Die Schweiz und die Pipelines: Sechs gegen den Finanzplatz

Nr. 41 –

Indigene Frauen aus den USA sind nach Zürich gekommen, um dem Finanzplatz Beine zu machen. Sie fordern Banken und Versicherungen auf, damit aufzuhören, die Pipelinefirmen Nordamerikas mit Geld zu füttern, sie zu beraten und ihre Geschäfte zu versichern.

Sie lassen nicht locker: Tara Houska, Jackie Fielder, Teena Pugliese, Michelle Cook, LaDonna Brave Bull Allard und Osprey Orielle Lake in Zürich.

Die sechs Frauen geben sich diplomatisch. Eben haben sie die Schweizer Grossbank Credit Suisse (CS) besucht. Sie wollten von den BankmanagerInnen wissen, weshalb sie weiterhin Pipelinefirmen in den USA mit Krediten versorgen. Vor allem die enge Beziehung der CS mit der Firma Energy Transfer Equity (ETE) haben sie angesprochen. Denn ETE ist die Betreiberin der umstrittenen Dakota Access Pipeline (DAPL).

Vergangenes Jahr war es wegen des Pipelinebaus nahe des Indianerreservats Standing Rock in North Dakota zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Indigenen verhinderten mit Protestcamps und Blockaden den Bau des letzten Teilstücks, das den Missouri-Fluss unterquert. Sie machten dabei auf die Gefahr von Öllecks aufmerksam, die ihr Trinkwasser bedrohen würden. Das Teilstück wurde allerdings im Frühling dieses Jahres doch noch fertiggestellt, nachdem Donald Trump ins Weisse Haus eingezogen war und per Dekret den Baustopp der Vorgängerregierung ausser Kraft gesetzt hatte.

Livestream im richtigen Moment

«Wir halten den Austausch mit der Credit Suisse für sehr wichtig», sagt nun Osprey Orielle Lake, die die nichtstaatliche Organisation Wecan leitet. «Wir wollen die Türen offen lassen.» Aber sie sagt auch, dass sich die Schweizer Grossbank leider kaum bewegt habe. Schon im April war eine Delegation von indigenen Frauen in Zürich und hatte mit der CS gesprochen. Man habe ihnen von den Polizeiübergriffen gegen die protestierenden Indigenen erzählt, Videoaufnahmen und Zeugeneinvernahmen vorbeigebracht. Und darauf hingewiesen, dass die Bank ihre eigenen Richtlinien missachte, wenn sie Firmen Geld gebe, die die Rechte von Indigenen verletzen. «Die Credit Suisse hat eine Verantwortung», sagt Lake, «und wir werden sie weiter daran erinnern.»

LaDonna Brave Bull Allard ist das erste Mal in Zürich. Sie ist eine wichtige Zeugin. Sie stammt aus Standing Rock, arbeitet dort als Historikerin und berät die örtliche Verwaltung. Das erste Protestcamp gegen die DAPL wurde im April 2016 auf ihrem Land aufgebaut, es bekam den Namen Sacred Stone. «Anfangs waren wir nur wenige. Wir schulten uns in gewaltfreien Aktionen, Sicherheitsfragen und Medienarbeit.» Dann sei im Sommer klar geworden, dass die Behörden von North Dakota keine Opposition dulden und das Projekt möglichst schnell zu Ende bringen wollten. «Die Jungen sagten zu mir: ‹Grossmutter, du musst einen Livestream machen.›» LaDonna Brave Bull Allard wusste nicht, was das ist. Sie liess es sich zeigen und wandte sich mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit. «Es war der richtige Zeitpunkt.»

Zu Tausenden kamen in der Folge Menschen nach Standing Rock und campierten aus Protest gegen die Pipeline. Vor allem bei der indigenen Bevölkerung hatte Allard einen Nerv getroffen. Über 300 verschiedene Stämme schickten VertreterInnen. «Es lag in der Luft. Die Welt will Wandel. Das lässt die Leute aktiv werden.»

Ein einschneidender Tag war der 4. September 2016. An diesem Tag hetzten private Sicherheitskräfte vor laufenden Kameras ihre Hunde auf die Protestierenden. «Das hat alles verändert», sagt Allard. «Wir waren geschockt. Und von da an wurde es nur noch schlimmer.» Staatliche Polizeieinheiten kreuzten in immer grösserer Zahl auf, beschossen Protestierende mit Gummigeschossen und Tränengas, setzten Wasserwerfer und Blendgranaten ein und schüchterten die Menschen mit ständiger Überwachung ein. «Unsere Gegend wurde in eine Kriegszone verwandelt, bloss weil wir uns gegen einen Konzern wehrten.» Allard liess sich nicht einschüchtern. «Ich sagte mir: Es gibt nichts Wichtigeres, als sich hier für meine Grosskinder einzusetzen. Notfalls riskiere ich sogar mein Leben.»

Auch wenn die Camps bei Standing Rock von der Polizei schliesslich aufgelöst worden seien, mache man weiter, sagt Allard: «Wir kämpfen jetzt für Divestment.» Die Banken und Versicherungen sollen aufhören, ihr Geld bei den Pipelineunternehmen anzulegen, und ihre Geschäftsverbindungen mit diesen Firmen abbrechen. In Zürich besuchten die Frauen neben der Credit Suisse die UBS sowie die beiden Versicherungen Zurich und Swiss Re.

Auch vom Gespräch mit der UBS sind sie enttäuscht. «Die Bank hat seit unserem letzten Gespräch nichts unternommen. Über ihre spezifischen KundInnenbeziehungen wollte sie gar nicht erst reden», sagt die Juristin Michelle Cook. Die Frauen argumentieren gegenüber den Schweizer Finanzunternehmen, dass die DAPL-Betreiberfirma ETE, aber auch andere Pipelineunternehmen ganz direkt die Rechte von indigenen Stämmen verletzten, deren ursprüngliches Land die Ölleitungen durchqueren. «Aus der Perspektive des internationalen Rechts ist die Sache klar: Indigene haben ein Recht auf das Land, das ihre Vorfahren bewohnten und nutzten», sagt Cook und verweist auf die Uno-Deklaration über die Rechte der indigenen Bevölkerung. Pipelines dürften nur mit ihrer Zustimmung gebaut werden. «Die Finanzindustrie muss unsere Rechte akzeptieren.»

Neue Pipeline, gleicher Kampf

Offenbar etwas erfreulicher verliefen die Gespräche mit den Versicherungen. «Bei der Zurich wurde uns aufmerksam zugehört. Auch wollten unsere Gesprächspartner, dass wir ihnen noch weitere Informationen zukommen lassen», sagt die Anwältin Tara Houska. Und bei der Swiss Re sei man auf viel Verständnis gestossen. Allerdings bleibt offen, was das konkret bedeutet. Denn über ihre KundInnenbeziehungen reden auch die Versicherungen nicht in der Öffentlichkeit. Dabei wären milliardenteure Pipelineprojekte ohne Versicherungsschutz kaum denkbar.

Tara Houska arbeitet eigentlich in der US-Hauptstadt Washington. Vergangenes Jahr verbrachte sie allerdings sechs Monate in den Camps bei Standing Rock. «Ich konnte nicht zuschauen, wie wieder einmal die Indigenen Opfer der Ölindustrie werden», sagt sie. Nach ihrer Europareise wird sie in ein Protestcamp in Missouri ziehen, wo derzeit gegen den Bau der sogenannten Pipeline 3 protestiert wird.

Das ist einer der grossen Erfolge der Proteste gegen die DAPL: Seit der Auflösung der Protestcamps bei Standing Rock sind Dutzende neue Camps im ganzen Land entstanden. Bei der Pipeline 3 handelt es sich um ein Sieben-Milliarden-Dollar-Projekt, das Rohöl aus dem westkanadischen Alberta nach Superior bringen soll, einer Stadt mit Raffinerie und Hafen am Lake Superior im Mittleren Westen der USA. «Schon jetzt schnüffeln dieselben Privatpolizisten bei uns rum wie letztes Jahr in Standing Rock», sagt Houska. Drei Camps haben sich schon gebildet, ein viertes sei eben im Aufbau. Alle elf Stämme der Gegend lehnen das Projekt ab.

Die Bedeutung von Line 3 ist vor allem für Kanada gross. Mehrere Pipelineprojekte, die das gewonnene Rohöl aus Alberta wegbringen sollten, sind schon am Widerstand der lokalen Bevölkerung und von UmweltaktivistInnen gescheitert oder zumindest zum Stillstand gekommen (vgl. «Widerstand gegen die Pipelines» im Anschluss an diesen Text). Der Ölreichtum von Alberta stammt aus dem grossflächigen Abbau von Teersand im Tagbau, der mit hohem Energieaufwand zu Rohöl verarbeitet wird. «Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das Projekt noch stoppen können», sagt Houska.

Eine kleine Revolution

LaDonna Brave Bull Allard ist ebenfalls zuversichtlich, auch wenn jetzt Öl durch die Pipeline bei Standing Rock fliesst. Der Kampf sei noch nicht verloren. So hat ein Gericht im Juni einer Klage der Standing-Rock-Sioux recht gegeben. Es braucht nun eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung für das umstrittene Teilstück der Pipeline.

Laut Allard hat der Protest des vergangenen Jahres die Bevölkerung von Standing Rock nachhaltig verändert. «Ich habe Männer gesehen, die ihr Leben änderten. Sie haben aufgehört, Alkohol zu trinken, und kümmern sich wieder um ihre Familie.» In Standing Rock sei eine Art Revolution im Gang. «Diesen Frühling haben wir überall Gemüse gepflanzt. Viele stellen nun Solarpanels auf ihre Häuser und lassen sich zeigen, wie man Windkraft nutzt. Wir haben viel von den Protestcamps gelernt.»

Die Sicht der Unternehmen

Von einer «konstruktiven Diskussion» schreibt ein UBS-Sprecher auf Anfrage der WOZ nach dem Treffen mit den sechs Frauen, die gegen Pipelineprojekte in den USA kämpfen (vgl. Haupttext oben). Die CS hält fest, dass «deren Anliegen bei der Prüfung und Weiterentwicklung der geltenden Anlagerichtlinien berücksichtigt werden», und betont, dass sie zwar die Firma Energy Transfer mit Geld versorgt, jedoch nicht deren Pipelineprojekt DAPL.

Die Zurich-Versicherung schreibt, dass sie «in einem ständigen Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen ist» und so sicherstelle, dass «die unterschiedlichsten Perspektiven» berücksichtigt würden. Die Swiss Re schliesslich betont ihre generelle Dialogbereitschaft, will jedoch über spezifische KundInnenbeziehungen keine Auskunft geben.

Rohöl aus Alberta: Widerstand gegen die Pipelines

Es hätte die längste Pipeline Nordamerikas werden sollen. Das sechzehn Milliarden US-Dollar teure Energy-East-Projekt sollte Rohöl aus Alberta im Westen Kanadas nach Osten an den Atlantik bringen. Doch jetzt ist das Unterfangen gescheitert. Vergangenen Donnerstag hat die Transcanada Corporation die Einstellung des Bauvorhabens bekannt gegeben. Vorausgegangen waren heftige Proteste von AnwohnerInnen und der Umweltschutzbewegung.

Damit wird es für die Ölindustrie in Alberta immer ungemütlicher. Dutzende von Milliarden sind bereits in die Infrastruktur zum Abbau des Ölsands im Norden des Bundesstaats investiert worden. Doch der zurzeit tiefe Ölpreis macht die Produktion defizitär, zumal es an Kapazitäten fehlt, das gewonnene Rohöl günstig wegzuschaffen. Ein weiteres Pipelineprojekt unter dem Namen Enbridge Northern Gateway (siehe WOZ Nr. 37/2014 ), das Rohöl aus Alberta zum Pazifik pumpen sollte, ist bereits vergangenes Jahr endgültig gescheitert, ebenfalls am breiten Widerstand aus der Bevölkerung.

Noch sind mindestens drei weitere Pipelines geplant: Eine Pipeline unter dem Namen Trans Mountain soll nach Vancouver führen. Zudem gibt es zwei Projekte von Pipelines in die USA: Neben der Line 3 (vgl. Haupttext) ist das die Keystone XL. Der Bau dieser Pipeline wurde zwar von US-Präsident Donald Trump im März bewilligt, doch noch fehlt die Zustimmung einzelner Bundesstaaten. Ausserdem sind diverse Gerichtsklagen von LandbesitzerInnen hängig.

Daniel Stern