Flüchtlingspolitik: Australien als Spiegelbild
Die Vorwürfe von Amnesty International wiegen schwer: «Australien unterhält auf Nauru ein Freiluftgefängnis, das darauf angelegt ist, so viel Leid wie möglich zu verursachen, um einige der meist gefährdeten Menschen von dem Versuch abzuhalten, sich in Australien in Sicherheit zu bringen», heisst es in einem Bericht, den die Menschenrechtsorganisation am Montag vorgestellt hat. Gemeint ist eine Praxis, die die Regierung in Canberra «Operation souveräne Grenzen» nennt. Dabei werden Flüchtlingsboote auf hoher See abgefangen, und Asylverfahren lagern die australischen Behörden für viel Geld auf Tausende Kilometer entfernte Pazifikinseln aus. Eine davon ist der Kleinstaat Nauru.
Wie es in den «Freiluftgefängnissen» zugeht, hatten MenschenrechtlerInnen immer wieder dokumentiert. Sie berichteten über Folter, sexuellen Missbrauch und Suizidversuche, hervorgerufen durch die katastrophale Unterbringung und die Perspektivlosigkeit der Geflüchteten. Vor einigen Monaten zündeten sich auf Nauru zwei Asylsuchende aus Verzweiflung selbst an, einer der beiden erlag seinen Verletzungen.
Obwohl die inhumane Politik gegen Völkerrecht verstösst, hält die australische Regierung ihr Abschottungsmodell für derart erfolgreich, dass sie den EuropäerInnen gerne Ratschläge erteilt. Und während in der europäischen Öffentlichkeit die Empörung gross ist, stösst die Praxis bei den AbschotterInnen des Kontinents auf grossen Anklang: Angetan zeigen sich etwa Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders oder Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz. Und auch SVP-Chefredaktor Roger Köppel lässt Australiens Expremier Tony Abbott regelmässig seine Migrationspolitik in der «Weltwoche» preisen. Sie alle wollen Asylzentren «auf Inseln ausserhalb der EU oder in Nordafrika» – hinter Gittern und gesichert durch SoldatInnen.
Noch haben sie sich nicht durchgesetzt. Und arme Inselstaaten wie Nauru, die sich dafür bezahlen lassen, Asylsuchende zu internieren, gibt es vor Europas Küsten nicht. Doch dass sich die europäische Flüchtlingspolitik in eine ähnliche Richtung entwickelt, zeigen nicht zuletzt der «EU-Türkei-Deal» und die Abkommen mit afrikanischen Despoten. In gewisser Weise ist Australien eben immer auch Europas Spiegelbild.