Kost und Logis: Bleiben Sie sachlich!

Nr. 47 –

Bettina Dyttrich über unerwartete Folgen der Gentechnik

«Die Leute sind frustriert und wütend», schreiben sechs US-amerikanische AgrarwissenschaftlerInnen in einem Brief an die Saatgutindustrie. «Ein Teil der Ernte ist verloren. Die Bauern kauften Cry1F-Mais in der Überzeugung, dass er die Schädlinge kontrolliere, sie also nicht auf den Feldern nach Eiern oder Larven suchen müssten.» Dieser Mais ist gentechnisch verändert, sogenannter Bt-Mais. Er produziert mithilfe eines Bakteriengens ein Gift, das Insekten tötet, die den Mais fressen wollen. Oder besser: töten sollte. Denn Striacosta albicosta, der Western Bean Cutworm, stirbt nicht. Er war überhaupt kein gefürchteter Schädling, bis der Bt-Mais aufkam. Aber seit so viele Maispflanzen das Gift rund um die Uhr ausscheiden, hat sich in der Insektenwelt offensichtlich etwas verschoben – für Striacosta albicosta die Gelegenheit für den grossen Auftritt.

Diese Entwicklung hätte niemand voraussehen können, nicht einmal mit den komplexesten Laborversuchen. Ökosysteme sind unendlich viel komplexer als Labors. Die Versuche, sie trotzdem ansatzweise zu verstehen, gehören zum Faszinierendsten, was die Naturwissenschaften zu bieten haben. Aber wer es versucht, gehört schnell nicht mehr zum Mainstream.

Die Gründe liegen auf der Hand: Hier gibt es nicht viel zu verdienen. Wer Komplexität verstehen lernt, wird demütig und vorsichtig. Und befürwortet kaum einen gigantischen Freiland-Feldversuch wie den grossflächigen kommerziellen Anbau von Bt-Mais. «Kein Beweis für Schäden ist nicht das Gleiche wie ein Beweis für keine Schäden», sagt David Gee, ein englischer Spezialist für Umwelt und Gesundheit. «Oft hat man einfach nicht genug geforscht.» Gee war Initiant des umfangreichen Berichts «Späte Lehren aus frühen Warnungen» der Europäischen Umweltagentur. Darin geht es unter anderem um den Klimawandel, Asbest, Blei im Benzin, Quecksilber, Tabak und DDT. Lauter Gefahren, auf die man erst reagierte, als die Beweise erdrückend waren. «Die Erfahrung zeigt: Es dauert fünfzig bis hundert Jahre von den ersten Warnungen bis zu ernsthaften Massnahmen», sagt Gee.

Zusammen mit anderen Vorsichtigen sprach Gee kürzlich an einer Tagung der Schweizer Allianz Gentechfrei. Es ging um eine Bilanz nach zwanzig Jahren Gentechlandwirtschaft. Ein Fazit: Es gibt immer noch viel zu wenig wissenschaftliche Daten – vor allem zu den komplexen Vorgängen im Freiland. «Zeigt mir mehr Daten – und zwar solche, die nicht aus Konzernlabors kommen», forderte die ETH-Agrarökologin Angelika Hilbeck.

An der Tagung sprach auch ein Gentechbefürworter, Patrick Matthias vom Forum Genforschung. «Wir sollten uns auf die Wissenschaft stützen, nicht emotional argumentieren», sagte er. Es klang wie vor vierzig Jahren, als manche Männer versuchten, die ersten Nationalrätinnen zu diskreditieren: Seid nicht so emotional! Und das an einer Tagung voller komplexer wissenschaftlicher Vorträge. Am wenigsten komplex war sein eigener.

Link zur Tagung: symposium.gentechfrei.ch .

Der Bericht «Späte Lehren aus frühen Warnungen» lässt sich bestellen unter www.eea.europa.eu/de/publications/late-lessons-2-de.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.