«Clash»: Auf engstem Raum zwischen den Fronten

Nr. 21 –

Kairo im Ausnahmezustand: Der packende Spielfilm «Clash» sperrt die ganze ägyptische Gesellschaft in einen Polizeitransporter – eine verschärfte politische Allegorie mit kleinem Hoffnungsschimmer.

Kleine Spritztour gefällig? «Clash» ist ein Kammerspiel hinter Gittern. Still: Cineworx

Was passiert, wenn Menschen, die einander aus weltanschaulichen Gründen spinnefeind sind und die gerade noch drauf und dran waren, im militanten Strassenkampf aufeinander loszugehen, plötzlich doch miteinander auskommen müssen, weil sie einen eng umgrenzten Raum miteinander teilen? Wenn sie also gezwungen sind, einander ins Gesicht zu sehen und ausserdem gemeinsam Trinkwasser zu organisieren oder auch Toilettenprobleme zu lösen haben? Solche Fragen bilden den ebenso simplen wie effektiven Ausgangspunkt für Mohamed Diabs «Clash», einen Film, der seit seiner Premiere letztes Jahr in Cannes gelegentlich als «Neuanfang für das ägyptische Kino» bezeichnet wird.

«Clash» spielt wenige Tage nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Muhammad Mursi durch das Militär am 3. Juli 2013, dem Massenproteste der Opposition vorausgegangen waren. Nach dem Putsch rief wiederum die Muslimbruderschaft, die ein Jahr vorher die Präsidentschaftswahlen gewonnen, aber aufgrund von Mursis autokratischem Auftreten das Vertrauen vieler ÄgypterInnen in Windeseile verspielt hatte, zu Demonstrationen auf. Diabs Film begibt sich in dieser bürgerkriegsähnlichen Situation zwischen die Fronten. Oder genauer gesagt, er baut die Front in kleinerem Massstab nach: Ein Polizeitransporter sammelt zunächst eine Gruppe von Unterstützern der Armee und danach protestierende Muslimbrüder ein. Zu allem Überfluss wurden kurz vorher auch noch zwei Journalisten aufgegriffen, die bei beiden Seiten ungefähr gleich unbeliebt sind. Die Bühne ist bereitet, das Spiel kann beginnen.

Wie einst bei Hitchcock

Diab ist nicht der erste Regisseur, der auf die Idee kommt, das filmische Bild durch räumliche Einengung unter Druck zu setzen. Man könnte ja längst schon eine kleine Filmgeschichte des «Enclosed space»-Kinos schreiben. Im Fall von «Clash» darf man zum Beispiel an das israelische Drama «Lebanon» (2009) denken, das komplett in einem Panzer spielt. Aber eben auch an Alfred Hitchcocks «Lifeboat» (1944) oder an Jan de Bonts «Speed» (1994).

Der inszenatorische Clou besteht nun darin, dass Mohamed Diab die Situation des Eingeschlossenseins auch formal nachvollzieht: Die Kamera bleibt über die gesamte Filmlaufzeit im Innern des Polizeitransporters – wobei sie freilich, genau wie die Inhaftierten, immer wieder Blicke durchs Fenster nach draussen wirft, mal vorsichtig-ängstlich, mal hoffnungsvoll. So ist «Clash» auch ein Porträt Kairos, zusammengesetzt aus fragmentarischen Bildern einer Stadt im Ausnahmezustand. Im Innern des Wagens wiederum stossen alle Versuche, stabile Ordnungssysteme zu errichten, schnell an ihre Grenzen: Die Islamisten auf die eine, die Säkularen auf die andere Seite – solche Sortierungen erweisen sich, wenn es hart auf hart kommt, schnell als unbrauchbar.

Diabs Aufmerksamkeit gilt einerseits den Aushandlungsprozessen, die die vielen kleinen und grösseren Konflikte, die sich zwangsläufig aus einer solchen Situation ergeben, entschärfen sollen. Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass auch eine straff organisierte Kaderorganisation wie die Muslimbruderschaft ihre Mitglieder und Sympathisanten nicht immer perfekt unter Kontrolle halten kann. Andererseits registriert der Film aber auch – und da liegt seine eigentliche Stärke – die körperliche und psychische Belastung, der alle InsassInnen gleichermassen ausgesetzt sind.

Und ein bisschen Eifersucht

Aber auch die Polizisten, die den Transporter zu bewachen haben, sind kaum besser dran: verängstigte junge Männer, denen die Situation andauernd über den Kopf zu wachsen droht. Weil jeder auf seine eigene Art leidet, rückt dieser zweite Aspekt im Lauf des Films immer stärker in den Vordergrund: Die vielen Männer und die zwei Frauen im Polizeiwagen verwandeln sich von RepräsentantInnen sozialer Schichten und politischer Gruppierungen in hilflose Individuen, die darauf hoffen, mit heiler Haut davonzukommen. Solidarität im geteilten Leid: Das ist so ziemlich der einzige politische Hoffnungsschimmer, den dieser Film anzubieten hat.

Freilich ist «Clash» mindestens ebenso sehr technisch perfekt austariertes Spannungskino wie politische Allegorie. Diab lässt sich keine Gelegenheit entgehen, die Situation durch mal mehr, mal weniger einleuchtende Zusatzkonflikte noch weiter zu verschärfen. Ein sehr effektiver Handlungsstrang dreht sich um die beiden Frauen, die sich auf engstem Raum zwischen knapp zwei Dutzend Männern behaupten müssen; ob es allerdings andererseits unbedingt notwendig gewesen wäre, kurz vor Schluss noch eine Eifersuchtsgeschichte zusammenzukonstruieren, steht auf einem anderen Blatt.

Das Innere des Polizeitransporters fungiert jedenfalls nicht nur als (maximal instabile) Agora, auf der die Spannungen der ägyptischen Gesellschaft ausgebreitet werden, sondern auch als eine Art mobiles Filmstudio, mitsamt stimmig durchkomponierter Lichtdramaturgie: Wenn die Nacht über Kairo hereinbricht, verwandelt sich die zunächst noch glasklar ausgeleuchtete Szenerie Schritt für Schritt in einen schummrigen, phantasmagorischen und natürlich hochgradig klaustrophobischen Albtraum.

Ab 25. Mai 2017 im Kino.

Clash. Regie: Mohamed Diab. Ägypten/Frankreich 2016