Wichtig zu Wissen: Bürgerl-Ich

Nr. 8 –

Ruedi Widmer über Mars, Maurer und Muslimversteher

Der Marsrover Perseverance ist auf dem Mars gelandet. Ein grosser Erfolg für die Nasa und die Esa. Nun werden weitere Missionen geplant, mit Flügen zum Bounty, zum Snickers und zum Twix. Der Twix liegt sogar ausserhalb des Milky Way. Im All reists sich noch grenzen- und quarantänelos.

Auf der Erde sollen Geimpfte reisen dürfen, Ungeimpfte nicht. So erhofft sich Schweiz Tourismus zusammen mit Partnerländern, die ebenfalls das Impfprivileg einführen, einen gegenseitigen Tourismus etablieren zu können. Die ersten beliebten Impfreisen für Schweizer führen per Car ins Elsass, ins Rhein-Mosel-Gebiet oder an den Christimpflmarkt Nürnberg. Angeboten werden im Auto zusätzliche Zwangsimpfungen, etwa gegen Destillerie- und Weinkrampf.

Roger National tweetete, der verstorbene rassistische, antisemitische und meist ausfällig talkende US-Radiomoderator Rush Limbaugh habe «Substanz und Humor» gehabt und sei «eine Art Einmann-Industrie des glasklaren Denkens» gewesen. Es gebe in Europa nichts Vergleichbares. Doch, es gibt hierzulande eine solche Einmann-Industrie des glasklaren Denkens («Weltwoche-Daily»). Das wollte Köppel natürlich damit sagen.

Es ist rechts überhaupt Mode, wie Limbaugh oder Trump zu sein. Ueli Maurer fühlt sich so zäh, dass er nur eine Impfung brauche. Doch Trump hätte gar keine Impfung genommen, und das ist eben der kleine, aber feine Unterschied zwischen dem strahlenden Leckt-mich-alle-am-Hintern-Showstar-Vorbild und seinen kleinbürgerlichen Fans hierzulande.

Die Wirtschaft ist den Bürgerlichen neuerdings das Wichtigste («Ochsen», «Löwen», «Frohsinn»), weil sie sich als Wirtschaftsparteien verstehen. Was meinen SVP, FDP und CVP eigentlich? Dass es den Beizern reicht, drei Wochen zu öffnen, um dann von der vierten Welle komplett davongeschwemmt zu werden? Denn Schadenersatz sehen die Wirte bei ausbleibenden Gästen dann auch nicht mehr. Den Bürgerlichen geht es eben nicht um den Wirt, sondern um den Berset.

Die Bürgerlichen überdies, die den im internationalen Vergleich nun wirklich lockeren Schweizer Lockdown leid sind und es kaum noch aushalten mit ihren vierköpfigen Schweizer Familien in ihren neunzimmrigen Grosswohnungen mit Aussicht auf den Zürichsee, sind das nicht jene, die im Kalten Krieg für die Betonindustrie Abertausende Schutzräume durchwinkten und gross trompeteten, die vierköpfige Schweizer Familie werde da drin jahrelang problemlos den radioaktiven Fallout durchstehen, mit Eile mit Weile, Ovi und Tonkonserven? Und von Militär, Patriotismus und Disziplin schwafelten?

Einst dachte ich, im Alter werde ich vielleicht mal etwas bürgerlicher wählen, aber das heutige wertschöpfende urbane Bürgertum wird von der Linken vertreten. Es klingt heute wie ein Witz: Die ETH wurde von Freisinnigen gegründet. Bürgerliche Tugenden wie Fleiss, Präzision, Anstand, Verantwortung für das Gemeinwohl und die schönen Künste, technischer Fortschritt, Forschung, Innovation sind heute vor allem im linken und grünliberalen Spektrum verankert. Einst linkes Outsider-Gebaren wie Wut, Protest, Radau, Fäkalsprache, Provokation, Trotz und Satire ist hingegen in die bürgerlichen Sphären gerutscht. Und das, obwohl die Bürgerlichen alle Schweizer Parlamente und Regierungen dominieren. Schwere Zeiten für die Juso und die Schweizer Satireszene.

Doch Protest mit Geld und Macht ist sinnlos, das dreht sich im Kreis, schraubt sich in den Untergang und zieht in seiner Aussichts- und Sinnlosigkeit alles herunter, was eine Gesellschaft ausmacht.

Ich bin noch nicht fertig mit dem Bashing: Sogar zu «Muslimverstehern» wurden die Bürgerlichen. Die Befreiung der muslimischen Frau ist das grosse Projekt der SVP, während sie unsere christlichen Schweizerfrauen hinter den Herd zurückprügeln will.

Ruedi Widmer ist Bürger von Winterthur.