Von oben herab: Böse Tanten

Nr. 29 –

Stefan Gärtner über die AfD-Werbung für die NZZ

War das nicht an dieser Stelle, dass ich von einem Abend bei Schweizer Bekannten schrieb, in dessen Verlauf ich an der Lektüre des evtl. langweiligsten Leitartikels der Pressegeschichte verzweifelt war? Ja, informiert mich mein Archiv, war es, und zwar am 23. März 2016, und der Leitartikel war einer aus der NZZ und, wenn das Selbstzitat erlaubt ist, «so trantütig aus ‹Einerseits und andererseits›, ‹Man müsste mal› und ‹Zu bedenken wäre› zusammengesetzt, dass ich mich ausserstande sah, meinen so unfreiwilligen wie konsternierten Zuhörern meine Fassungslosigkeit vorzuenthalten: Das könne doch auch in der konkordanten Schweiz nicht allen Ernstes als Journalismus durchgehen, das sei doch wohl eine Parodie, und zwar seien die dezidierten Meinungen der ‹Frankfurter Allgemeinen› sicher Scheissmeinungen, aber da habe es wenigstens einen Standpunkt, und mit Neutralität, beim Tell, könne man doch keine Zeitung machen!»

Tempi wohl passati, denn die NZZ hat sich unter Chefredaktor Eric Gujer mit derart dezidierten Scheissmeinungen hervorgetan, dass Alexander Gauland, Aushänge-Tweedsakko der beschissenen «Alternative für Deutschland», sich zu dem «Bonmot» («SonntagsBlick») berechtigt sah, die Schweizer Zeitungen seien «das neue Westfernsehen»; wie das Parteidummchen Beatrix von Storch jetzt einen Tweet verbreitet hat, mittels dessen die NZZ dafür warb, bei ihr zu volontieren und «das Handwerk des Qualitätsjournalismus» zu erlernen, und Storch versah ihren Service mit dem an u. a. den ZDF-Systemjournalisten Kleber und die ARD-Lügnerin Will gerichteten Kommentar: «Auf! Bewerben! Ein bischen [sic] Grundkenntnisse können nicht schaden!»

Wer sich also, Stichwort «Westfernsehen», neutral und unvoreingenommen informieren lassen will, der muss so wie damals ich zur «Neuen Zürcher» greifen, denn «die Deutschen müssen ihre Nation endlich lieben lernen» (NZZ), und da, wo die Deutschen sich endlich lieben müssen, «gewähren Gastschreiber dem ‹Volk› in seinem Widerstand gegen die Elite noch eine Lobby», wie der «SonntagsBlick» zwar holprig, aber aufschlussreich schrieb: Denn da winkt ja nun der Hase aus dem Pfeffer, wenn das Elitenblatt NZZ das Volk in seinem Elitenhass bei der Hand nimmt. Und nicht will man immer dieselben Kalenderweisheiten zitieren, aber dass Faschismus das Bündnis aus Mob und Elite ist, die gemeinsam gegen eine volksschädliche «Elite» vorgehen (Juda, Links, Europa), sei hier doch noch einmal hingepinnt.

Gujers Newsletter, in dem es wohl brisant gegen Brüsseler Bürokratie und falsche deutsche Flüchtlingspolitik geht, «gehört bei den rechtsnationalen Kadern längst zur Pflichtlektüre» («SonntagsBlick»), und auch das passt wies Füdli auf den Eimer, weiss die Herrschaft des Besitzes doch, wer Fleisch von ihrem Fleische ist – das Wirtschaftsprogramm der AfD ist astrein neoliberal –, wie sie ebenfalls weiss, mit welchen öden, immer selben Tricks sich der Hass derer umlenken lässt, die nichts besitzen oder genug, um nichts abgeben zu wollen; und auf wen. Und genau so sieht der Biedermann Gujer halt auch aus: als habe er die Streichhölzer in der Gilettasche.

Zwar hat sich die NZZ von Storchs Tweet distanziert («Mit uns hat das nichts zu tun»), aber ich kann mich nach der guten alten Tante NZZ als laut Distanzierung «liberale, neutrale Stimme» nicht zurücksehnen; es riecht da schlicht zu schweflig.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.