Britannien: Macht Labour auch wieder mal Politik?
Die Zeit der Versöhnung dauerte einen Tag. Nachdem Jeremy Corbyn am Samstag als Chef der britischen Labour-Partei bestätigt worden war – mit knapp 62 Prozent der abgegebenen Stimmen fiel sein Sieg noch deutlicher aus als vor einem Jahr –, brach am Parteitag in Liverpool der Friede aus. Die Geschlossenheit von Labour müsse jetzt Priorität haben, sagten nicht nur die AnhängerInnen Corbyns, sondern auch seine GegnerInnen.
Aber schon am Sonntag war es mit dem Frieden vorbei. Die Wiederwahl Corbyns sei eine «Katastrophe», meinte der ehemalige Innenminister David Blunkett. Und Angela Eagle, eine der zwanzig SchattenministerInnen, die den Vorsitzenden Ende Juni stürzen wollten, beschuldigte Corbyns AnhängerInnen, den Weg für eine «populistische autoritäre Herrschaft» zu bereiten.
Gleichzeitig fordern Corbyns WidersacherInnen von ihm, dass er ihnen Zugeständnisse macht und ein möglichst breit gefächertes Schattenkabinett zusammenstellt, das die verschiedenen weltanschaulichen Richtungen innerhalb von Labour repräsentiert. Dabei tat er vor einem Jahr genau das – und die betreffenden SchattenministerInnen dankten es ihm mit einem Putschversuch. Den rechten RebellInnen geht es nur vordergründig um die Wählbarkeit Corbyns: Sie würden lieber Jahrzehnte auf den Oppositionsbänken dahindämmern, anstatt mit einem linken Vorsitzenden an der Spitze die Regierung zu übernehmen.
Es gibt nun zwei Szenarien: Labour kann so weitermachen wie in den vergangenen zwölf Monaten – die rechten Fraktionsmitglieder missachten das demokratische Votum und beschränken ihre politische Arbeit darauf, das Führungsteam zu sabotieren. Dann wird Labour aber nie vom parteiinternen Streit zur eigentlichen Aufgabe der Oppositionspolitik übergehen können.
Allerdings könnte das deutliche Wahlergebnis beim moderaten Teil der Labour-Fraktion, der weder vom Vorsitzenden noch vom Erbe Tony Blairs begeistert ist, zu einem Umdenken führen und ein zweites Szenario ermöglichen: Sollten diese Abgeordneten nun zur Einsicht gelangen, dass der zweifache Triumph Corbyns nicht eine temporäre Abweichung vom politischen Konsens der vergangenen dreissig Jahre, sondern eine grundlegende Transformation der politischen Landschaft darstellt, dann werden sie ihre Vorbehalte beiseiteschieben und sich auf das «Projekt Corbyn» einlassen. So wäre der rechte Rand isoliert und geschwächt. Und Labour könnte endlich damit anfangen, wieder richtige Politik zu machen.