Applaus, Applaus: Alles so normal hier
Alice Weidel trat vor den Mitgliedern eines Zürcher Wirtschaftsklubs auf. Es war ein Paradebeispiel für rechte Demagogie.
Die Stimmung im Zürcher Kongresshaus war gut, aber in jenem Moment, als AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel in gespielter Raserei die Grenzen des Sagbaren überschritt, kippte sie ins Ekstatische. Donnernder Applaus, was für eine Frau.
Beginnen muss man aber beim Gastgeber. Der Efficiency Club hatte zu einem Symposium geladen, Titel der Veranstaltung: «Let’s talk – Wirtschaft im Dialog». Der Club wurde 1936 gegründet, unter anderem von Christian Gasser, Mitglied der frontistischen Eidgenössischen Aktion und später beim reaktionär-antisemitischen Gotthardbund. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Gasser die Georg Fischer AG, die sich willfährig dem Naziregime angedient hatte, und wurde Betriebswirtschaftsprofessor an der HSG – mit Ehrendoktorwürde. Weidel wird später sagen, sie habe sich bewusst entschieden, zum Efficiency Club zu gehen, sie sei da «sehr selektiv».
Heute ist der Club einer dieser Safe Spaces des Zürcher Unternehmertums, wichtig sind Whisky, Kunst, Zigarren, Anzüge, Leadership und das Beherrschen von Posen, bei denen die Armbanduhr gut zu sehen ist. Der Club richtet vielfältige Veranstaltungen aus: Golfturniere, «Denkclubs» mit bekannten TV-Philosoph:innen («Networking auf höchstem Niveau») oder Vorträge mit Leuten wie Reinhold Messner. Kein Event aber ist so gross wie das jährliche Symposium, das mal im Hotel Dolder, mal im Kunsthaus stattfand, immer mit illustren Gästen, Sahra Wagenknecht etwa oder Sebastian Kurz, und immer mit einer gewissen Bandbreite von unverfänglich (dieses Jahr: der Zoodirektor) bis rechts. Nun also hatten sich die Wirtschaftsleute für Weidel entschieden. Eine aufschlussreiche Wahl.
Vor deren Auftritt wurde das Publikum von Markus Somm, notorisch erfolgloser Chefredaktor des «Nebelspalters», und Martin Naville, ehemaliger Chef der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer (auch so ein Klub), aufgewärmt. Es ging um die US-Wahl, und Niveau begegnete man keinem: Die Wahl Trumps sei eine «gute Geschichte», CNN so links wie Fox News rechts und Kamala Harris eine «ganz, ganz linke Politikerin», die die Schweiz hasse. Besonders gut kam an, dass Somm dem Publikum zurief, man solle alle Zeitungen abbestellen – «und das sag ich als Journalist».
Dann begrüsste Moderator und Coronamassnahmenkritiker Reto Brennwald die AfD-Politikerin, Somm blieb auf der Bühne kleben, und zu dritt trieb man eifrig die Normalisierung ihrer rechtsextremen Positionen voran. Das «schwächelnde Deutschland» müsse wieder «normal» werden, forderte Somm, das AfD-Programm sei «so, so gut», «normal» und «bürgerlich», «überhaupt nicht rechtsextrem», deshalb müsse sie, Weidel, auch an die Macht. Fiebrig hakte sich der «Journalist» auch gleich bei Weidel unter: «Wir müssen an die Macht!», schrie er, das Publikum war aufgepeitscht, und schliesslich gab sich Weidel in der Pose einer Aufständischen einem rassistischen Furor hin, über «Muslime», die «ihr Unwesen» auf «deutschen Strassen» treiben würden. Begeisterter Applaus, was für eine Show.
Brennwald hatte gesagt, man werde sofort in die rechte Ecke gestellt, wenn man «etwas Kritisches» sage. Und da standen sie, die drei, in dieser riesigen Ecke, beklatscht von rund tausend Geschäftsleuten, elektrisiert vom Gang der Politik, gesponsert von Raiffeisen, Swiss, Zurich-Versicherung, Crowdhouse und vielen, vielen mehr. «Wirtschaft im Dialog», das war – und das war vielleicht das Aufschlussreichste: grosszügig finanzierte rechte Demagogie, mitten in Zürich, im grössten Saal der Stadt, komplett ungestört.
Die Veranstaltung war ein Paradebeispiel dafür, wie offen Teile des Unternehmertums für rechtsradikale Politik sind, wie es deren Inhalte begrüsst, die aggressive Rhetorik. Und wie einfach mit dieser ein kollektiver Rausch ausgelöst werden kann. Einer sagte beim Rausgehen: «Deutschland braucht fünf Alice Weidels, um aus diesem Dreck zu kommen.» Der Abend war noch jung.
Nachtrag vom 21. November 2024: Autor:innen verurteilen Weidel-Auftritt
Die Berichterstattung zum Auftritt der AfD-Fraktionsvorsitzenden beim Zürcher Efficiency Club war wohlwollend: Im Zentrum stand Alice Weidels Privatleben, freundschaftlich wurde die rechtsradikale Brandstifterin auch in einem Interview dazu befragt. Selbst für einen neuerlichen Abdruck menschenfeindlicher Parolen waren sich einige Medien nicht zu schade. Dies und die Tatsache, dass der Anlass, an dem Weidel sprach, von Sponsoren mitfinanziert wurde, hat Autor:innen und Kulturschaffende empört. Inzwischen haben über 120 einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie ihren Unmut über «das Liebäugeln der Schweizer Wirtschaft mit der AfD» äussern. Es dürfe nicht sein, «dass im Dienst einer ‹effizienten› Wirtschaft die Grundsätze der Ethik, die Grundlagen der Justiz und Demokratie gefährdet werden».
Die WOZ hat bei einigen Sponsoren nachgefragt. Die Medienstelle der Swiss antwortete, man arbeite seit Jahren mit dem Efficiency Club als «Travel Partner» zusammen und stelle «ein bestimmtes Kontingent an Flugleistungen zur Verfügung». In die Programmgestaltung sei man nicht involviert, heisst es weiter, aber: «Die Zusammenarbeit unterstützt die Gewinnung neuer Kundinnen und Kunden in der KMU-Zielgruppe.» Kurz: Man setzt auf das Klingeln der Kassen. Auch Raiffeisen Schweiz spricht von einer langjährigen Zusammenarbeit. Politische Veranstaltungen seien «generell wichtig für das Funktionieren einer Demokratie». Kurz: Es ist ein bisschen egal, was da erzählt wird. Von der Zurich Versicherung kam bis Redaktionsschluss keine Antwort.