Netzpolitik: Trolle trollen, bis sie sich trollen
Bitte nicht füttern: Das ist immer noch die populärste Maxime zum Umgang mit Trollen in sozialen Medien. Aber ob totschweigen wirklich wirkt?
In der Silvesternacht des letzten Jahres ist einer der profiliertesten Schweizer Social-Media-Hetzer für immer verstummt. Seit der Eröffnung seines Accounts im Jahr 2011 hatte es Herostratos mit seinem harten Rechtskurs auf Twitter zu einem gewissen zweifelhaften Ruhm gebracht. Herostratos ist nicht sein richtiges Twitter-Pseudonym, das hier nicht genannt werden soll, um ihm nicht nochmals neue Aufmerksamkeit zu schenken. Herostratos war ein Musterbeispiel eines rechten Hater-Trolls. Sein Fall kann uns Antworten auf die Frage liefern, wie sich Trolle seines Zuschnitts neutralisieren lassen.
Aber lohnt sich der Aufwand überhaupt? «Don’t feed the trolls» lautet eine in der Netzkultur verbreitete Überzeugung: Internet-Trolle solle man nicht füttern, sondern ignorieren. So entziehe man ihnen die Aufmerksamkeit, auf die sie es im Grunde abgesehen haben. Nach dieser goldenen Regel wäre jede Interaktion mit Hater-Trollen wie Herostratos nicht nur Zeitverschwendung, sondern kontraproduktiv. Seit eine Truppe von professionellen HetzerInnen nicht zuletzt dank ihres Einsatzes von Trolltaktiken das Weisse Haus erobert hat, sollte jedoch klar sein: Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, dem wir mit dem simplen Aufruf zur Nichtbeachtung nicht beikommen können. Und wenn auch in der Schweiz selbst Parlamentarierinnen und/oder Chefredaktoren immer ungehemmter zu Trolltechniken greifen, um Resonanz zu generieren und den politischen Diskurs zu manipulieren, sollten die Alarmglocken läuten.
Einen Tick skrupelloser
Unser Fallbeispiel Herostratos verfügte dagegen nie über konkrete politische Macht. Dennoch erfüllt der Bodensatz von HaterInnen, zu dem er gehörte, in den sozialen Netzwerken eine politische Funktion: Er modifiziert den Diskursraum. Mit ihrem Aktivismus verzerren die rechten AgitatorInnen die öffentlich sichtbaren Mehrheitsverhältnisse, vergraulen moderate MitdiskutantInnen und wirken als Vorhut, die die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Wenn wir den HerostratInnen dieser Welt das Feld des Diskursraumes nicht einfach überlassen wollen, wird Gegenrede zur Pflicht. Und die darf uns ruhig etwas Aufwand kosten.
Hetze gegen Muslime und den Islam, Polemik gegen Frauen, Homosexuelle, Staatsangestellte und gegen Angela Merkel: Herostratos’ Themenwahl war relativ stereotyp. Dennoch hob er sich vom allgemeinen Hate-Speech-Hintergrundrauschen in der Schweizer Twitter-Gemeinde ab und fand Resonanz auch über die einschlägige Filterblase hinaus – vielleicht, weil er im gezielten Ausreizen und Überschreiten moralischer und legaler Grenzen einfach noch einen Tick skrupelloser war als die breite Masse an Social-Media-Hatern. Freude bereitete ihm nicht nur das Verbreiten expliziter Gewaltszenen, rassistischer Inhalte und persönlicher Beleidigungen. Er produzierte auch gerne mal eigenhändig Fake News. Nach der tödlichen Messer- und Brandattacke in einem Zug bei Salez GR im August 2016 verbreitete er die «bestätigte» Information, dass der Angreifer muslimischen Glaubens gewesen sei. «Bestätigt» war zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nichts, und später wurde auch Herostratos’ düstere «Hoffnung» auf einen islamistischen Hintergrund der Tat enttäuscht: Es handelte sich um einen Amoklauf eines Schweizers mit «typisch Schweizerischem Namen».
Sadistische Freude
Herostratos war auch ein notorischer Doxer. «Doxing» bezeichnet im Netzjargon das Veröffentlichen personenbezogener Daten ohne die Zustimmung der Betroffenen. Im Fall von Herostratos reichte das vom Outing anonymer Accounts bis zur Nennung der Klarnamen von Personen, die in medial diskutierte Justizfälle involviert waren. Dokumentiert ist eine Interaktion, in der Herostratos den vollen Namen der jungen Frau nannte, die im Juli letzten Jahres in Oberwil-Lieli in flagranti beim Sprayen von Parolen gegen SVP-Nationalrat Andreas Glarner erwischt worden war. Woher er diesen Namen erfahren hatte, bleibt ein Rätsel. Die Strafuntersuchung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Die Personendaten konnten also nur den Untersuchungsbehörden bekannt sein – und Andreas Glarner, der zuvor via Facebook bekannt gegeben hatte, dass er den Namen der Sprayerin nun kenne. Während der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Schmid Herostratos’ Outing-Tweet genüsslich an den vermeintlichen Arbeitgeber einer vermeintlichen Mittäterin weiterleitete, war sich auch SVP-Nationalrat Claudio Zanetti nicht zu schade, den Tweet unter seinen über 5000 FollowerInnen zu verbreiten.
Was motivierte Herostratos zu seinem Tun? Einerseits trug er Züge eines klassischen Internet-Trolls, der eine kindische bis sadistische Freude verspürt, wenn es ihm gelingt, zu provozieren und die Emotionen anderer UserInnen negativ zu manipulieren. Andererseits spürte man den bitteren bis paranoiden Ernst eines Glaubenskriegers, wenn Herostratos Themen wie die vermeintliche «Islamisierung» anschnitt. Der Account hatte eine politische Mission, Herostratos sah sich selber als Anwalt für die seiner Meinung nach vom linken «Mainstream» unterdrückte rechtsidentitäre Sache.
Als Herostratos auf Ende 2016 seinen Rückzug von Twitter ankündigte, begründete er dies damit, dass der Stimmungswandel erreicht sei und der Account seinen Zweck erfüllt habe. Angesichts seines zuvor an den Tag gelegten Eifers und angesichts der faktisch nicht grundlegend neu gepolten diskursiven Landschaft klingt das wenig plausibel. Was könnte Herostratos noch zu diesem Schritt bewogen haben? Wurde ihm der Boden unter seinem anonymen Twitter-Account doch langsam zu heiss? Schliesslich hatte ein Grüppchen von Twitter-AktivistInnen mittels einer Analyse seiner frühen Tweets und geposteten Fotos seine Identität mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit herausgefunden.
Vielleicht wurde ihm sein digitales Alter Ego schlicht zu anstrengend, nachdem sich besagtes Grüppchen an seine Fersen geheftet hatte und ihn mit einer wachsenden Anzahl von Accounts in ermüdende Twitter-Gefechte verwickelte. Dabei beharkten ihn AktivistInnen, die unter Klarnamen oder Pseudonymen agierten, aber auch fiktive Figuren wie der Walliser Prolo-Bauer Hubert Bizouard, der sich in gebrochenem Westschweizerdeutsch über Herostratos’ wenig glaubhafte Selbstbeschreibung als an der ETH ausgebildeten Agronomen mokierte. Bizouard repräsentierte idealtypisch alle Klischees der Rechten, an denen sich auch Herostratos orientierte: Er vereinte seine bodenständige Heimatverliebtheit mit stolz zelebrierter Bildungsferne und selbstbewusster, unabhängiger Haltung.
Mehr Gelächter, Satire, Spott!
Dabei legte er den Finger in die offene Wunde von Herostratos’ gespaltener Existenz: Im richtigen Leben erfüllte dieser nämlich keines dieser Klischees. Im Gegenteil, als Angehöriger des erweiterten Mittelbaus einer Zürcher Hochschule verdiente er seine Brötchen als Intellektueller. Schlimmer noch, er verdiente sie als einer dieser «Staatsbesoldeten», die sein virtuelles Alter Ego so sehr verachtete. Er bewegte sich privat in einem überwiegend linksliberalen Umfeld, das vermutlich nichts von seiner dunklen Parallelexistenz ahnte. Im Gegensatz zu ihm hat seine Ehefrau ihre sozialdemokratische Einstellung bis heute beibehalten. Lic. phil. Jekyll und Mr. Hyde – so eine gespaltene Identität ist nicht nur traurig, sondern geht früher oder später an die Substanz.
Nun stellt sich die Frage, ob sich aus seinem Fall wirksame Strategien und Taktiken ableiten lassen, um HaterInnen zu neutralisieren. «Ich weiss, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld», soll Henry Ford einmal gesagt haben. «Ich weiss nur nicht, welche Hälfte.» Ähnlich verhält es sich mit den Massnahmen, die gegen Herostratos eingesetzt wurden. Welche Faktoren wirklich den Ausschlag für dessen Rückzug gaben, ist schwer zu sagen. Allzu allgemeine Schlüsse lassen sich kaum ziehen, zumal sich in den Weiten des Internets viele verschiedene Trollspezies mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten und Motivationen tummeln. Aber der Aufstieg und Abgang unseres paradigmatischen Haters liefert doch einige Anhaltspunkte dafür, wie man gegen Trolle vorgehen kann.
Erstens: Hinter jeder trollenden Fassade steckt ein Mensch (jedenfalls solange Social-Bots eine kritische Grenze der künstlichen Intelligenz noch nicht überschritten haben). HaterInnen sollte man zunächst als Menschen ansprechen: «Sie sind doch eigentlich ein intelligenter Mensch, weshalb verbreiten sie dann solchen Unsinn?» Eine solche Frage mag effizienter sein als jede verbale Auseinandersetzung. Und sie kann Türen öffnen, die die harte Fassade der Kunstfigur durchbrechen. Herostratos war in privaten Hintergrundgesprächen deutlich zugänglicher und reflektierter als in seiner öffentlichen Rolle.
Zweitens: Die Frage ist nicht, ob man Trolle füttern soll, sondern womit man sie füttert. Man sollte lediglich vermeiden, ihnen darzubieten, wonach es sie gelüstet. Und das ist vielleicht gar nicht in erster Linie Aufmerksamkeit, sondern Empörung. Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston hat kürzlich im «Tages-Anzeiger» an die eigentlichen Waffen der Aufklärung erinnert, die eben keine Waffen der Empörung waren: «Philosophen wie Voltaire haben verstanden, dass Empörung ermüdet. Wir brauchen Gelächter, Satire, Spott.»
Drittens: Hart, aber freundlich bleiben. HaterInnen warten nur auf persönliche Angriffe, um die Verantwortung für die intendierte Eskalation genüsslich dem Gegenüber in die Schuhe zu schieben. Mit Freundlichkeit, Differenziertheit und kleinen Aufmerksamkeiten können sie deutlich schlechter umgehen. Üben wir uns im Umgang mit der Waffe des vergifteten Kompliments und im Spiel vom Schenken von Aufmerksamkeit und plötzlichen Aufmerksamkeitsentzug.
Schliesslich: «I learned long ago, never to wrestle with a pig. You get dirty, and besides, the pig likes it.» Diese Weisheit von George Bernard Shaw hält sich im Zusammenhang mit dem Trollphänomen hartnäckig. Aber wer sagt denn, dass nur die Schweine ihren Spass haben dürfen, wenn man mit ihnen kämpft? Den Spass daran, sich schmutzig zu machen, sollten wir nicht den Rechten überlassen.