100 Wörter: Melancholie im Seitental
Beim Wandern durch die Gluntztaler Berge, von Pfaffenkogl nach Obergörgl, überkam den Schweden Hendrickson unerwartet eine Melancholie, die so gar nicht zu der zwar aufgesetzten, aber dennoch erfrischenden Fröhlichkeit der Einheimischen passen wollte, die sich ihrer Abhängigkeit vom Tourismus, der sich in diesem abgelegenen Seitental in überschaubarem Rahmen abspielte, wohl bewusst waren. Wo immer er sich mit Proviant versorgte, verpflegte oder einquartierte, suchte man ihn mit Schnäpsen, Spässen und Hits auf der Handharmonika in feriengerechte Stimmung zu versetzen. Um sich dieser Pflichterheiterung zu entziehen, setzte Hendrickson ein jeglichen Schabernack verbietendes Lächeln auf, das des Prinzgemahls von Norwegen würdig gewesen wäre.
Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held», «Stirb, schöner Engel», «Mordgarten») und lebt in Zürich. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen. Die WOZ hat eine Auswahl unter dem Titel «100 Mal 100 Wörter» als Buch herausgegeben, das unter www.woz.ch/shop/woz-buecher erhältlich ist. Sein Krimi «Mordgarten» ist unter www.woz.ch/shop/buecher zu haben.