Aufstieg der AfD: Ein neues Einfallstor für die Rechtsradikalen
Die Alternative für Deutschland bedient eine frustrierte wie ratlose Klientel und artikuliert Politverdrossenheit im Wutgebrüll der Fremdenfeinde. Das allein ist aber noch keine Politik.
Im Frühjahr 2013 entstand als Reflex auf die Eurokrise eine neue bürgerliche Partei rechts des etablierten Spektrums, die Alternative für Deutschland (AfD). Mit beträchtlichem Erfolg bündelte sie Protestpotenzial gegen den Euro und gegen «Brüssel» – und gewann AnhängerInnen mit der populistisch intonierten Sehnsucht nach einer Wiederkehr des Nationalstaats.
Im Herbst 2013 verfehlte die AfD ganz knapp den Einzug in den Bundestag. Mit dem Plädoyer gegen Zuwanderung und für die Bewahrung «abendländischer Kultur», Feindseligkeit gegen MuslimInnen und Parolen gegen eine als bürgerfeindliche Schimäre denunzierte «political correctness» zog die AfD ins Europaparlament und in die Landtage von Thüringen und Brandenburg. Jetzt ist sie auch in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz vertreten.
Zur veränderten politischen Szenerie in Deutschland gehört die Türöffnerfunktion, die rechte Gruppierungen für den Rechtsextremismus haben. Das zeigt die skurrile Pegida-Bewegung, die es schafft, ohne Programm und überzeugendes Personal Tausende Missmutige auf die Strasse zu bringen. Wutmenschen demonstrieren montäglich mit geklauten «Wir sind das Volk»-Parolen gegen die Idee der Toleranz, offenbaren ein krudes Weltbild aus Fremdenhass und Zorn gegen die Obrigkeit. Sie zeigen sich als Underdogs, die sich ausgeschlossen fühlen, weil sie das System der repräsentativen Demokratie nicht akzeptieren wollen und die Möglichkeiten politischer Teilhabe verschmähen.
Verschwörungsfantasien lenken die Wut gegen Politikerinnen und Bürokraten, beschwören Argwohn gegen die «Lügenpresse». Die Probleme Europas und die Realität der Globalisierung erzeugen den Wunsch nach nationalstaatlicher Geborgenheit, die aber auch Ausgrenzung und Abwehr von «Fremden» bedeutet. Als gemeinsamer Nenner gefühlter Ängste und plagender Sorgen dient das Feindbild Islam. ScharfmacherInnen predigen Islamfeindschaft und Nationalismus, bedienen damit Existenzängste und Frustrationen.
Kleingeredet und weggeschaut
Die Politik hätte früher und entschiedener auf diese Entwicklung reagieren müssen. Das Pamphlet des Sozialdemokraten Thilo Sarrazin hat die SPD nicht so irritiert, dass sie ihn für sein sozialdarwinistisches, muslimfeindliches Elaborat «Deutschland schafft sich ab» aus ihren Reihen geworfen hätte. Viel zu lange wurde beschönigt, kleingeredet, weggeschaut. Man war vor allem um Streicheleinheiten und Mitleid für die erzürnten BürgerInnen bemüht. Die Haltung, man müsse die Leute dort abholen, wo sie stünden, führte dazu, dass die AbholerInnen bei den Protestierenden stehen blieben.
Die Pegida-Gefolgschaft und die WählerInnen der AfD legen Wert auf bürgerlichen Habitus und wollen sich nicht als rechtsextrem beschimpfen lassen. Begreifen sollten sie aber: Die Lehren aus der Katastrophe des Nationalsozialismus müssen für den Umgang mit allen Minderheiten gelten. «Fremde» dürfen nicht als Störenfriede spiessbürgerlichen Behagens und dumpfpatriotischen Selbstgenügens stigmatisiert werden. Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Stress der Wende 1992 war ein Menetekel. Brennende Wohnheime von AsylbewerberInnen, grölende und gegen verängstigte Flüchtlinge pöbelnde DorfbewohnerInnen wie in Clausnitz, jubelnde Fremdenfeinde in Bautzen, die die Feuerwehr beim Löschen einer brennenden Flüchtlingsunterkunft behindern – das alles sind Zeichen einer Menschenfeindlichkeit, die zutiefst erschreckt.
RechtspopulistInnen, die sich in Sekten zusammenfinden und wieder auseinanderlaufen, sich spalten und neue Bünde gründen, sind nicht «das Volk». Sie kultivieren die Schmähung des Gegners anstelle von Diskurs, genügen sich in stummer Verweigerung, statt Argumente auszutauschen, und pflegen Gemeinsamkeit durch Hasstiraden. Sie ersetzen konstruktive Ideen durch stumpfes Bramarbasieren und Wutgeheul. Doch mit Hassparolen wird man kriminell – Volksverhetzung, Beleidigung, Rassismus sind nicht Politik.
Chauvinistisch, völkisch, konservativ
Was bedeutet der Wahlerfolg der AfD? Ist es ein Sieg irrationaler VerweigerInnen, ein Rechtsruck in Deutschland? Leitet er den Rückzug in die nationalstaatliche Idylle ein? Die AfD hat sich nach dem Verlust ihres wirtschaftsliberalen Flügels radikalisiert, auf Gründer Bernd Lucke folgte die neue Parteichefin Frauke Petry, die ihre Gefolgschaft beherrscht und Sprachregelungen verkündet, die politischen Inhalt ersetzen. Petry ist das Gesicht einer Partei, deren übriges Personal überwiegend unbekannt und farblos ist und deren Programm nur Protest ist.
Man fragt sich, was die vielen neuen MandatsträgerInnen in den drei Landtagen künftig bewegen wollen. Bislang haben sie in Thüringen vor allem chauvinistische und völkische und in Brandenburg nationalkonservative Phrasen gedroschen und demonstriert, dass sie gegen alles sind, was sie als Establishment empfinden.
Die AfD ist gegründet worden von einem Ökonomieprofessor, der den Euro abschaffen wollte und die (gar nicht taufrische) Idee nationalstaatlicher Enge propagierte. Nach seinem Rauswurf im Sommer 2015 hat die Partei mit der «Flüchtlingskrise» ihr Thema gefunden, schillert nun im politischen Spektrum von deutschnational bis rechtsextrem. Zur Erinnerung: Die Deutschnationale Volkspartei des Geheimrats Alfred Hugenberg war nach dem Ersten Weltkrieg die Partei der bürgerlichen TotengräberInnen der Weimarer Republik, sie war Steigbügelhalterin Hitlers und konservative Bündnispartnerin der NSDAP. Übrigens ist die Partei daran schliesslich zugrunde gegangen.
Die AfD hat keine Bündnisangebote, bedient lediglich eine Klientel am rechten Rand des politischen Spektrums, das Rechtsradikalen als Einfallstor dient und Pegida als parlamentarische Basis. Umgekehrt artikuliert sie Politikverdrossenheit im Wutgebrüll der Fremdenfeinde vor Asylunterkünften und bedient Frustrierte und Furchtsame mit Parolen. Das allein ist noch keine Politik. Umso mehr sind die demokratie- und politikfähigen Parteien gefordert.
Wolfgang Benz
Der 74-jährige Wolfgang Benz ist ein deutscher Historiker und NS-Forscher und lebt in Berlin, von 1990 bis 2011 leitete er dort das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität. Einige seiner Bücher gelten als Standardwerke, darunter die «Enzyklopädie des Nationalsozialismus» (1997) und «Was ist Antisemitismus?» (2004).
Benz beschäftigt sich auch mit dem Verhältnis zwischen Antisemitismus und Islamophobie und äusserte sich unter anderem öffentlich zum Schweizer Minarettverbot.