Theater: Misslungener Postenlauf

Nr. 21 –

Versprochen wurde eine Auseinandersetzung mit Elfriede Jelineks «Die Schutzbefohlenen». Doch schon der Ankündigungstext des Postenlaufs, den fünf Zürcher Theaterhäuser am Samstag zum Thema «Flucht und Grenzen» veranstalteten, deutete darauf hin, dass es sich um Etikettenschwindel handelt. Dass man sich am Text – wenn er überhaupt gelesen wurde – bedient, um ausgerechnet jene Betroffenheitsgeschichten und Repräsentationsfiguren zu basteln, die darin kritisiert werden. Denn der Text ist gerade nicht der Versuch, den Rechtlosen eine Stimme zu geben, wie es im Programmheft heisst. Angeregt durch die Besetzung der Wiener Votivkirche durch Asylsuchende im Jahr 2012, produzierte Jelinek eine oszillierende Rede, in der sich die Sprache aller Beteiligten in Floskeln auflöst und eine unheilvolle Eigendynamik entfaltet. Neben der Tragödie von Aischylos entstammt das Material grossenteils der Integrationsbroschüre «Zusammenleben in Österreich», die als gehaltloses Wertegefasel blossgestellt wird. Wie so etwas adäquat auf die Bühne gebracht werden kann, wurde am Samstag als Auftakt auf der Pfauenbühne gezeigt: Der kunstvoll rezitierten Rede wurde mit Schlagwerk und Klavier ein monotoner Grundbeat unterlegt, der die dumpfe Gewalt dieser Sprachmechanik spürbar machte.

Jene Kunstprojekte aber, die sich als politische Interventionen verstehen, lieferten ironischerweise mehr von diesem humanistischen Sprachmüll und zementierten die Rollenverteilung, die sie kritisch hinterfragen wollten. In der Gessnerallee versuchte man, durch Klartext und ein interaktives Lottospiel («Ein Spiel mit Menschenleben») die Realität der Flüchtlinge «in unsere Mitte» «auf unsere Bühne» zu holen. Um diese Transaktion zu garantieren, liess man in einer Videoeinspielung auch «die Flüchtlinge» zu Wort kommen. Ja, sagte der junge Mann aus Idomeni erwartungsgemäss, dieses Kunstprojekt sei eine sehr gute Aktion: «I feel exactly I am gambling with my life.» In der Winkelwiese zerlegten junge Laien Jelineks Text in eine dadaistische Performance. Dass einige der Edelstatisten Teil der Protestgruppe in der Votivkirche waren, ist berührend, aber warum hüpfen sie hier barfuss auf einem Teppich herum? Der Zürcher Theaterparcours zeigt vor allem eines: Ein relevantes Thema reicht nicht, um relevante Kunst zu machen.