Wahlbeobachtung: Vermeintliche Gütesiegel

Nr. 36 –

In Kenia hat der Oberste Gerichtshof das Ergebnis der Präsidentschaftswahl gekippt. Nicht nur dort zweifeln deshalb viele am Nutzen ausländischer Wahlbeobachtungsmissionen.

«Die Präsidentschaftswahl vom 8. August ist nicht verfassungsgemäss durchgeführt worden, die Ergebnisse sind ungültig und nichtig»: Dieser Satz von David Maraga, dem Vorsitzenden Richter am Obersten Gerichtshof in Kenia, trieb am vergangenen Freitag OppositionsanhängerInnen im Freudentaumel auf die Strassen – und dem bis dahin als wiedergewählt geltenden Präsidenten Uhuru Kenyatta die Zornesröte ins Gesicht.

Gerötet haben dürften sich auch die Gesichter mancher WahlbeobachterInnen, allerdings eher vor Scham. Denn sie hatten die Wahl allzu schnell als frei und fair durchgewinkt. Er gehe davon aus, dass an den Vorwürfen der Opposition nichts dran sei, verkündete David McAllister, Chef der Mission des EU-Parlaments, noch vor Veröffentlichung des Endergebnisses. Der Opposition gab der Konservative gleich noch mit: «Zu einer Demokratie gehört es eben auch, dass ein Verlierer die Wahl akzeptiert.» Hinweise, der Opposition stehe der Rechtsweg offen, gingen im Vergleich unter. Auch der ehemalige US-Aussenminister John Kerry, der die WahlbeobachterInnen des Carter-Centers anführte, versicherte, die Wahlkommission werde garantieren, dass keine einzige Stimme verloren gehe. Und der Expräsident von Ghana, John Mahama, beschied: «Glaubwürdig, transparent und inklusiv» seien die Wahlen gewesen. Vermeintliche Gütesiegel, von Gerichts wegen entwertet.

Neokoloniale Attitüde

Nicht nur in Kenia fragen deshalb viele: Brauchen wir solche WahlbeobachterInnen? «Du kannst nicht einfach ein Wahllokal in einer Primarschule besuchen und danach behaupten, alles ist gut gelaufen», wettert der kenianische Gewerkschafter Francis Atwoli. Er selbst hat bereits mehrere Wahlen im Ausland verfolgt und urteilt: «Die Beobachter haben ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht.» Die Allianz hinter Oppositionsführer Raila Odinga hatte die Auswahl schon früh kritisiert. «Einige haben tolle Namen, aber von Wahlbeobachtung haben sie keine Ahnung», so Sprecher James Orengo.

Die Menschenrechtlerin Muthoni Wanyeki platzt fast vor Wut: «Einige Diplomaten haben mir ins Gesicht gesagt: ‹Im historischen Vergleich ist diese Wahl doch eine Verbesserung.› Tut mir leid, aber wir leben nicht in der Historie, sondern im Hier und Jetzt, und wir wollen freie und faire Wahlen.» Nicht nur Wanyeki wirft den überwiegend weissen WahlbeobachterInnen, die kurz vor dem Wahltag in den grossen Hotels Quartier beziehen, eine neokoloniale Attitüde vor. Was zu Hause niemals als freie Wahl durchgehen würde: Für die AfrikanerInnen wird es schon gut genug sein. «Sie behandeln uns wie kleine Kinder.»

Mit ihren Wahlbeobachtungsmissionen ist die EU in ganz Afrika aktiv. 14 von 22 Missionen, die zwischen 2014 und 2016 stattfanden, waren südlich der Sahara im Einsatz. Wohl auch deshalb, weil sie eine Einladung der Regierung brauchen. Die überwiegend von Entwicklungshilfe abhängigen Staaten Afrikas sind – anders als Regierungen in anderen Weltregionen – kaum in der Lage, Nein zu sagen. In den Missionen der EU sind auch SchweizerInnen vertreten, ebenso wie in denen der OSZE, die für Wahlen in ihren 54 Mitgliedstaaten zuständig ist. Aus dem Expertenpool für zivile Friedensförderung stellt das EDA nach eigenen Angaben jährlich gut 200 ExpertInnen zur Förderung von Frieden und Menschenrechten zur Verfügung, dazu zählen auch die WahlbeobachterInnen.

Ungelesene Berichte

Anders als PolitikerInnen und Prominente machen sie die Kärrnerarbeit: Zwei Monate vorher richtet ein Kernteam eine Zentrale ein, baut Kontakt zu allen Parteien und der Zivilgesellschaft auf. Sieben Wochen vor der Wahl folgen LangzeitbeobachterInnen, die unter anderem die Medienpräsenz im Wahlkampf bewerten. Auf ihrer Vorarbeit fusst das Urteil der KurzzeitbeobachterInnen, die das Gros der Mission ausmachen und nur fünf bis zehn Tage im Land sind. Es gibt Bewerbungsverfahren und Trainings, und ihre Berichte sind ausgewogen und folgen einer strengen Systematik. Das Problem: Niemand liest sie.

Der endgültige Bericht über die Wahl in Kenia etwa ist noch lange nicht fertig und trotzdem bereits wertlos. Für die WahlsiegerInnen, in Afrika viel zu häufig die Amtsinhaber, zählt nur das «thumbs up» kurz nach der Wahl.

Dass sie keinen Einblick in Computeralgorithmen haben, die in Kenia gehackt worden sein sollen, wissen auch die WahlbeobachterInnen. Und trotzdem: «Sie geben der Bevölkerung und den nationalen Wahlbeobachtern die Sicherheit, dass eine unabhängige Instanz hinschaut und sie nicht alleine lässt», sagt Agnieszka Miadowicz vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin.

Mehr als 8300 nationale BeobachterInnen waren alleine in Kenia im Einsatz, in allen Wahlkreisen. Auf ihnen ruht jetzt die Hoffnung, dass die nächste Wahl tatsächlich fair verläuft. Auch internationale BeobachterInnen werden sich dann wieder einfinden, doch das Vertrauen in ihr Urteil ist angeschlagen. Das liegt vielleicht auch daran, dass Wahlen wie die von Donald Trump in den USA auch in Afrika längst nicht mehr als vorbildlich gelten. Kritik aus dem Ausland müssen sich US-Wahlbehörden dennoch nicht gefallen lassen. In dreizehn US-Bundesstaaten sind WahlbeobachterInnen ganz verboten.