Listenverbindungen 1933: Die Wahlschlacht von Zürich

Nr. 37 –

Nach der Machtergreifung durch die Nazis im Januar 1933 paktieren die bürgerlichen Parteien in Zürich mit der faschistischen Nationalen Front. Im städtischen Wahlkampf flirten sie mit dem faschistischen Gedankengut – doch dank der Linken scheitert der Testlauf für künftige Bündnisse.

Plakat der Nationalen Front für den Stadtzürcher Wahlkampf 1933
Vereint gegen die Linke: Plakat der Nationalen Front für den Stadtzürcher Wahlkampf 1933. Plakatsammlung Museum für Gestaltung, Sozialarchiv Zürich

Es ist bereits dunkel, als sich um acht Uhr abends ein unheimlicher Zug vom Utoquai auf den Weg durch die Stadt Zürich macht. An der Spitze läuft ein Musikkorps mit Trommeln und Trompeten, dahinter in Dreier- und Viererreihen je nach Quelle zwischen 1200 und 2000 Männer mit Fackeln in der Hand. Es sind Vertreter der bürgerlichen Parteien Zürichs, des Freisinns und der Christlich-sozialen Partei, der Bauern- und Gewerbepartei und wohl auch einige der Evangelischen Volkspartei. Mit ihnen marschieren in weitaus grösserer Zahl die Faschisten der Nationalen Front, angekarrt aus dem ganzen Land.

Wir schreiben den 23. September 1933. Am nächsten Tag wählt die Stadt Zürich ihr Gemeindeparlament und ihre Regierung. Erstmals können auch die Bewohner der eben eingemeindeten Vororte Seebach, Affoltern, Oerlikon, Schwamendingen, Wipkingen, Höngg, Albisrieden und Altstetten mit abstimmen. Der Wahlkampf wird intensiv, ja gehässig geführt – er geht als «Wahlschlacht von Zürich» in die Geschichte ein. Aufgrund der Wirtschaftskrise ist die Zahl der Arbeitslosen stark angestiegen, es herrscht Wohnungsnot, und die Beschäftigten klagen über sinkende Löhne. Es ist eine Richtungswahl, nicht nur für die Stadt: Die ganze Schweiz schaut auf Zürich. Die grosse Frage ist, ob es die Sozialdemokraten schaffen, ihre absolute Mehrheit im Gemeinde- wie im Stadtrat zu verteidigen – ob Zürich rot bleibt.

Und ebenso sehr interessiert, wie die faschistische Nationale Front abschneidet, die nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland im Januar zuvor im Aufwind ist. Die Bürgerlichen haben sich, mit Ausnahme der Demokraten (die heute zusammen mit den Freisinnigen Teil der FDP sind), zu einer Listenverbindung mit der Nationalen Front zusammengeschlossen – mit jener Partei also, die den faschistischen Machthabern in Italien und Deutschland nacheifert, die gegen Linke, Jüd:innen und Freimaurer hetzt, aber auch den Liberalismus verdammt und erklärtermassen die parlamentarische Demokratie abschaffen will.

«Marxisten aufs Maul»

Der Fackelzug der «vaterländischen Parteien», wie sie sich selber nennen, bleibt in der Innenstadt unbehelligt. Doch kaum überquert er die Stauffacherbrücke über die Sihl, ändert sich die Lage schlagartig. Der Zürcher Regimentsmarsch, den das Musikkorps anstimmt, geht «im Tohuwabohu unter», wie die freisinnige «Zürichsee-Zeitung» später berichtet. Die ebenfalls freisinnige NZZ schreibt von «Hurorengebrüll, Pfiffen, Beschimpfungen und Unflätigkeiten widrigster Art», die dem Zug von Männern, Frauen und sogar Kindern entgegengeschleudert werden – «Arbeitermörder, Schweinehunde und noch viel Schlimmeres». Hier im Arbeiterquartier Aussersihl warten seit über einer Stunde Tausende auf die Faschisten und ihre bürgerlichen Freunde. Die Langstrasse, das Zentrum des Quartiers, ist voller wütender Arbeiter:innen. Der rechte Fackelmarsch wird als gewaltige Provokation betrachtet, zumal in der Nacht zuvor Mitglieder der Nationalen Front Wahlplakate der SP in der Stadt überklebt und einen Plakatwächter bei einer Schlägerei schwer verletzt haben. Die Polizei hat elf Fröntler verhaftet sowie Stahlruten, Gummiknüppel und sogar eine Pistole beschlagnahmt.

lakat des Freisinns für den Stadtzürcher Wahlkampf 1933
Vereint gegen die Linke: Plakat des Freisinns für den Stadtzürcher Wahlkampf 1933. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich

Schon bald eskaliert die Situation vollends. Die NZZ schreibt von einem «Steinhagel», der auf die Fackelträger niedergeprasselt sei. Gemäss der «Zürichsee-Zeitung» hätten daraufhin die Angegriffenen ihre brennenden Fackeln «manchem Marxisten kräftig um die Ohren geschlagen und übers ungewaschene Maul gezogen». Laut dem sozialdemokratischen «Volksrecht» dagegen haben die Frontisten zuerst Fackeln ins Publikum geworfen, erst dann seien Steine geflogen. Wie auch immer: Die Polizei rückt an, nimmt Verhaftungen vor und versucht, die Lage zu deeskalieren.

Schnell wird klar: Der Fackelzug wird zum Fiasko. Viele bürgerliche Marschierer schleichen sich davon, das Musikkorps flieht mit seinen Instrumenten. Die Verbliebenen treten den Rückzug aus Aussersihl an. Viele Fröntler tragen ihre Fahnenstange ohne das dazugehörige Bannertuch heim, wie die NZZ schreibt. Doch auch in der Innenstadt sind sie vor den Antifaschist:innen nicht sicher. Noch am Limmatquai fliegen Steine, am Bellevue wird ihr Absingen der Nationalhymne vom Gesang der Internationale übertönt.

Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft

Die Verhinderung des bürgerlich-faschistischen Fackelzugs durch Aussersihl wird über Jahrzehnte einen wichtigen Platz im kollektiven Gedächtnis der Zürcher Arbeiter:innenbewegung einnehmen. Die Linke begreift den Faschismus von Anfang an als existenzielle Bedrohung, Gegenwehr als Notwendigkeit. Was in Deutschland bereits in den ersten Monaten nach der Machtübernahme Hitlers passierte, war in der Schweiz allgemein bekannt: die Abschaffung aller Grundrechte nach dem Reichstagsbrand vom 28. Februar, die darauffolgende systematische Verfolgung und Verhaftung Linker und kritischer Intellektueller, die Inhaftierung Zehntausender in neu errichteten Konzentrationslagern, das straffreie Verprügeln und Töten von Jüd:innen und Linken durch SA und SS, der Boykott jüdischer Geschäfte und Einrichtungen am 1. April und die Berufsverbote. Wer wollte, konnte wissen, was der Faschismus anrichtete.

Von den Verbrechen zeugten auch die weit über tausend Flüchtlinge, die bereits in den ersten Monaten nach Beginn der Nazidiktatur in die Schweiz kamen. Besonders Zürich wurde zum Anziehungspunkt für Kulturschaffende aus Deutschland. Die Schriftstellerin Erika Mann etwa liess sich mit ihrer Freundin, der Schauspielerin Therese Giehse, hier nieder. Zuvor hatten die beiden in München das Kabarett Pfeffermühle betrieben und den Nationalsozialismus dezent aufs Korn genommen.

Plakat des Freisinns
Gegen die rote Bedrohung: Plakat des Freisinns. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich

Die kommunistische Tänzerin und Schriftstellerin Jo Mihaly flüchtete mit ihrem jüdischen Mann, dem Schauspieler Leonard Steckel, sowie ihrem fünf Monate alten Kind nach Zürich. Sie hatten in Berlin zusammen in einer linken Künstlerkolonie gelebt, die zur Zielscheibe der Nazis geworden war. Steckel bekam in Zürich eine anfänglich schlecht bezahlte Anstellung beim Schauspielhaus, Mihaly wurde von den Behörden jede berufliche Tätigkeit untersagt. Asyl gab es nur für die wenigsten, meist prominente Politiker und Intellektuelle. Andere wurden geduldet, lebten aber in ständiger Angst vor der Ausweisung.

Faschismus, das belegen die Zürcher Wahlen im Herbst 1933 eindrücklich, wurde von vielen Bürgerlichen damals weit weniger als Bedrohung empfunden als von der Linken. Zwar wurden die Exzesse der Nazis durchaus kritisiert, doch sahen viele auch Positives. So heisst es etwa im Jahresrückblick der konservativen Evangelischen Volkspartei der Stadt Zürich von 1933: «Die kräftige Säuberung in Italien wie auch in Deutschland gegen Schmutz und Schund und Schwindel macht Eindruck und wir hätten in unserem Lande in dieser Hinsicht wirklich eine starke Hand und einen eisernen Besen nötig. Bis in die oberste Landesbehörde ist zu viel Nachgiebigkeit Mode geworden. Das alles bringt den ungestümen Fronten geistigen Oberwind.»

Die Sehnsucht nach einer autoritären Herrschaft war Anfang der 1930er Jahre im Bürgertum weitverbreitet. Neben der angeblichen Ordnung, die die Nazis Deutschland gebracht hätten, war es vor allem die systematische Zerschlagung der linken Parteien und Gewerkschaften, die vielen Bürgerlichen imponierte. Den «Marxismus» sahen sie als weitaus bedrohlicher an als den Faschismus. Deshalb war das Zusammengehen der bürgerlichen Parteien der Stadt Zürich auch nicht ein Zufall, sondern eine Art «Testlauf» für künftige Bündnisse mit den Rechtsextremen, wie der Historiker Christian Koller schreibt.

Die bürgerliche Dämonisierung der gesamten Linken ist besonders deshalb so irritierend, weil sich die Schweizer Sozialdemokratie dort, wo sie in der Regierungsverantwortung war, als Ordnungsmacht gegen die radikale Linke erwies und so eigentlich die Interessen des Bürgertums verteidigte. So liess der von der SP dominierte Zürcher Stadtrat im Mai 1932 eine Solidaritätsdemonstration mit streikenden Heizungsmonteuren mit Polizeiknüppeln auflösen, wobei dreissig Demonstrant:innen schwer verletzt wurden und einer starb.

Doch offensichtlich war den Bürgerlichen der Ordnungswille der SP nicht gross genug. Dass diese eine zaghafte materielle Verbesserung für die Arbeiter:innen und die Beschäftigten erreicht hatte und zu einem Machtfaktor geworden war, wollten sie nicht hinnehmen. Darum waren sie letztlich bereit, mit den Fröntlern gemeinsame Sache zu machen. Den Ton angegeben hatte dabei schon im Mai 1933 der freisinnige Zürcher Parteipräsident Heinrich Weisflog, der der Frontenbewegung in einer Rede am kantonalen Parteitag den richtigen «Grundton» attestierte. Es gelte, zusammen «unsere Ratssäle vom russischen Ungeziefer zu säubern». Und auch «in Hinblick auf das nächste Kriegsziel» sei eine Zusammenarbeit wünschenswert, «die Befreiung der Stadt Zürich von der roten Herrschaft».

Die Nationale Front dient 1933 als Sammelbecken für unterschiedliche rechtsradikale Strömungen, die zuvor getrennt marschierten: Ehemals freisinnige Jungakademiker finden sich in ihr wie Kleinbürger, die Opfer der grossen Wirtschaftskrise geworden sind. Es einen sie der Antisemitismus, die Demokratiefeindlichkeit und der Führerkult. Ihr Schlachtruf lautet «Harus», wie ihn heute auch sogenannte Freiheitstrychler:innen schreien. Rechtsradikale Organisationen, die in den 1930er Jahren oft das Wort «Front» in ihrer Bezeichnung führen und deshalb als Fronten bezeichnet werden, erleben 1933 in der Schweiz einen Aufschwung, den «Frontenfrühling». Die Säle, in denen sie ihre Veranstaltungen abhalten, sind brechend voll. Die Suggestivkraft Hitlers und seiner braunen Bewegung zieht auch hierzulande viele an. Für die grosse Wirtschaftskrise machen auch viele Fröntler die Jüd:innen und Freimaurer verantwortlich. Mit Begriffen wie «Volksgemeinschaft» und der Ablehnung des alten «Parteiengegensatzes» stossen sie in neue Milieus vor. Laut dem Historiker Walter Wolf schliessen sich ihnen vor allem Männer zwischen zwanzig und vierzig Jahren an. Was sie anzieht, ist auch das Versprechen, die «Vorherrschaft der Alten» zu brechen.

Unternehmerfreunde und Rechtsextreme

Die Übergänge zwischen Bürgerlichen und Fronten, das zeigte der Wahlkampf von 1933 exemplarisch, sind fliessend. So gehört zum Zürcher Wahlbündnis die unternehmerfreundliche Eidgenössische Front ebenso wie der rechtsextreme Bund für Volk und Heimat. Gegründet wurde Letzterer 1933 von Eugen Bircher, Aargauer Arzt, Oberst und Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Bircher hatte schon 1919 den Vaterländischen Verband gegründet, einen Zusammenschluss von Bürgerwehren gegen die organisierte Arbeiter:innenschaft. Zudem war Bircher Mitgründer der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, heute SVP) seines Kantons. Der Bund für Volk und Heimat bedient sich eines völkischen Vokabulars und hetzt gegen die Freimaurer. Faschismus und Nationalsozialismus werden laut dem Historiker Christian Werner vom Bund abgelehnt, Antisemitismus nur hinter verschlossenen Türen ausgelebt. Der Einfluss des Bundes für Volk und Heimat hinter den Kulissen sei gross gewesen, so habe er über viele Mitglieder in der Industrie, den Banken und unter hohen Offizieren verfügt. In Zürich tritt er mit dem Slogan auf: «Tot oder frei? Brecht die rote Tyrannei.»

Ebenfalls am rechten Rand politisiert die Bauern- und Bürgerpartei. Sie tritt 1933 in der Stadt Zürich erstmals auf, ist aber mit der Bauernpartei des Kantons verbunden und diese wiederum mit der BGB. Die Wortwahl in ihren Wahlkampfbroschüren macht deutlich, wie nah sie den Fronten steht. So heisst es in ihrer Wahlzeitung «Abrechnung» in einschlägigem Ton: «Die heute mächtig um sich greifende nationale Bewegung hat namentlich im Stadtzürcher Bürgertum die Geister endlich wachgerüttelt. Es ist höchste Zeit, dass heute zum Rechten gesehen und der marxistische Unrat und gemeinschaftszersetzende Geist mit aller Entschiedenheit bekämpft wird.» Es gehe nun «um letzte und nationale Ziele».

Plakat der SP mit dem damaligen Stadtpräsidenten Emil Klöti
Emil Klöti soll es richten: Plakat der SP mit dem damaligen Stadtpräsidenten.  Schweizerisches Sozialarchiv Zürich

Auch bei der Christlich-sozialen Partei (CSP, heute Die Mitte), die vorgibt, klassenübergreifend die Katholik:innen Zürichs zu vertreten, zeigt sich 1933 eine eindeutig positive Bezugnahme auf den Faschismus und die Fronten. So heisst es in ihrem Parteiblatt «Neue Zürcher Nachrichten» im August, man stehe den Fronten «weit näher als der Freisinn». Insbesondere gefällt der CSP der von diesen propagierte Korporatismus, also eine «berufsständische Ordnung», bei der Unternehmer und Arbeiter in gemeinsamen Verbänden zusammengeschlossen sind. In ihrer Wahlwerbung propagiert die CSP «die wahre Volksgemeinschaft im christlichen Geist», «die Stärkung der Staatsautorität» und die «Ausrottung der Auswüchse der Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit». Auch die CSP sieht im «Marxismus» den Hauptfeind, schreibt vom «roten Terror» und «alles zersetzenden Klassenkampf».

Freisinnige argumentieren taktisch

Die Freisinnigen (heute FDP) sind damals in der Stadt Zürich die klar grösste bürgerliche Partei. Obwohl sie die Listenverbindung mit der Nationalen Front früh angestrebt haben, tun sie sich nicht leicht damit. Auch wenn der Freisinn inhaltliche Übereinstimmungen mit den Fronten zeigt, von «nationalem Wendepunkt» und «Volksgemeinschaft» schreibt, so distanziert er sich im Gegensatz etwa zur CSP und der Bauern- und Bürgerpartei in seinen Wahlbroschüren viel klarer von den Fronten und von deren Antisemitismus.

Die Freisinnigen geben vor, die Nationale Front aus taktischen Gründen einbinden zu wollen. Auch in Deutschland hätte man das viel früher machen sollen. Schuld am Aufstieg der Fronten trügen die Linken. «Deshalb müssen wir den Marxismus im Mark treffen, um zu verhindern, dass nationalistische Bewegungen ins Kraut schiessen.» Die Fronten seien Beleg dafür, «dass es in der Öffentlichkeit gewaltig gärt». Wenn die «skandalösen Zustände», die sich «unter den roten Machthabern herausgebildet haben», nicht mit dem Stimmzettel beendet würden, so «werden es die Fronten mit Gewalt besorgen».

Aufruf zur Kundgebung der «Vaterländischen» in Zürich
Nach rechts hin weit offen: Aufruf zur Kundgebung der «Vaterländischen» in Zürich. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich

Allerdings bleibt das Zusammengehen mit den Fronten in Zürich innerhalb des Freisinns umstritten. Kritik kommt namentlich von anderen Parteisektionen. So schreibt am 23. September die freisinnige «National-Zeitung» aus Basel: «Der Liberalismus verleugnet seine Ideen und paktiert mit seinem hasserfüllten Gegner. Er kämpft mit den Waffen aus dem Schlagwortarsenal einer ausländischen Waffenfabrik. Solch eine Entartung des politischen Kampfes führt zwangsweise in die Katastrophe.»

Die Sozialdemokraten haben angesichts des gehässigen Wahlkampfs einen relativ einfachen Stand. Sie können einerseits auf die Erfolge ihrer Politik verweisen und andererseits ihre bürgerlichen Gegner als Helfershelfer des Faschismus denunzieren. Auch die SP bestreitet den Wahlkampf mit viel Aufwand. So nimmt sie etwa verschiedene Reden ihrer Parteigrössen auf Schallplatte auf; wozu diese gebraucht wurden, ist heute nicht mehr bekannt. Ernst Nobs, damaliger Nationalrat und Chefredaktor des «Volksrechts», der später erster Bundesrat der SP wird, ist so noch heute zu hören, wie er den Bürgerlichen vorhält, «kein ernsthaftes kommunales Krisenbekämpfungsprogramm bekannt zu geben» und stattdessen eine «autoritäre Demokratie» einführen zu wollen – was es so wenig geben könne wie eine «monarchische Republik».

Tatsächlich ist die SP die einzige Partei, die mit einem «Sofortprogramm zur Bekämpfung der Krise» wirbt, Arbeitsbeschaffung für die 8000 Arbeitslosen der Stadt in Aussicht stellt, die Wohnbauförderung vorantreiben und die Altstadt sanieren will, den Bau eines städtischen Spitals plant. Die Kritik von der Kommunistischen Partei (KPS), sie habe mit ihrer Politik «reformistischen Verrat» betrieben, kann die SP relativ gelassen nehmen. Die KPS ist zu diesem Zeitpunkt schwach, nachdem sie während Jahren, getreu den Vorgaben der Kommunistischen Internationale und Josef Stalin, die Sozialdemokrat:innen als «Sozialfaschisten» bezeichnet und damit vermutlich eher den wahren Faschisten in die Hände gespielt hat.

Das rote Zürich hält

Die Wahl am 24. September endet mit einem Sieg der SP. Sie kann ihre absolute Mehrheit sowohl im Stadtrat wie im Gemeinderat verteidigen. Die Stimmbeteiligung liegt in den meisten Wahlkreisen bei über neunzig Prozent. Den Sozialdemokraten gelingt es, insbesondere auch in den neuen Stadtkreisen 9, 10 und 11 zu punkten. Das grösste Fiasko erleidet der Freisinn, der 7 seiner 35 Sitze im Gemeinderat verliert, die Fröntler gewinnen 10 Sitze. Die KPS verliert 4 von 6.

Das rote Zürich hat gehalten. Der Testlauf der Bürgerlichen ist gescheitert. Die NZZ gesteht ein, dass das Bündnis mit den radikalen Fronten eine schwere Belastung dargestellt habe. Während die CSP noch ein Jahr am Bündnis mit den Fronten festhalten wird, distanzieren sich die Freisinnigen nun davon. Die SP wird ihre Mehrheit im Stadtrat bis 1949 behalten, im Gemeinderat jedoch verliert sie bereits 1937 entscheidende Sitze an den neu entstandenen Landesring der Unabhängigen von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler.

Zündholzbriefchen der SP
«Dass dir ein Licht aufgeht …»: Zündholzbriefchen der SP. Schweizerisches Sozialarchiv Zürich

Für die immer mehr werdenden deutschen Flüchtlinge ist das Resultat von 1933 ein Segen, auch wenn nur wenig dazu überliefert ist, wie sie die Wahlschlacht von Zürich aufgenommen haben. Der Schriftsteller Klaus Mann, der seiner Schwester Erika nach Zürich gefolgt ist, schreibt am 23. September, dem Tag des Fackelzugs, in lakonischem Ton in sein Tagebuch: «Auf den Strassen: der Wahlrummel, so abgestanden, degoutant. Reprise des Deutschen. Nichts dazugelernt. Die drohenden Fronten.» Und am nächsten Tag: «Das Resultat der Wahlen – günstig. Niederlage der Fronten.»

Eine Woche später eröffnen Erika Mann und Therese Giehse ihr Kabarett Pfeffermühle im Hotel Hirschen im Niederdorf neu. Das Programm des Exilkabaretts ist ein voller Erfolg und wird von der Zürcher Presse gefeiert. Die Zürcher Polizei wird die «Pfeffermühle» in den folgenden Monaten mehrmals vor Angriffen der Fröntler beschützen müssen, die sich über die nazifeindlichen Nummern enervieren. Ebenso Schutz vor den Faschisten braucht das Schauspielhaus, das aufgrund der vielen nach Zürich geflüchteten deutschen Schauspieler:innen und Regisseure bis Ende der Naziherrschaft zur wichtigsten Bühne des deutschsprachigen Theaters wird.

Es ist nicht zuletzt das Verdienst von «Pfeffermühle» und Schauspielhaus, dass in den kommenden Jahren auch im Schweizer Bürgertum die Abwehrhaltung gegen den Faschismus steigt.

Quellen:

Walter Wolf: «Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz 1930–1945». Flamberg Verlag. Zürich 1969.

Christian Werner: «Für Wirtschaft und Vaterland. Erneuerungsbewegungen und bürgerliche Interessengruppen in der Deutschschweiz 1928–1947». Chronos Verlag. Zürich 2000.

Christian Koller: «Vor 85 Jahren: Die ‹Wahlschlacht› um Gross-Zürich». www.sozialarchiv.ch. Im Anhang dieses Textes finden sich auch Links zu den Reden von Ernst Nobs und weiteren sozialdemokratischen Politikern.

Helga Keiser-Hayne: «Erika Mann und ihr politisches Kabarett ‹Die Pfeffermühle› 1933–1937». Rowohlt Verlag. Hamburg 1995.

Archive: Sozialarchiv, Staatsarchiv des Kantons Zürich.

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Kommentare

Kommentar von Philipp Horn

Fr., 15.09.2023 - 18:00

Wäre schön,wenn Ihr nicht von Machtergreifung schreiben könntet.Hitler ist demokratischen gewählt wurden & mit freundlicher Unterstützung des Zentrums usw ins Amt bekommen.

Kommentar von Graffe

Mo., 18.09.2023 - 23:14

Parallelen zu gegenwärtig existierenden Personen, Parteien und Bewegungen sind rein zufällig.