Der US-Ölboom und seine Folgen: Tausende gegen die schwarze Schlange

Nr. 42 –

Der US-Bundesstaat North Dakota wurde in den letzten Jahren dank Fracking zum Eldorado der Ölindustrie. Doch jetzt droht ein Fiasko: Das Geschäft lahmt – und Tausende Indigene blockieren den Bau einer wichtigen Pipeline.

Es ist ein sonniger, aber schon recht kalter Herbsttag. Polizeihelikopter kreisen in der Luft, vor dem Lagereingang beziehen Polizeifahrzeuge Stellung. Ein Autokorso fährt ins Protestcamp ein. Auf der Ladefläche eines Pick-ups stehen einige Vermummte, die ihre Fäuste in die Höhe recken. Herumstehende jubeln ihnen zu. Rund 200 AktivistInnen sind soeben von einer Aktion zurückgekehrt.

Beim nördlichen Zugang zum Indianerreservat Standing Rock, rund um einen Zufluss zum Oahe-Stausee, sind eine Reihe von Protestcamps entstanden. Seit Wochen besetzen dort Tausende aus den ganzen USA Bauland. Sie wollen den Weiterbau der Dakota Access Pipeline (DAPL) verhindern, die gefördertes Erdöl aus dem Nordwesten North Dakotas in die industriellen Zentren der USA transportieren soll. Es sind mehrheitlich VertreterInnen der indigenen Bevölkerung, die hier ihre Tipis und Zelte aufgeschlagen haben. Dazwischen stehen grosse Zelte, die als Küchen, Essensräume oder Schulen dienen.

In der Nähe der Besetzung soll die Pipeline den Oahe unterqueren, der Teil des Missouri ist – des längsten Flusses der USA. Millionen von Menschen sind auf Trinkwasser aus dem Missouri angewiesen. Für sie wäre ein Leck in der Pipeline eine Bedrohung. Gemäss der zuständigen Aufsichtsbehörde ereignen sich in den USA pro Jahr durchschnittlich 300 Pipelineunfälle.

Symbol indigener Solidarität

Die Besetzungsaktion hat im Frühling begonnen. Die AktivistInnen haben inzwischen erreicht, dass die US-Regierung im Umfeld des Lake Oahe einen vorläufigen Baustopp verfügt hat – das Ufergebiet steht unter zentralstaatlicher Kontrolle. Doch auf privatem Grund wird weiter gebaut, frisst sich die «schwarze Schlange», wie die Pipeline von vielen genannt wird, weiter gegen Südosten.

Heute Morgen hat deshalb eine Abordnung des Camps versucht, eine solche Baustelle zu blockieren. Die Schauspielerin Shailene Woodley wurde dabei zusammen mit 26 weiteren Personen wegen Betreten eines privaten Grundstücks verhaftet. Woodley filmte ihre Festnahme und streamte dies live auf Facebook. So bekamen die Proteste für einmal viel Medienaufmerksamkeit.

Das Hauptlager Sacred Stone Camp ist inzwischen zum Symbol für den Widerstand der indigenen Bevölkerung des Landes geworden. Es gilt als die grösste Zusammenkunft von unterschiedlichsten Stämmen aus dem ganzen Land seit Jahrzehnten. Und es geht den Protestierenden nicht nur um den Schutz des Wassers. Es geht generell um die Rechte der IndianerInnen. «Wir reden von einem kulturellen Genozid», sagt Germaine Tremmel, die aus Standing Rock stammt und als Anwältin indigene Angelegenheiten bei der Uno in Genf vertritt. «Es gibt mehrere Verträge aus dem 19. Jahrhundert, die von der Regierung gebrochen wurden.» Die US-Regierung hatte den Indigenen damals weite Gebiete des Mittleren Westens zugestanden. Doch dann wurden sie von der Armee in kleine Reservate vertrieben. Viele Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und einem «Umerziehungsprogramm» unterzogen.

Tremmel weiss von über 300 Stämmen, die bereits Abordnungen in die Protestcamps entsandt haben. Überall wehen ihre Fahnen im Wind. Auf einem Versammlungsplatz, der sich mitten im grössten Lager befindet, werden die Delegationen der Stämme begrüsst. An diesem Tag etwa eine Gruppe, die aus Nevada angereist ist. Die Delegation hat ihre Fahne mitgebracht, die sie in einer kleinen Zeremonie den Leuten des Camps übergibt. Eine Gruppe Männer trommelt und singt, die Delegation geht tanzend im Kreis, vorbei an einer Menge ZuschauerInnen; ein Mann läuft mit einem Gefäss herum, aus dem wohlriechender Rauch steigt, alle fächern sich etwas vom Rauch ins Gesicht.

Es kommen aber auch viele andere AktivistInnen in die Lager, an diesem Tag etwa eine Abordnung einer PflegerInnengewerkschaft, die eine Krankenstation plant. Die meisten wollen hier ausharren und bauen ihre Behausungen aus. Allerdings sind die Winter in North Dakota hart, mit extremen Minustemperaturen und heftigen Winden. Immerhin gibt es in den Camps grosse Mengen gespendeter Kleider.

Clinton laviert, Obama verzögert

Für die US-Ölindustrie hat die 3,8 Milliarden US-Dollar teure DAPL eine grosse strategische Bedeutung: Bislang wurde das Öl aus North Dakota einzig per Eisenbahn und per Lastwagen transportiert, was teurer ist als per Pipeline. Zudem kam es vermehrt zu Blockaden der Züge durch die erstarkende Umweltbewegung. Letztlich geht es auch darum, dass die früheren Milliardeninvestitionen in North Dakota Gewinne generieren und dass so die Kredite – die auch von der CS und der UBS stammen – zurückbezahlt werden können.

Der Bundesstaat North Dakota steht voll hinter der Ölindustrie und unternimmt alles, um die Protestierenden zu kriminalisieren. Mit der Pipeline soll die Ölförderung ausgeweitet werden. Der republikanische Gouverneur Jack Dalrymple hat über Teile North Dakotas den Ausnahmezustand verhängt. Auf der Zufahrtsstrasse zu den Protestcamps hat die militärisch ausgerüstete Nationalgarde einen Checkpoint errichtet, Polizeipatrouillen sind pausenlos im Einsatz.

PressevertreterInnen werden eingeschüchtert: So hat Staatsanwalt Ladd Erickson gegen die bekannte Journalistin Amy Goodman vom linken Radio- und Fernsehsender Democracy Now Anklage wegen «Aufruhr» erhoben. Goodman hatte am 3. September gefilmt, wie private Sicherheitsleute mit Hunden auf friedliche DemonstrantInnen losgingen. Der zuständige Bezirksrichter wies die Klage am Montag ab. Die Filmemacherin Deia Schlosberg, die vergangene Woche eine Protestaktion filmte, war danach zwei Tage in Haft. Sie soll nun wegen «Verschwörung zu Diebstahl und Sachbeschädigung» angeklagt werden.

Bei den Präsidentschaftswahlen ist die Auseinandersetzung in North Dakota kein Thema. Sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump sind Befürworter des Frackings. Clinton laviert, denn wichtige UnterstützerInnen ihrer Kandidatur sind in der Frage gespalten: Die Umweltbewegung steht hinter der Besetzung und lehnt die DAPL ab. KlimaaktivistInnen fordern schon lange, dass keine neuen Ölquellen erschlossen werden. Anders sehen es einflussreiche Gewerkschaftschefs: Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO fordert ein Ende des Baustopps, weil dies auf Kosten von ArbeiterInnen gehe. Gemäss der Pipelinebetreiberfirma haben alle Unternehmen, die mit dem Bau betraut sind, Verträge mit Gewerkschaften; sie würden 4000 Jobs schaffen. Vermutlich wird Präsident Barack Obama mindestens bis zu den Wahlen den Baustopp aufrechterhalten, um das Thema auf nationaler Ebene möglichst aus den Schlagzeilen zu halten.

Verfall nach dem Boom

Das Bizarre an der Auseinandersetzung ist der Umstand, dass die Ölförderung in North Dakota derzeit ein Verlustgeschäft ist. Und es ist völlig unklar, ob sich das in absehbarer Zeit wieder ändert. Möglicherweise ist die Pipeline gar eine riesige Fehlinvestition.

Das Öl soll von sechs verschiedenen Orten in die Pipeline hineingepumpt werden. Einer dieser Orte liegt nahe der Stadt Williston, rund 400 Kilometer nordwestlich von Sacred Stone. Ab 2010 zogen Tausende dorthin, angelockt von Jobs und der Verheissung von hohen Löhnen. Es sei eine völlig verrückte Zeit gewesen, sagen viele in Williston: Die Autos verstopften die Strassen, Arbeiter schliefen in ihren Autos oder in Zelten auf Parkplätzen, am Stadtrand entstanden riesige Trailerparks.

Doch bereits vier Jahre später begann der Ölpreis zu sinken und setzte dem Boom in Williston ein Ende. Heute sieht man hier, wie angeschlagen die Ölindustrie North Dakotas ist. Zwar kurbeln die bereits gebauten Ölpumpen weiter, aber neue Bohrlöcher werden keine mehr gegraben. So liegen nun auf ausladenden Werkgeländen überall verfallende Bohrröhren, Trucks und Baumaschinen herum. Tausende Menschen haben ihre Jobs verloren und sind weggezogen. Viele der neu gebauten Wohnhäuser stehen leer, Motels schliessen, WirtInnen warten vergeblich auf Kundschaft.

Williston ist nun dabei, wieder zu einem unscheinbaren Provinznest zu werden. Was bleibt, ist eine überdimensionierte Infrastruktur und jede Menge Schulden, die in der Boomphase gemacht wurden. Die Stadtbehörden gehen angesichts der düsteren Entwicklungen in Deckung. Anfragen für ein Interview mit dem Bürgermeister werden mit fadenscheinigen Begründungen ausgeschlagen.

Eine, die sich über die Entwicklung in Williston eigentlich freuen müsste, ist Kalie Rider. Die junge Frau ist hier aufgewachsen. Das war noch vor dem Ölboom. «Es war hier wirklich absolut nichts los», sagt sie. Seit dem Boom gebe es nun einen Musikclub, und die Leute würden mehr miteinander sprechen. Das möchte sie nicht missen. Doch Rider ist auch eine der wenigen, die sich zusammen mit ihrer Familie gegen die Auswüchse des Frackings wehrte. «Es war eine schwere Zeit, denn wir haben an einem Tabu gerührt.» Die Stadt stand nach der Finanzkrise von 2008 am Abgrund, und viele sahen das Fracking als Rettung. Doch letztlich sei der wirtschaftliche Aufschwung teuer bezahlt worden, so Rider. Viel Land in der Umgebung sei nun vergiftet – durch ausgelaufenes Öl und durch Chemikalien, die beim Fracking verwendet werden.

Rider hat das Protestcamp in Sacred Stone noch nicht besucht. Als sie hört, dass immer noch Tausende dort leben, sagt sie, sie wolle nächstens hinfahren. «Ich gönne ihnen ihren Erfolg. Doch manchmal bin ich auch etwas neidisch. Nach Williston ist noch nie ein Promi gekommen und hat sich verhaften lassen. Wir haben hier einen ziemlich einsamen Kampf ausgefochten.»

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