Am Verlegerkongress: Im Zentrum der Pressemacht
WOZ-Kolumnistin Karin Hoffsten reiste als Wahlbeobachterin an die diesjährige Mitgliederversammlung des Verbands Schweizer Medien. Im Herzen des Pressewesens lernte sie einiges darüber, wie die Branche ihren Besitzstand wahrt.
«Surber hat keine Chance!», sagte Hanspeter Lebrument im «Klein Report», dem Mediendienst der hiesigen Kommunikationsbranche. Lebrument, zu jenem Zeitpunkt noch amtierender Präsident des Verbands Schweizer Medien (VSM), meinte mit diesem Verdikt WOZ-Kulturredaktor Kaspar Surber, der heuer für einen Sitz im VSM-Präsidium kandidierte. Die Kandidatur muss der Verbandsspitze so unheimlich gewesen sein, dass man schon in der Einladung zur 119. Mitgliederversammlung vorsorglich den Hinweis platzierte, man unterstütze sie nicht.
Die Ausgangslage machte mich neugierig. Also reiste ich morgens um acht mit dem Kandidaten und zwei Kolleginnen im überfüllten Zug stehend nach Luzern, wo der Arbeitgeberverband des Schweizer Zeitungswesens zur Jahresversammlung ins KKL lud.
Der erste Eindruck bei Kaffee und Gipfeli ist überwältigend: Herren reiferen Alters im Anzug, soweit das Auge reicht. Da wird viel auf Schultern geklopft, umarmt und laut gelacht. Man kennt sich. Auch unser Kandidat scheint trotz vergleichsweise jugendlichen Alters gut vernetzt und wird rundum freundlich bis sehr erfreut begrüsst. Die Damen fallen nicht weiter auf.
Die Versammlung beginnt mit Präsident Lebruments «letzter Rede», in der er betont, die Gattung der Rede wurzele im Journalismus und müsse drum über dessen edelste Merkmale verfügen: klare Botschaft und eindeutige Meinung. Keine Auseinandersetzung dürfe der Journalismus scheuen, und nur frei konkurrierende Medienhäuser verfügten über jenen unternehmerischen Wagemut, den die staatlich abgesicherte SRG vermissen lasse.
Im «Klein Report» hatte Lebrument zwar noch die Hoffnung geäussert, es werde «da und dort interessante Diskussionen geben», und darauf freue er sich, doch jetzt gehts ratzfatz. Ob Jahresrechnung und -bericht oder Budget – alles wird ohne Fragen, Einwände oder Diskussion einstimmig angenommen und der Vorstand entlastet. Lebrument eilt durch die Traktanden, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Dann stehen die Wahlen an. Die Rechtskonsulentin erläutert das Prozedere: Der Präsident wird offen gewählt, die neuen Präsidiumsmitglieder jedoch geheim. Der scheidende Präsident empfiehlt in wärmsten Worten seinen Nachfolger Pietro Supino; Einwände oder Gegenkandidaten gibt es nicht. Ein herzlicher Applaus, und schon ist Supino gewählt. Die Dankesrede des neuen VSM-Präsidenten, der auch Verwaltungsratspräsident der Tamedia AG, Enkel und Neffe der Verleger- und Mehrheitsaktionärsfamilie Coninx ist, versprüht Charme und Eleganz.
Anschliessend haben die drei Bewerber fürs Präsidium, in dem jedoch nur zwei Plätze besetzt werden sollen, je drei Minuten Zeit, sich vorzustellen, als Letzter ist Kaspar Surber an der Reihe. Möglicherweise sind das die Minuten, die Lebrument fürchtet – man weiss ja nie, zu welchem Unflat sich so ein linker Lümmel hinreissen lässt. Doch er kann aufatmen. Der Kandidat spricht wohlerzogen und freundlich und weist am Ende launig darauf hin, dass gemäss VSM-Statuten auch alle drei Kandidaten ins Präsidium gewählt werden könnten, was dem Gremium dank ungerader Zahl sogar unangenehme Pattsituationen ersparen könne (vgl. «‹Aufs Kerngeschäft besinnen!›» ).
Während sich das Stimmbüro zum Zählen zurückzieht, hält Supino die Laudatio auf seinen Vorgänger, der – was in der Branche selten sei – nicht nur immer gesagt habe, was er denke, sondern auch genauso gehandelt wie zuvor gesagt. Herr Lebrument wird Ehrenpräsident, Frau Lebrument bekommt einen riesigen Blumenstrauss und vom Gatten einen Kuss. Der sieht danach unbewegt dem Wahlergebnis entgegen, denn er weiss ja, warum Surber «keine Chance» hat.
Um diese Gewissheit zu verstehen, muss man das Stimmreglement des VSM kennen, das nicht dem Prinzip «one man, one vote» folgt, sondern ein Zensuswahlrecht ist: Die Stimmenzahl der einzelnen Verbandsmitglieder bemisst sich an der Höhe des Umsatzes und unterliegt dem Geschäftsgeheimnis. Die WOZ hat eine Stimme. Über wie viele Stimmen die grossen Medienkonzerne verfügen, können wir nur schätzen: Allein die sechs VSM-Präsidiumsmitglieder verfügen über rund 60 von insgesamt 75 im Raum anwesenden «Stimmen». Vor diesem Hintergrund begeistert uns das Wahlergebnis geradezu: Von den 75 Stimmen erhält Kaspar Surber 7.
Den lockeren Teil bestreitet anschliessend Kurt W. Zimmermann, Chefredaktor der Zeitung «Schweizer Journalist», bekannter jedoch als Medienkolumnist der «Weltwoche». Angesichts der dräuenden Digitalisierungswolken am Horizont sucht er, sein Publikum aufzuheitern, zum Beispiel mit Auslegungen, wie sich der Optimist vom Pessimisten unterscheide. Mein Favorit ist: Sagt der Pessimist: «Schlimmer kanns nicht werden!», darauf der Optimist: «Doch, doch!»
Aber so richtig erfreulich wirds für mich erst bei den Varia. Da fragt Martina Gammeter, die Verlegerin der «Engadiner Post», wie der Verband eigentlich den Beschluss vertreten könne, künftig den Jahresbeitrag von 36 000 Franken für den Presserat, das gemeinsame Organ für medienethische Fragen, einzusparen. Was Lebrument darauf antwortet, genügt nicht ganz seinen vorab genannten Kriterien «klare Botschaft» und «eindeutige Meinung», verständlich ist nur der letzte Satz: «Wir zahlen weiter.» Das Plenum staunt.
Den Grund für Lebruments Unmut erfahre ich am nächsten Tag aus der NZZ: Das Präsidium war offenbar nochmals auf den Beschluss zurückgekommen, wobei die Befürworter der Sparmassnahme – Lebrument, Supino, dessen Tamedia AG einen Jahresgewinn von über 300 Millionen Franken verzeichnet, und Markus Somm, Chefredaktor der «Basler Zeitung» – überstimmt wurden.