Türkei III: Kunstaktion: Von Deutschland lernen heisst Aufstand lernen!
Aktionskunst zehrt von der Aufmerksamkeit, die sie zu erregen vermag. Gemessen an diesem Kriterium ist der jüngste Coup des Zentrums für politische Schönheit zweifellos gelungen, die Feuilletons grosser Tageszeitungen kommentierten eifrig. Das deutsche KünstlerInnenkollektiv hatte am Freitag letzter Woche aus dem Fenster eines Hotels in der Nähe des Istanbuler Geziparks rund tausend Flugblätter auf die Strasse regnen lassen. Darin wurden die TürkInnen in der Landessprache dazu aufgerufen, gegen die «offen totalitäre Diktatur» von Präsident Recep Tayyip Erdogan Widerstand zu leisten: «Seid keine willenlose Herde, die zulässt, dass Nachbarn eingesperrt oder getötet werden. Verteidigt die Demokratie», hiess es.
Die KünstlerInnen gingen bei der Aktion überaus pfiffig vor: Sie positionierten einen Drucker am geöffneten Fenster des Hotelzimmers und starteten das Gerät dann aus sicherer Entfernung per Smartphone. Erst nach einigen Minuten bemerkten HotelmitarbeiterInnen, was in dem Zimmer vor sich ging, und entfernten das Gerät vom Fenster. Die mit der konspirativen Operation betraute Person sass da schon längst im Flugzeug zurück nach Deutschland.
Logistisch war das eine Glanzleistung. Mehr aber auch nicht. So wurde im Flugblatt explizit zum Mord an Erdogan aufgerufen («Tod dem Diktator!») und überdies behauptet, dass die Aktion «aus Mitteln des Freistaats Bayern und der Bundesrepublik Deutschland» finanziert worden sei. Dieser Hinweis dürfte dazu gedient haben, der deutschen Politik wegen ihrer zu zaghaften Linie gegenüber dem türkischen Staat ans Schienbein zu treten. Faktisch aber bedienen diese Sätze auch die von der Regierung Erdogan gerne zur Legitimation von Repressionen bemühte Erzählung, ausländische Mächte hätten sich verschworen, um die Türkei in die Knie zu zwingen. Damit dürfte das Zentrum für politische Schönheit der türkischen Opposition einen Bärendienst erwiesen haben.
Hinzu kommt, dass die Aktion Teil des von den KünstlerInnen ausgerufenen Wettbewerbs «Scholl 2017» war; dieser soll an den Widerstand der Weissen Rose im «Dritten Reich» erinnern, was der Flugblattaktion eine üble Note verleiht. In Deutschland hält man sich ohnehin für besonders beflissen in Sachen «Geschichtsbewältigung». Dieser Geist spricht auch aus der jüngsten Aktion des Kollektivs, das offenbar der Ansicht ist, dass nicht nur Autos, sondern auch das berüchtigte deutsche Unbehagen an Obrigkeiten unbedingt in alle Welt exportiert werden müsse. Das ist nicht schön, sondern selbstherrlich.