Von oben herab: Peng!

Nr. 25 –

Stefan Gärtner über eine gezielte Steuersenkung

Es muss im Sommer 2002 gewesen sein, dass ich in einer Schweizer (vermutlich Winterthurer) Wohnküche sass und irgendwelche dort wohnenden Herrschaften so lange wie leidenschaftlich über die «unfassbare Langweiligkeit» der «Neuen Zürcher Zeitung» in Kenntnis setzte. In der Wohnküche lag die NZZ, und der Leitartikel war so trantütig aus «Einerseits und andererseits», «Man müsste mal» und «Zu bedenken wäre» zusammengesetzt, dass ich mich ausserstande sah, meinen so unfreiwilligen wie konsternierten Zuhörern meine Fassungslosigkeit vorzuenthalten: Das könne doch auch in der konkordanten Schweiz nicht allen Ernstes als Journalismus durchgehen, das sei doch wohl eine Parodie, und zwar seien die dezidierten Meinungen der «Frankfurter Allgemeinen» sicher Scheissmeinungen, aber da habe es wenigstens einen Standpunkt, und mit Neutralität, beim Tell, könne man doch keine Zeitung machen!

Vielleicht hat die ubiquitäre Zunahme des Rüpeltums nun auch die Schweiz erreicht, vielleicht hätte ich damals einfach den Wirtschaftsteil lesen sollen; denn zum Thema «Unternehmenssteuerreform III» hat die gute alte NZZ eine klare Überzeugung, die sich freilich, wenn wir die Massstäbe des deutschen Pendants, der FAZ nämlich, anlegen, immer noch sehr friedvoll formuliert findet: «Der Treiber des Reformpakets ist die vom Ausland aufgezwungene Abschaffung von Steuerprivilegien für etwa 24 000 Firmen (unter anderem Holdings). Die Schweiz hatte mit diesen Privilegien gezielt mobile Tätigkeiten und Erträge angezogen, was namentlich die EU als ‹unfair› empfand. Aus Schweizer Sicht waren die Regeln ‹effizient›.» Des einen Freud, des anderen Leid: Der Zentralsatz des Kapitalismus, und der Tabakanbau in Afrika, der, wie mich das Magazin der «Süddeutschen Zeitung» informiert, Arbeiter verschleisst und Kinder (mit Nikotin) vergiftet, ist freilich auch effizient, denn Arbeit in Afrika kostet vielleicht das Leben derer, die arbeiten, aber sonst nicht viel.

Wo war ich? Ah, bei den Regeln: «Sie wirkten fast wie ein Zielfernrohr, da sie viel Steuersubstrat ins Land lockten, ohne dass die Steuereinnahmen des Fiskus aus weniger mobilen Erträgen stark tangiert waren. Die Reformvorlage begräbt das Zielfernrohr und bringt Ersatz-Instrumente, die weniger genau sind. Das heisst, es gibt mehr ‹Fehlschüsse› – Steuersenkungen für eher inlandorientierte Firmen, die auch ohne solche Senkungen im Land bleiben würden. Das erklärt die Prognosen über Einnahmeneinbussen. Der Hauptgrund für Einbussen sind nicht die neuen Instrumente, sondern der Wegfall des besagten Zielfernrohrs.»

Wenn diese Kolumne irgendwas bewiesen hat, dann, dass die NZZ metaphorisch eher nicht auf der Höhe ist. Ist sie hier aber schon, haben Zielfernrohre, als welche Schweizer (Sonder-)Regeln zur Unternehmenssteuer ausgemalt werden, ja ihren guten Sinn. Kapitalistisches Wirtschaften, in welchem der eine schiesst und die andere zur Strecke gebracht wird, ist ein wesensmässig asymmetrisches, und grad der Deutsche weiss (wenn ers denn wissen will), dass Effizienz und Moral nicht unbedingt Geschwister sind. Da kann die NZZ sich noch so sehr in ihrer helvetischen Tantigkeit gefallen und von «mobilen Tätigkeiten und Erträgen» aus Steuerflucht und Hedgefonds die träge Mitteilung machen: Jedes Steuerprivileg für Unternehmen ist ein Schuss, und wen er trifft, kann man sich denken.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.