Widerstand in Südafrika: «Wir führen einen richtigen Klassenkampf»

Nr. 24 –

Im August 2012 erschoss die Polizei in Marikana 34 Mineure, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten. Heute kämpft der anglikanische Bischof Johannes «Jo» Seoka für die Rechte der Minenarbeiter.

Bischof Jo Seoka: «Viele Schwarze glauben immer noch, dass die Weissen alles besser wissen, besser können.»

WOZ: Bischof Seoka, immer wieder reisen Sie nach Europa, um über die Zustände in den Platinminen von Marikana zu sprechen. Warum?
Jo Seoka: Der deutsche Chemiekonzern BASF ist der grösste Kunde der britisch-südafrikanischen Minenbetreiberin Lonmin, die in Marikana Platin schürft. Und ein Grossteil dieses Platins wird von BASF Metals in Zug gehandelt. Ich bin hier, um diesen internationalen Konzern zur Rede zu stellen. Bisher leider vergeblich.

Gibt es eine rechtliche Grundlage dafür?
Nein. Wir appellieren an das Verantwortungsgefühl der Verantwortlichen. Lange Jahre haben sie sehr viel Profit gemacht. Eigentlich hat BASF gute ethische Grundsätze, behauptet aber, von der Unzufriedenheit der Arbeiter nichts gewusst zu haben. Das halte ich für unmöglich.

Was hat Sie als Kirchenmann bewogen, sich mit den Mineuren zu befassen?
Ich war damals Kirchenratspräsident und Bischof von Pretoria; Marikana gehört in diese Diözese. Die anglikanische Kirche ist eine der wenigen Institutionen im Land, denen die Leute noch trauen, weil sie sich immer für die Unterdrückten eingesetzt hat.

Nun sind Sie pensioniert, setzen sich aber immer noch für die Leute von Marikana ein.
Das gelingt mir heute sogar besser! Als Freiwilliger bin ich unabhängig, kann etwa Joseph Mathunjwa, den Präsidenten der Gewerkschaft Amcu, unterstützen. Ich bin in der Marikana-Unterstützungskampagne und anderen Organisationen aktiv, setze mich auch für den Rücktritt von Präsident Zuma ein. Heute kann ich die Regierung ohne weiteres lautstark kritisieren.

Die meisten Leute vertrauen mir nicht primär wegen meiner kirchlichen Verbindung, sondern weil ich auf der Höhe des Konflikts mit den Mineuren auf dem Hügel war. Ich bin mit ihnen marschiert – und ich bin geblieben.

Was wollten die Mineure eigentlich konkret?
Sie wollten mit den Arbeitgebern sprechen – über Löhne, Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit und ihre Lebensbedingungen. Weil ihnen die Manager nicht zuhörten, wollte ich vermitteln. Aber die Manager meinten, mit Kriminellen wollten sie nicht verhandeln.

Tatsächlich wurden zu Beginn der Proteste zwei Sicherheitskräfte getötet.
Ja. Aber wer sie getötet hat, weiss niemand. Die Arbeiter sagen, dass auf sie geschossen worden sei. Erst dann hätten sie sich mit Macheten bewaffnet. Beim Versuch, einen Protest aufzulösen, wurden 34 Mineure durch Schüsse der Polizei getötet, viele wurden verletzt. Im Anschluss wurden Beweise gefälscht, Hunderte Bergleute inhaftiert und gefoltert, die Polizei sagte, sie habe in Notwehr gehandelt. Die Familien der Opfer erhielten nie eine Entschädigung, keiner der Verantwortlichen wurde verurteilt.

Die Bilder von Marikana erinnern an das Sharpeville-Massaker von 1960, als 69 DemonstrantInnen von Sicherheitskräften erschossen wurden.
Ja. Aber die Situation ist völlig anders. Das Apartheidregime damals war bösartig und ignorierte die Bedürfnisse der Leute. 52 Jahre später kam die Gewalt überraschend. Niemand glaubte, dass diese Regierung, die aus Menschen besteht, die sich einst für ihre unterdrückten Mitmenschen eingesetzt haben, zu so etwas fähig wäre.

Wie konnte es denn passieren?
Das verstehe ich bis heute nicht. Das Unterdrückungssystem mit seinen Segregationsgesetzen gibt es ja nicht mehr. Heute wissen die Arbeiter, dass sie zwar politische Freiheiten geniessen, dass diese aber nicht an wirtschaftliche Fortschritte geknüpft sind. Fatal ist, dass sich die politische Elite um Jacob Zuma primär um ihr Portemonnaie kümmert und nicht um die Menschen.

Fast täglich gibt es in Südafrika Demonstrationen gegen das Zuma-Regime.
Die meisten Leute haben einfach genug von dieser Korruption und dem Egozentrismus der wirtschaftspolitischen Elite. Ihnen geht es um fehlende Dienstleistungen und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Es fehlt an Elektrizität, an fliessendem Wasser und an guten Schulen.

Hat die Bevölkerung auch vom ANC genug?
In einigen Städten hat er Stimmen eingebüsst. Aber die meisten Leute sind loyal. Der ANC gilt immer noch als Befreiungsbewegung, als die Partei von Nelson Mandela und Thabo Mbeki. Für die Mehrheit ist nicht die Partei schuld, sondern ihre Repräsentanten – allen voran Zuma und seine Entourage.

Hat der ANC eine Zukunft?
Ganz sicher. Wichtig ist, dass sich die Spitze erneuert. Die Opposition ist stark verzettelt und gespalten. Sie wollten sich immer wieder zusammentun, haben es aber nicht geschafft.

Sie waren Vizepräsident des Black Consciousness Movement. Ergibt es heute noch Sinn, von «schwarzem Bewusstsein» zu sprechen?
Auf jeden Fall. Es geht ja nicht um die Hautfarbe. Das sind nur Pigmente. Es geht um die Denkweise und die Sozialisation. Die Lonmin-Manager, die nicht mit den Mineuren sprechen wollten, sind ja Schwarze. Aber sie haben das Verhalten der ehemals weissen Wirtschaftselite übernommen und sind – wie die Mineure – in ihren Mustern gefangen. «Race» muss habituell verstanden werden – wie «class» übrigens auch.

Auffallend ist, dass in den Untersuchungen des Massakers oft Weisse im Namen der Schwarzen sprechen.
Obschon es genügend schwarze Anwälte gibt, sprechen oft weisse Anwälte und NGO-Vertreterinnen für die Opfer. Sie glauben wohl, etwas zurückgeben zu müssen. Tatsächlich sind viele Schwarze benachteiligt, weil sie sich nicht so gut ausdrücken, nicht so selbstbewusst auftreten können. Das haben sie nie gelernt. Und dann sind sie überaus dankbar für etwas, das ihnen eigentlich genauso zusteht wie den Weissen. Und sie glauben immer noch, dass die Weissen alles besser wissen, besser können. Solche Verhaltensmuster sind verinnerlicht.

Wie kann diese Sozialisation aufgebrochen werden?
Mit Bildung. Aber das Bildungssystem ist marode: Schulen in Gebieten, in denen vorwiegend Schwarze leben, sind noch immer viel schlechter als die Schulen in reichen, traditionell weissen Gegenden. Wir führen hier einen richtigen Klassenkampf!

Ist die Durchlässigkeit der Klassengrenzen seit Ende der Apartheid nicht grösser geworden?
Es hat sich zwar eine schwarze Mittelschicht gebildet. Doch die fünfzig Reichsten besitzen zusammen mehr als der Rest des Landes. Es gibt sehr viele Arme, und die Schere wird grösser. Das vom ANC geförderte neoliberale Wirtschaftssystem zementiert die Klassen. Ich bin Sozialist und stehe ein für Gleichheit und Gleichberechtigung, fürs Teilen. Das ist theoretisch auch die Philosophie des ANC. Aber seit er an der Macht ist, wird akkumuliert statt geteilt. Das muss sich dringend ändern.