigen ist es schon seit einigen Jahren gesetzlich verboten, Moscheen oder islamische Schulen zu besuchen. An Arbeitsplätzen darf nicht gebetet werden.
Die Medien starteten derweil eine Kampagne gegen Frauen, die sich verschleiern. PolizistInnen nahmen immer wieder bärtige junge Männer fest. Die Internetplattform Global Voices veröffentlichte mehrere solcher Vorfälle – und manchmal trifft es nicht strenggläubige Muslime, sondern bärtige Hipster oder russische Orthodoxe. Ende August kam der 23-jährige Student Omar Bobodschonow nach einem solchen Übergriff ums Leben. Er soll zusammengeschlagen worden und später im Spital gestorben sein. Über hundert Menschen protestierten daraufhin vor dem Krankenhaus. Auch dieser Vorfall könnte die bewaffneten Angriffe in Wahdat und Duschanbe ausgelöst haben.
Ebenfalls Ende August wurden im Süden des Landes etwa zwanzig Menschen – darunter der über siebzigjährige Leiter eines örtlichen PIWT-Büros – festgenommen, nachdem ein paar Jugendliche auf der Strasse schwarze IS-Flaggen gehisst hatten.
Die Führung in Duschanbe scheint nun denselben Weg zur Diktatur zu gehen wie einst das benachbarte Usbekistan. Auch dort hatte sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine gemässigte Opposition etabliert – die dann aber verboten wurde und sich anschliessend radikalisierte. Die bewaffnete Islamische Bewegung Usbekistans arbeitete in den späten neunziger Jahren mit den Taliban in Afghanistan zusammen, floh nach deren Sturz 2001 nach Pakistan und hat inzwischen dem IS Gefolgschaft geschworen.
Mehr China im Land
Auch wirtschaftliche Sorgen plagen Tadschikistan: Aufgrund der Wirtschaftskrise in Russland sind die Überweisungen der Hunderttausenden tadschikischen GastarbeiterInnen geschrumpft. 2014 hatte das Geld aus Russland noch fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht. Allein 2015 wird mit einer Abnahme der Überweisungen um vierzig Prozent gerechnet. Kein anderes Land der Welt ist so stark von solchen Überweisungen abhängig wie Tadschikistan.
Derweil dehnt China, der grösste Kreditgeber und Investor Tadschikistans, seinen Einfluss auf die dortige Wirtschaft aus: Anfang September rettete Beijing etwa mit einem 500-Millionen-Dollar-Deal die Landeswährung Somoni vor dem Zusammenbruch.