SP Schweiz: Das Ende der «falschen Zurückhaltung»
Seit einem halben Jahr ist das neue Parlament in Kraft. Bereits sind die Auswirkungen der rechten Sparpolitik fatal. Die SP kündigt nun eine offensive Oppositionspolitik an. Ob das gut geht?
Christian Levrat will SP-Präsident bleiben. Das stellte er am Dienstag an einer Pressekonferenz rasch klar. Die schwierige Lage motiviere ihn. Er habe Lust. Jetzt erst recht. Es waren bewusst gewählte Worte der Entschlossenheit: Levrat versucht, sein Image des blassen Allianzenschmieders loszuwerden. Die SP also geht, sechs Monate nach dem Rechtsrutsch im Bundeshaus, in die Offensive. Aus Verzweiflung? Oder wittert die Partei in der rechts-rechten Übermacht tatsächlich eine Chance?
Klar ist: Der Rechtsrutsch hat sich in den ersten Monaten der neuen Legislatur etabliert. Pudelwohl scheint sich das neue rechtsbürgerliche PräsidentInnentrio aus Petra Gössi (FDP), Gerhard Pfister (CVP) und Albert Rösti (SVP) unter der Bundeshauskuppel zu fühlen. Die Fäden werden neuerdings ohne die Linken gezogen. Vorbei ist die Zeit, als die Linke Kompromisse erzielen und erfolgreiche Allianzen mit der Mitte schmieden konnte. Gerade mal fünfzehn Minuten brauchte die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK-N), um die Abschaffung der Stempelsteuer zu beschliessen. Es wäre nach der Unternehmenssteuerreform III ein weiteres Steuergeschenk an Grossunternehmen. Ein neuerlicher Steuerausfall, in der Höhe von 2,3 Milliarden Franken. Mit schlafwandlerischer Selbstzufriedenheit winkt die rechte Ratsmehrheit Steuergeschenke an Firmen, Reiche und vermögende BäuerInnen durch und betreibt gleichzeitig Raubbau am Sozialstaat: Vaterschaftsurlaub? Versenkt. Die mühsam ausgehandelten siebzig Franken AHV-Erhöhung? Viel zu teuer. Geld soll es nur noch für Strassen geben, fürs Militär und für die Landwirtschaft. Sparen wollen die Rechtsparteien bei der Bildung, der Entwicklungshilfe, den Renten.
Deprimierende CVP
SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi war bis vor kurzem Mitglied der nationalrätlichen Finanzkommission, wo die SVP und ihre treuen VasallInnen der CVP und FDP am radikalsten gewütet haben. Es waren deprimierende Monate für die Linken. Vor allem die Sache mit der CVP: Es sei kaum mehr jemand zu erreichen unter dem katholisch-konservativen Neoparteipräsidenten Gerhard Pfister. «Zwar beklagen sich einige über den neuen Kurs», sagt Gysi. Doch die sozialeren Kräfte der Christdemokraten wirkten wie paralysiert – unfähig, sich der Mehrheit entgegenzustellen oder anders abzustimmen, als es der Machtzirkel tut. Da kann die Lust auf linkes Parlamentarisieren schon einmal verschwinden.
Christian Levrat jedenfalls sieht keinen Grund, weiter auf Zugeständnisse der Mitteparteien zu warten. «Die Weichen sind in den letzten Sessionen ganz klar gestellt worden», sagte er an der Medienkonferenz. «Wir werden unsere Politik sicher nicht darauf ausrichten, den bürgerlichen Parteien zu gefallen.» Die SozialdemokratInnen stärken ihrem Parteichef den Rücken. Kritik an seinem Willen, die Partei in die Wahlen 2019 zu führen, ist kaum zu vernehmen. In der Krise versucht man entweder, die eigenen Reihen zu schliessen – oder es ist tatsächlich so, wie es der scheidende Juso-Präsident Fabian Molina sagt: «Innerhalb der Partei trauen wir Levrat zu, gute Oppositionsarbeit zu leisten.» Überhaupt vergässen die Leute viel zu schnell: Noch vor sechs Jahren, als die SP mit ihrem umstrittenen Parteiprogramm den Kapitalismus überwinden wollte, hätten viele Levrat für zu extrem befunden. «Er galt als zu gewerkschaftsnah und als zu wenig kompromissbereit.»
«Unsere Arbeit wird einfacher»
Bereits ist klar: Die SP wird das Referendum ergreifen gegen die Unternehmensteuerreform III wie auch gegen längere Ladenöffnungszeiten, gegen jeglichen Rentenabbau, gegen die Abschaffung der Stempelsteuer. Geschäfte, die man zu Fall bringen könnte, gibt es genug. «Für uns wird die Arbeit einfacher», sagt Fabian Molina. «Die Juso war schon immer laut und provokant.» Nun habe auch bei der Mutterpartei die Überzeugung eingesetzt, dass falsche Zurückhaltung nicht mehr angebracht sei. Die neue Legislatur hat für Molina einen klaren Vorteil: Die Fronten seien nun geklärt. «Die Bürgerlichen haben im Parlament die Zügel in der Hand. Unsere Aufgabe ist es, ihre Klientelpolitik auf Kosten des Volkes als solche zu entlarven.» Längst steht die Forderung an die SP im Raum: Man müsse wieder mehr zu einer Bewegung werden, Arbeit an der Basis leisten, Diskussionen führen, die WählerInnen mit eigenen Ideen überzeugen. Levrat betonte vor den Medien: «Wir haben bei der Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative viel gelernt.» 1500 neue Mitglieder hat die SP seit den letzten Wahlen dazugewonnen. Vielleicht auch deshalb der vorsichtig optimistische Blick in die Zukunft, die fast geschlossene Ankündigung des Präsidiums, bei der nächsten Wahl wieder anzutreten.
Die SVP auf der anderen Seite scheint derzeit nicht unangreifbar. Das Referendum über die Asylgesetzreform wird sie höchstwahrscheinlich verlieren, auch die «Milchkuh-Initiative» hat einen schweren Stand. Fast scheint es, als hätte die rechtsnationale Partei mit ihren Anliegen den Bogen überspannt – «wieder einmal», sagt Barbara Gysi. Von einem Fall der Überheblichen dürfe die Linke aber nicht ausgehen: «Diesen Fehler haben wir in der Vergangenheit oft genug gemacht.» Es wird wohl ein Drahtseilakt: Gewinnt die SP Referenden, kann ihr das auch im Parlament neuen Schwung verleihen. Verliert sie, stehen wirklich zappendustere Jahre bevor.