Reaktion auf die US-Wahl: Empörung reicht nicht

Nr. 45 –

Schuld am Sieg Trumps hat vor allem die politische Elite des Landes. Die Linke muss jetzt mit einer Politik antworten, die die Interessen der Arbeiterklasse ins Zentrum rückt.

Wir machen uns keine Illusionen darüber, welche Auswirkungen Donald Trumps Sieg haben wird. Das Wahlergebnis ist ein Desaster. Eine vereinigte Regierung des rechten Flügels, die von einem autoritären Populisten angeführt wird, ist eine Katastrophe für alle Erwerbstätigen dieses Landes.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren: Entweder fängt man damit an, der amerikanischen Bevölkerung wegen dieses Wahlergebnisses Vorwürfe zu machen. Oder man attackiert die Eliten des Landes.

Gegen den Elitarismus

Viele Liberale werden in den kommenden Tagen und Wochen das Erstere tun. Einige Liberale haben bereits Leitfäden verfasst, in denen erklärt wird, wie man nun die Auswanderung nach Kanada organisieren kann. Genau diejenigen Leute, die uns in den Abgrund manövriert haben, planen jetzt also ihre Flucht.

Wenn man nun aber die amerikanische Öffentlichkeit wegen Trumps Sieg angreift, stärkt man nur den Elitarismus, der viele seiner AnhängerInnen überhaupt erst dazu motiviert hat, für ihn zu stimmen. Natürlich spielten Sexismus und Rassismus eine entscheidende Rolle beim Aufstieg Trumps. Aber darauf mit simpler moralischer Denunziation zu reagieren, hat nichts mit Politik zu tun. Es ist das Gegenteil von Politik.

Wer glaubt, dass Trumps Erfolg ausschliesslich auf einem ethnischen Nationalismus basiert, der glaubt auch, dass zig Millionen AmerikanerInnen von Hass und der Sehnsucht nach einem politischen Programm der weissen Vorherrschaft angetrieben werden.

Wir glauben das nicht. Und die Fakten sprechen für uns.

Hillary Clinton hat nur 65 Prozent der Stimmen der Latinos und Latinas gewonnen, während Obama bei dieser Wählergruppe vor vier Jahren noch 71 Prozent geholt hatte. Sie erzielte dieses schlechte Ergebnis, obwohl sie gegen einen Kandidaten angetreten ist, der eine Mauer an der Südgrenze der USA errichten will und der seinen Wahlkampf damit eingeläutet hatte, dass er Mexikaner als Vergewaltiger denunzierte.

Clinton hat auch nur 34 Prozent der Stimmen weisser Frauen ohne Collegeabschluss auf sich vereinigen können. Insgesamt haben nur 54 Prozent aller Wählerinnen für sie gestimmt. Und das, obwohl sie gegen einen Kandidaten zur Wahl stand, der sich damit brüstet, Frauen zwischen die Beine gefasst zu haben.

Clinton musste diese Wahl verlieren. In den kommenden Tagen wird viel persönliche Kritik auf sie einprasseln, dabei verkörpert sie lediglich den gemeinsamen Nenner derjenigen PolitikerInnengeneration, die gegenwärtig die Demokratische Partei anführt. Unter der Präsidentschaft Obamas hat die Demokratische Partei fast tausend Sitze in den Parlamenten der einzelnen Bundesstaaten verloren, dazu kommen ein Dutzend verlorener Wahlkämpfe um Gouverneursposten, 69 verlorene Sitze im Repräsentantenhaus und 13 verlorene im Senat. So etwas passiert nicht einfach aus dem Nichts heraus.

Ein neues politisches Zeitalter

Clintons Schwachstelle war nicht, dass sie irgendwie besonders, sondern vielmehr, dass sie allzu typisch war. Es ist bezeichnend für die Demokratische Partei, dass sich die Power Player in Washington mit überwältigender Mehrheit für diese Kandidatin ausgesprochen hatten – und das Monate bevor auch nur ein einziger Stimmzettel abgegeben worden war.

Diese Leute haben eine genauso desaströse wie schicksalhafte Entscheidung getroffen, als sie sich mit gezinkten Würfeln gegen die einzige Politik stellten, die tatsächlich hätte gewinnen können: eine Politik für die Arbeiterklasse.

Bernie Sanders hatte im Vorwahlkampf eine zentrale Botschaft an die amerikanische Bevölkerung: Ihr verdient mehr, als ihr habt, und ihr seid im Recht, wenn ihr das genauso empfindet. Sanders forderte ein funktionierendes Gesundheitssystem, eine bezahlbare Collegeausbildung und Löhne, von denen man leben kann. Es war diese Botschaft, die ihn zu dem mit Abstand beliebtesten Politiker der Vereinigten Staaten gemacht hat.

Hillary Clintons Wahlkampfteam hat einige der konkreten Vorschläge von Sanders übernommen, seine zentrale Botschaft aber zurückgewiesen. Aus Sicht der Elite, die die Demokratische Partei kontrolliert, hat es keinen Sinn, gegen die USA zu wettern. Für diese Leute ist Amerika immer schon grossartig gewesen. Und wenn sich etwas für sie verändert hat, dann immer nur zum Guten.

Die Eliten haben von den WählerInnen erwartet, dass diese ihnen die Politik überlassen. Sie dachten, sie hätten immer noch alles unter Kontrolle. Darin haben sie sich getäuscht – und nun müssen wir eine Antwort auf die Folgen dieses Irrtums finden. Genau das werden wir auch tun. Es hat ein neues Zeitalter begonnen, das eine neue Politik notwendig macht – eine Politik, die an die Nöte und Hoffnungen der Leute appelliert und nicht an ihre Ängste. Jetzt kommt es darauf an, eine wirklich demokratische Politik nicht länger zu bekämpfen, sondern endlich mit ihr zu beginnen. Wir glauben, dass diese Politik im Zeichen des demokratischen Sozialismus stehen muss.

Aus dem Englischen von Daniel Hackbarth.

«Jacobin»

Megan Erickson, Katherine Hill, Matt Karp, Connor Kilpatrick und Bhaskar Sunkara, die AutorInnen dieses Artikels, sind RedaktorInnen des vierteljährlich in New York erscheinenden «Jacobin». Der damals 21-jährige Sunkara gründete die Zeitschrift 2010 zunächst als Onlinemagazin, heute zählt «Jacobin» mit einer verkauften Auflage von mehr als 15 000 Exemplaren zu den wichtigsten Publikationen der US-Linken.

Im Juli ist im Europa-Verlag der Sammelband «Die Zukunft, die wir wollen. Radikale Ideen für eine neue Zeit» erschienen, den Sunkara gemeinsam mit seiner Kollegin Sarah Leonard herausgegeben hat. Darin finden sich Aufsätze, die einen Überblick über die wichtigsten Debatten innerhalb der jungen amerikanischen Linken geben.