Kommentar von Pit Wuhrer: Ceta: Im Eilverfahren an der Demokratie vorbei
Das TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, wankt; der Widerstand ist enorm. Doch es gibt eine Hintertür.
Entsprang die Äusserung seinem Realitätssinn? Oder war sie ein geschickter Schachzug? Aufsehen erregte sie allemal: Am Wochenende erklärte der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP für «de facto gescheitert». Einen Tag später doppelten französische Politiker nach. Die Gespräche seien festgefahren, konstatierte Staatspräsident François Hollande, sein Handelsstaatssekretär Matthias Fekl fordert mittlerweile den Abbruch der Verhandlungen mit der US-Regierung.
Steht das TTIP vor dem Aus? Vieles deutet darauf hin. Nachdem die Umweltorganisation Greenpeace im Mai interne TTIP-Dokumente veröffentlichte, ist bekannt: Nach drei Jahren Geheimgesprächen und vierzehn Verhandlungsrunden konnte bisher in keinem der 27 Vertragskapitel eine Annäherung erzielt werden. Dabei drängt die Zeit. US-Präsident Barack Obama, ein strammer TTIP-Befürworter, sitzt nur noch bis Januar im Weissen Haus. Auf ihn folgen entweder Donald Trump, der sich klar gegen jede Form von Freihandel ausspricht, oder Hillary Clinton, die sich im Wahlkampf aus taktischen Gründen den TTIP-kritischen Positionen von Bernie Sanders angenähert hat – und diese später nicht einfach über Bord wird werfen können.
Dass es jetzt eng wird für das einst hochgelobte Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen, liegt freilich auch am massiven Widerstand von Umweltorganisationen, Verbraucherschutzverbänden und Gewerkschaften beidseits des Atlantiks. In der EU schlossen sich über 500 Initiativen und Gruppierungen zusammen, sammelten 3,5 Millionen Unterschriften gegen das TTIP und das EU-Kanada-Abkommen Ceta, initiierten die Kampagne «TTIP-freie Zonen» und mobilisierten über soziale Netze. So viel grenzüberschreitende Kooperation hat es in Europa schon lange nicht mehr gegeben.
Besonders im deutschsprachigen Teil der EU ist die Opposition massiv. Laut EU-offiziellen Umfragen lehnt die grosse Mehrheit der deutschen Bevölkerung das TTIP und das Ceta ab, in Österreich sind es über siebzig Prozent. Und es mobilisieren nicht nur die üblichen Verdächtigen: linke Basisorganisationen, die GlobalisierungskritikerInnen von Attac, die Kampagnenplattform campact.de oder Lobbycontrol. Sondern auch der Deutsche Kulturrat, das Hilfswerk Brot für die Welt, Sozialverbände, die UnternehmerInneninitiative «KMU gegen TTIP» und KleinbäuerInnen.
Sie alle kritisieren, dass Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards als «Handelshemmnisse» betrachtet werden, dass eine Fortschreibung der Verträge ohne Einbezug der Parlamente vorgesehen ist, dass über den sogenannten Investitionsschutz eine Paralleljustiz für Konzerne geschaffen wird. Diese sollen – das sieht etwa das ausgehandelte Ceta-Abkommen vor – Staaten verklagen können, wenn diese Massnahmen ergreifen, die zwar dem Gemeinwohl dienen, aber den Profit schmälern.
Die vielfach belegten Einwände, die Ablehnung durch die Gewerkschaften, selbst die scharfe Kritik des Deutschen Richterbunds – all das interessierte den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bisher wenig. Er ist ja auch für die Abkommen. Ceta, sagte er vor kurzem, sei «das beste Freihandelsabkommen der Welt». Doch seiner Partei steht die grösste Zerreissprobe seit Gerhard Schröders Sozialabbauprogramm Agenda 2010 bevor. Der linke Flügel und eine ganze Reihe von Landesverbänden haben sich mittlerweile gegen Ceta ausgesprochen; am 19. September entscheidet ein SPD-Sonderparteitag über das EU-Kanada-Abkommen. Also warf Gabriel eine Nebelkerze: Er konstatiert die Chancenlosigkeit des TTIP (das bisher im Fokus des öffentlichen Interesses stand), schiebt der US-Regierung die Schuld zu (sie sei in den Verhandlungen «kompromisslos») – und lobt gleichzeitig die kleineren Verbesserungen, die durch den Druck von unten am Ceta vorgenommen wurden.
Doch so recht nimmt ihm das niemand ab. Was auch daran liegt, dass die EU-Kommission das Ceta zuerst an den Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten vorbei beschliessen lassen wollte – um dann, als etliche Regierungen Einspruch einlegten, bekannt zu geben, dass das Abkommen noch im Herbst «vorläufig» in Kraft gesetzt werde, also noch vor der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente. Zudem hätten durch das Ceta alle US-Konzerne mit Niederlassungen in Kanada ihr TTIP.
Eine bessere Mobilisierungshilfe hätte sich die breite Anti-Ceta/TTIP-Bewegung für die seit langem geplanten regionalen Demonstrationen am 17. September kaum wünschen können. Möglicherweise ziehen in den sieben deutschen (und vier österreichischen) Städten noch mehr Menschen «für einen gerechten Welthandel» durch die Strassen als vor einem Jahr in Berlin. Damals waren es eine Viertelmillion.