Wichtig zu wissen: Brave Revolutionäre
Ruedi Widmer analysiert das neue Parlament
Die rechtskonservative Revolution in der Schweiz hat begonnen. Der linke Staat muss geschleift werden. Doch die erwarteten Fackelmärsche, Hassreden und Saalschlachten bleiben aus. Man trägt Krawatte und arbeitet.
Diese Revolution ist nämlich nur eine neue Staffel jener bürgerlichen und adretten Revolution, die seit über 150 Jahren in der Schweiz täglich wie ein Uhrwerk läuft. Von ihr hört man nur ein leises Ticken.
Ganz brav sassen letzte Woche die Revolutionäre auf ihren Nationalratssesseln. Ihr Puls war ruhig, ihr Plan in Excel-Tabellen auf dem Laptop gespeichert. Eine sehr reiche rechte Revolutionärin, deren Urgrossvater (obwohl Deutscher) schon in Marignano gekämpft hatte, zog zwar am Rednerpult einen Lätsch, aber der war nicht zu vergleichen mit den Lätschen, die die linken Konterrevolutionäre machten, als sie langhaarig die Macht im Staat übernahmen und splitternackt in den Ratssesseln hingen.
Wegen dieser Kommunisten, die nach 1968 das Parlament mit ihren Sit-ins blockierten, sodass die Bundesräte über heroinspritzende Nationalräte steigen mussten, wenn sie zum Rednerpult gelangen wollten; wegen dieser Kommunisten war die Schweiz in den letzten zwanzig Jahren des Kalten Kriegs und bis am 18. Oktober 2015 quasi eine Sowjetrepublik, deren diktatorische Launen das Schweizer Bürgertum an den Hang des Zürichbergs hinauf- und an den Rand des Zürichsees zurückdrängten.
Die ganze Schweizer Politik war aus Sicht des ewigen rechten Revolutionärs nach 1970 linksradikal: In der RS durfte man nur noch im Schiessstand schiessen, damit ja keiner erschossen wird. In der Schule musste der Lehrer den Schülern Rechnen und Sprache beibringen, statt sie zu verprügeln. Plötzlich gab es Frauen. Plötzlich mussten unsere Schweizer Bauern in Fabriken malochen, statt das Feld zu bestellen. Die Machtzentrale war nicht mehr die Berner Wandelhalle, sondern die Berner Reithalle.
Zurück zu den Tugenden der Vorkriegszeit. Zurück zur Technik des 19. Jahrhunderts. Zurück zur frauenlosen Gesellschaft.
Es werden die Steuererleichterungen für Konzerne weiterverfolgt, die schon begannen, als noch Säbelzahntiger unsere Strassen unsicher machten – und selbstverständlich weiterliefen, als die bürgerlichen Revolutionäre sagten, die ganze Politikergilde von links bis rechts in Bern sei links, von Moskau gesteuert, später von Brüssel.
Es werden für eine halbe Milliarde Franken Armeefahrzeuge saniert, die schon seit zwanzig Jahren (!) im Einsatz stehen. Es werden AKWs weiterbetrieben, die schon beim Rütlischwur den Strom lieferten. Die Sicherheit der Bevölkerung ist dem Bund aber wichtig und wird mit dem Bau der zweiten Gotthardröhre garantiert. Falls Beznau in die Luft fliegt, geht das Volk in die Röhre. Dort ist es vor den Strahlen geschützt.
Es wird endlich wieder deutlich gesagt, dass neunzig Prozent der Schweizer Bauern sind. Sie sollen zurück aus den Arbeitslosenstatistiken, Büros und Fabriken der Städte in die Dörfer, aus denen sie einst von den Kommunisten vertrieben wurden, um dort die Arbeiten zur Ernährungssicherheit auf den verlassenen Feldern wieder aufzunehmen. Schliesslich geben die bürgerlichen Vögte nicht vergebens so viel Geld für die Landwirtschaft aus. Die Leute müssen schon auch mitmachen.
Ruedi Widmer war Bauer, bevor er 1973 in Winterthur geboren wurde.