Von oben herab: Moderne Zeiten

Nr. 18 –

Stefan Gärtner besucht Alice Weidel (AfD) in Biel

Es war die Knallermeldung der Woche: Alice Weidel, Spitzenkandidatin der «Alternative für Deutschland», lebt in Biel (Schweiz)! «Alternative zu Deutschland», machte sich die Systempresse denn auch sofort auf gewohnt hämische Weise lustig, als sei es nicht das Recht jeder weissen, gut verdienenden Europäerin, ihren Wohnsitz frei und steuergünstig zu wählen!

«Na, dann kommen Sie mal hinein in meine ‹Bergfestung›», lacht die sympathische Unsympathin, als ich ihr in Biel kurzerhand einen Besuch abstatte. «Dies ist mein kleines grosses Reich, mein Rückzugsort, wenn die Fronten sozusagen näher rücken und die asiatischen Horden vor der Türe stehen! Biel ist ja laut ‹NZZ› eine ‹Muslimhochburg›.» Die charismatische 38-Jährige weiss, wovon sie spricht, ist sie doch «Kosmopolitin, die unter anderem sechs Jahre in China gelebt und gearbeitet hat und fliessend Mandarin spricht» («Der Bund»). «Das ist eben der Unterschied», erklärt mir die promovierte Unternehmensberaterin und schält fliessend eine Mandarine. «Promovierte Unternehmensberaterinnen, chinesische Immobilienhaie oder russische Oligarchen, die sind nicht das Problem, die sind überall zu Hause und willkommen. Aber schwarze Hungerleider, die will ich nicht ‹schwarze HungerleiderInnen› nennen müssen, nur weil das die politische Korrektheit so will!»

Die müsse «auf den Müllhaufen der Geschichte», wiederholt sie gern ihre Erfolgsparole vom AfD-Parteitag. «Schauen Sie», sagt sie und schlägt uns ihre langen Beine ins Gesicht. «Es ist einfach nicht gesund fürs Volksempfinden, Gefühle unterdrücken zu müssen. Es macht auf Dauer krank, statt ‹Ich hasse Juden› bloss immer ‹Ich hasse Israel› sagen zu dürfen, falls man zu Israel in unserem korrekten Bevormundestaat überhaupt noch was sagen darf, ausser in den Online-Kommentarspalten der überregionalen Zeitungen!»

Energisch springt sie aus der geschmackvoll braunen Sitzlandschaft und lässt den Plattenspieler «In the Ghetto» spielen. «Da bin ich ausnahmsweise altmodisch», schmunzelt die erfolgsverwöhnte Wahlbielerin. «Mir gefällt es, mal auf 33, mal auf 45 zu stellen. Obwohl mir 33 natürlich lieber ist!» Vorsichtig frage ich, ob sie wegen der günstigen steuerlichen Umstände in die Schweiz gezogen ist. Da fällt sichtlich ein Schatten auf Weidels rabenschwarze Seele: «Ich bin allein der Liebe wegen hier, und das schliesst die Liebe zum Geld nicht aus – schliesslich bin ich Unternehmensberaterin und keine dreckige Bolschewistin. Oder wie man politisch korrekt sagen würde: ungewaschene Bolschewistin!»

Für den Bruchteil einer Zehntelsekunde wird der leidenschaftliche Fan von Hosenanzügen, rechtsdrehendem Joghurt und Braunbier mit Spucke nachdenklich. «Es ist überdies bloss Propaganda, wenn mir Flüchtlingsfeindlichkeit unterstellt wird. Ich bin zum Beispiel vorbehaltlos dafür, dass Steuerflüchtlinge Asylrecht geniessen.» Trotzdem, konfrontiere ich sie mit dem linksversifften Mainstream, habe Biels kommunistischer Stadtpräsident Fehr «keine Freude» an politischen Aktivitäten des bekennenden Mitglieds der Friedrich-Adolf-von-Hayek-Gesellschaft, denn Weidel wolle der AfD bloss einen «modernen Touch» geben. «Modernen Touch geben», schnaubt die gelernte Kältetechnikerin und zeigt mir den Entwurf für ein Wahlplakat, das verarmte (deutsche) Massen zeigt: «‹Unsere letzte Hoffnung: Weidel› – ich bitte Sie, wo ist denn das modern!»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.