Linke Strategien gegen den Terror: Noch immer «Stadt der Hoffnung»
Nach den Anschlägen von Barcelona ringt das Land um Antworten. Die linke Bürgermeisterin der Stadt kämpft gegen die Hysterie.

Vor einer Woche sind bei zwei Attentaten in Barcelona und Cambrils fünfzehn Menschen – exklusive der acht getöteten mutmasslichen Attentäter – getötet und über hundert verletzt worden. Seither ist spanienweit eine Debatte entbrannt: Wie lässt sich Sicherheit verstärken, wie die Radikalisierung junger Muslime verhindern?
«Sie waren Kinder, wie alle Kinder in Ripoll. Was haben wir falsch gemacht?», fragte Raquel Rull fassungslos in einem offenen Brief, der in der Tageszeitung «La Vanguardia» erschien. Die Sozialarbeiterin aus der Pyrenäenkleinstadt Ripoll hatte einst mit einigen der jungen Attentäter gearbeitet. Dies fragen sich nun Experten und Ermittlerinnen, aber auch die Angehörigen, Nachbarinnen und Freunde des 22-jährigen Amokfahrers, der am Montag von der Polizei erschossen worden war. Wer ihn persönlich kannte, beschrieb Younes Abouyaaqoub als «ruhig und einen ausgezeichneten Schüler».
Mangelnde Kooperation
Rechte Kommentatorinnen und Politiker des konservativen Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy stiessen sich an der Weigerung von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau vom linksalternativen Bündnis Barcelona En Comú (Gemeinsam Barcelona), physische Barrieren an den Zufahrten zur Rambla aufzustellen, und der reaktionäre Priester Santiago Martín rief in seiner Sonntagspredigt dazu auf, Colau «wegen Mittäterschaft anzuzeigen». Colau betonte unmittelbar nach dem Attentat noch, Barrieren stünden konträr zur Weltoffenheit Barcelonas, die es zu wahren gelte. Schlussendlich gab sie dem Druck nach: Nun werden doch Poller installiert.
Menschlichkeit hat Colau – im Gegensatz zu Madrid – schon öfter bewiesen: bei der Aufnahme von Flüchtlingen etwa. Während einer Grossdemonstration im Februar unterstrich sie, Barcelona solle eine «Stadt der Hoffnung» sein. Colau sorgte auch dafür, dass MigrantInnen weiterhin kostenfreien Zugang zum Gesundheitssystem erhalten, den die Regierung in Madrid massiv eingeschränkt hatte.
Die abtrünnige Region Katalonien, die am 1. Oktober über ihre Unabhängigkeit abstimmen will, beklagt derweil die mangelnde Kooperation mit Madrid und der spanischen Polizei – insbesondere, dass die katalanische Polizei bislang keinen direkten Zugang zu den Datenbanken von Europol und Interpol erhalten habe. Das soll sich nun ändern. Colau, die in der Sezessionsfrage bislang stets Neutralität wahrte, hatte im Clinch zwischen Madrid und der katalanischen Regionalregierung kaum Spielraum.
Die nationale Antiterrorstrategie – mehr Überwachung, mehr Festnahmen – greift jedenfalls zu kurz. Und die mit En Comú alliierte Linkspartei Unidos Podemos weigert sich, dem vom PP vorgelegten parteiübergreifenden «Anti-Dschihadismus-Pakt» beizutreten, der den Sicherheitskräften und der Justiz den Kampf gegen terroristische Zellen erleichtern soll. «Wir wollen eine angstfreie Gesellschaft», betont Colaus Parteikollege Xavier Domènech.
Darüber hinaus wird auch Kritik am katalanischen Präventionsprogramm gegen islamistischen Extremismus an Schulen (kurz: «Proderai») laut. Die Massnahmen waren 2015 nach den Anschlägen in Paris von der katalanischen Polizei und dem Bildungsministerium aus der Taufe gehoben worden, kamen jedoch erst Ende 2016 flächendeckend zum Einsatz. Muslimische Gemeinschaften und Antirassismus-NGOs erachten das Programm als «stigmatisierend» und «ohne wissenschaftliche Basis» – kurzum: als nutzlos oder gar kontraproduktiv. Denn zwar sind Lehrkräfte dazu verpflichtet, mögliche Fälle von Radikalisierung zu melden. Doch zu den fünfzehn Fällen, in denen dies bisher geschah, zählten Gründe wie der Unwille, Weihnachten zu feiern, oder Referate zum Kalifat von al-Andalus, sagt Ibrahim Miguel Ángel Pérez von der Plattform Muslime gegen Islamophobie.
Offline-Radikalisierung
Die Mitglieder der Terrorzelle von Barcelona waren in der 10 000-Seelen-Gemeinde Ripoll bestens integriert, die Radikalisierung geschah überwiegend offline, durch persönlichen Kontakt mit einem Imam, jenseits gängiger IS-Propagandakanäle. «Man muss die Strategie gegen den Terrorismus überdenken», forderte deshalb Carola García-Calvo am Dienstag in der Zeitung «El País». Die Terrorzelle von Barcelona sei eine «Bilderbuchterrorzelle, die durch familiäre und nachbarschaftliche Bindungen starke Kohäsion aufwies», so die Antiterrorexpertin.
Der Madrider Terrorismusprofessor Fernando Reinares hat kürzlich die Profile von 178 Personen untersucht, die in Spanien zwischen 2013 und 2016 im Zusammenhang mit Dschihadismus verhaftet worden waren. Dabei zeigte sich: Die meisten sind Männer zwischen 18 und 38 Jahren, die sich an einem der vier «Hotspots der Radikalisierung» Spaniens dem Salafismus anschlossen: in Barcelona und Madrid sowie in den Exklaven Ceuta und Melilla. Einer von zehn ist zum Islam konvertiert, hat eine akademische Ausbildung genossen. Je knapp fünfzig Prozent sind spanische – auch Migrantenkinder aus dem Maghreb in der zweiten Generation – sowie marokkanische Staatsbürger. Wie Reinares erhob, wurden über die Hälfte sowohl online als auch offline radikalisiert – im direkten Umfeld einer Moschee etwa und über dschihadistische Internetpropaganda.