Dreckige Ölgeschäfte: Knapp an der Katastrophe vorbei

Nr. 12 –

Chemieexperimente mit 6000 Tonnen giftigen Rohölresten vor der holländischen Küste: Eine Schweizer Firma muss sich deswegen vor einem niederländischen Gericht verantworten. Der Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf die Praktiken von hiesigen Ölhandelsgesellschaften.

Der Pier von Scheveningen: Durch das Verhalten der Ölhandelsfirma Ipco hätte es 2012 zu einer Umweltkatastrophe vor dem grössten Seebad Hollands kommen können. Foto: Leuntje, Alamy

«Wieso schreiben Sie jetzt über den Fall und warten nicht, bis der Prozess zu Ende ist?» Die Sprecherin der Genfer Ölhandelsfirma Ipco Trading wirkt am Telefon genervt. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Die ganze Sache hat ihrer kleinen Firma, die normalerweise ausserhalb des Radars der Öffentlichkeit agiert, von Beginn an nur Ärger eingebracht. Da winkte doch eigentlich ein gutes Geschäft mit Rohölresten – und nun muss Ipco deswegen nach eigenen Angaben schon 1,3 Millionen Franken Verlust verbuchen. Ausserdem steht jetzt auch noch der Prozess in Rotterdam an. Das sorgt nicht nur für weitere unerwünschte Publicity, bei einer Verurteilung droht darüber hinaus ein Bussgeld in Millionenhöhe.

Ipco ist eine kleine Firma mit wenigen Beschäftigten, doch ihr Fall zeigt exemplarisch, wie man heutzutage von einem Schweizer Büro aus meist unbehelligt Geschäfte zumindest im Graubereich des Legalen abwickeln kann, die weit mehr als nur finanzielle Risiken beinhalten.

Was tun mit giftiger Ware?

Die Geschichte beginnt im Herbst 2012 in der russischen Exklave Kaliningrad an der Ostsee. Eine russische Raffinerie hatte auf Bestellung Ipcos per Bahn rund 6000 Tonnen sogenanntes Visbreaking Naphtha dorthin geliefert. Visbreaking Naphtha ist ein Abfallprodukt, das in den Raffinerien bei der Verarbeitung von Rohöl entsteht und für chemische Prozesse weiterverwendet, aber auch Motorenbenzin beigemischt werden kann. Doch mit der Lieferung, die bereits monatelang in Kesselwagen auf einem Abstellgleis in Kaliningrad zum Weitertransport bereitstand, gab es ein Problem. Der Gehalt an Mercaptanschwefel war viel zu hoch. Dabei handelt es sich um einen ätzenden Stoff, der auch Metall angreift und zudem übel riecht. Um die Ware verkaufen zu können, musste dieser Schwefelanteil mindestens um das Viereinhalbfache reduziert werden.

Ipco behauptet, die Ware sei ihr mit Zertifikat einer international anerkannten und unabhängigen Inspektionsfirma angeboten worden. Als ein Ipco-Mitarbeiter in Kaliningrad entdeckte, dass die Angaben nicht stimmten, sei es aus «technischen» Gründen nicht mehr möglich gewesen, die Kesselwagen zurückzuschicken. Von welcher Raffinerie Ipco die giftige Ware hatte, will sie nicht sagen. Marietta Harjono, die den Fall für die Schweizer NGO Public Eye und für das niederländische Onlinemagazin «Investico» aufgearbeitet hat, vermutet, dass es sich um eine Lieferung des Raffineriekonzerns TAIF-NK aus der russischen Republik Tatarstan handelt. Ipco und TAIF-NK pflegen seit längerem kommerzielle Beziehungen.

Die Ipco-Verantwortlichen sagen, sie hätten diverse Optionen geprüft, wie mit der in diesem Zustand unverkäuflichen Ware weiter verfahren werden sollte. Schliesslich charterte die Firma das deutsche Tankerschiff Franz Schulte. Dieses lief am 6. Januar 2013 in den Hafen Kaliningrads ein, worauf die stinkende Flüssigkeit in seine Tanks gefüllt wurde. Bereits am nächsten Tag verliess die «Franz Schulte» den Hafen wieder und erreichte am 9. Januar die Küste von Scheveningen bei Den Haag. Hier lag das Schiff vor Anker, nun wurden SpezialistInnen an Bord geholt, die versuchten, mithilfe von Natronlauge einen Teil des Mercaptanschwefels aus dem Naphtha herauszulösen. Die «Franz Schulte» ist zwar für solche chemischen Operationen ausgerüstet, dennoch ist das Hantieren mit der stark ätzenden Laugenflüssigkeit für die Mannschaft nicht ungefährlich.

Das Prozedere brachte nicht den gewünschten Erfolg: Der Mercaptanschwefelanteil blieb viel zu hoch. Laut Harjonos Recherchen wurde daraufhin zwischenzeitlich ein weitaus gefährlicheres Trockenverfahren angewandt, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Dabei hätte es leicht zu einer Explosion und damit wohl zu einer Umweltkatastrophe direkt vor dem grössten Seebad Hollands kommen können.

Als auch das neue Verfahren nicht den gewünschten Erfolg brachte, musste die «Franz Schulte» in den Hafen von Rotterdam einlaufen, um mehr Natronlauge aufzunehmen, was wiederum die niederländischen Behörden auf den Plan rief. Diese begannen, Fragen zu stellen, und entsandten Teams der Polizei und der Hafenkontrolle an Bord, um in Erfahrung zu bringen, was dort genau vor sich ging.

Insgesamt sechs Wochen dauerte es, bis der Anteil an Mercaptanschwefel schliesslich auf das gewünschte Mass gesenkt werden konnte. Doch für die kleine Schweizer Handelsfirma Ipco war die Angelegenheit damit noch lange nicht vorbei. Denn der ganze chemische Prozess hatte rund tausend Tonnen an flüssigen Abfällen entstehen lassen, die unter Aufsicht der niederländischen Behörden auf das Schiff einer Entsorgungsfirma umgeladen werden mussten. Ipco zahlte allein für die sichere Entsorgung dieser Abfälle eine halbe Million Euro.

Die gereinigte Ladung wurde schliesslich im Hafen von Antwerpen gelöscht. Was anschliessend mit dem Naphtha passierte, das für europäische Standards noch immer einen zu hohen Schwefelanteil aufwies, scheint niemand zu wissen. Public Eye vermutet, dass es schliesslich doch noch Treibstoffen beigemischt wurde, die für den westafrikanischen Markt bestimmt sind, wo entsprechende Umweltbestimmungen fehlen. Die Ipco-Firmensprecherin will sich dazu gegenüber der WOZ nicht äussern. Sie hält aber fest, dass das Produkt ursprünglich nicht für Afrika bestimmt gewesen sei.

Die Ipco-Verantwortlichen müssen sich jetzt vor einem Gericht in Rotterdam verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die illegale Einfuhr von Abfällen sowie verbotene Manipulationen daran auf See vor. Ipco weist alle Anschuldigungen zurück. Bei den 6000 Tonnen Naphtha habe es sich nicht um Abfall gehandelt; auf einem Schiff Substanzen zu mischen oder zu trennen, sei zudem nicht illegal. Auch seien die niederländischen Behörden über die Vorgänge auf der «Franz Schulte» informiert gewesen. Auf den 26. Januar 2017 war eine erste Anhörung anberaumt. Ipcos Anwälte forderten, dass weitere Sachverständige befragt werden. Die Staatsanwaltschaft spricht von «Verzögerungstaktik». Bis es zu einem Urteil kommt, könnten Monate vergehen.

Das Geschäftsmodell dahinter

Der Fall Ipco erinnert an den Skandal um den Schweizer Handelsriesen Trafigura, der 2006 auf dem Tankschiff Probo Koala ebenfalls Raffinerieprodukte «reinigte». Die Abfälle liess der Konzern durch ein kleines, lokales Entsorgungsunternehmen zum Schnäppchenpreis illegal in der Umgebung der Millionenstadt Abidjan im westafrikanischen Côte d’Ivoire auskippen. Gemäss offiziellen Zahlen sind damals wegen der giftigen Dämpfe dieser Abfälle siebzehn Menschen gestorben, während Zehntausende unter gesundheitlichen Beschwerden litten. Später wurde Trafigura wegen des illegalen Exports der giftigen Ware in den Niederlanden verurteilt. Für das Leid, das den BewohnerInnen Abidjans angetan wurde, sind die Firmenverantwortlichen bislang nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Trafigura weist die Verantwortung von sich, zahlte allerdings 2007 im Rahmen einer Vereinbarung einerseits der Regierung von Côte d’Ivoire rund 200 Millionen US-Dollar für die Entsorgung der Abfälle sowie später noch rund 400 Millionen Dollar als Entschädigung an die Opfer. Doch haben viele von ihnen bis heute keinen Cent gesehen – das Geld verschwand in dunklen Kanälen. Eine weitere Entschädigungsklage ist noch hängig.

Aufgrund der Vorkommnisse um Trafigura begann Public Eye mit seinen Recherchen über das Afrikageschäft von Schweizer Ölhandelsfirmen und stiess dabei auf das Geschäftsmodell hinter den Mischereien und «Reinigungsprozessen» auf Tankschiffen. Es hat die Resultate vergangenes Jahr im englischsprachigen Report «Dirty Diesel» (PDF-Datei) vorgestellt: Weil viele Staaten Afrikas nur über unzureichende Umweltbestimmungen verfügen, liefern ihnen westliche RohstoffhändlerInnen gepanschte und mit schädlichen Stoffen belastete Treibstoffe, die in Europa nie zugelassen würden. Die Panscherei geschieht dabei oft auf Schiffen.

Schonung in der Schweiz

Für Oliver Classen, Sprecher von Public Eye, sind die Fälle von Trafigura und Ipco nur «die Spitze des Eisbergs». Es gebe neben den grossen Schweizer Rohwarenhändlern wie Trafigura, Vitol oder Glencore noch Dutzende kleine Ölhandelsfirmen wie Ipco. Im globalen Handel mit Ölprodukten spielt die Schweiz eine führende Rolle: «Sie zieht diese Firmen an, weil sie hier von staatlichen Regulierungen verschont sind.» Beim Handel mit der dreckigen Ware gehe es darum, die Margen zu optimieren, so Classen. «Ruchbar werden solche Praktiken jeweils erst, wenn irgendwo zufällig Behörden darauf stossen oder offensichtlich Menschen zu Schaden kommen.»

Verpflichtung zur Sorgfalt

Mit der Konzernverantwortungsinitiative, die vergangenen Herbst mit rund 120 000 Unterschriften eingereicht wurde, sollen künftig Schweizer Unternehmen – auch kleine – dazu verpflichtet werden, in ihrer Geschäftstätigkeit auch im Ausland den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt zu beachten. Bei Verstössen sollen sie haftbar gemacht werden können.

Die Initiative wird schon jetzt von den Unternehmensverbänden heftig bekämpft. Sie kommt frühestens im Winter 2018 zur Abstimmung.

Gegen den Rohstoffgipfel

Vom 27. bis 29. März 2017 findet in Lausanne zum sechsten Mal ein Gipfel der internationalen Rohwarenhandelsfirmen statt. Auch dieses Jahr organisieren AktivistInnen Gegenveranstaltungen.

Am Samstag, 25. März 2017, findet von 13.30 bis 18 Uhr im Pôle Sud ein Forum mit Referaten und Workshops statt. Schwerpunktthema: «Die Schweiz, das Handelsparadies». Am Montag, 27. März 2017, wird gegen den Gipfel demonstriert. Besammlung ist um 18 Uhr, Place Saint-François.

www.stop-speculation.ch