50 Jahre Trikont: «Heimat ist eine Erfindung»

Nr. 48 –

Einfach immer weiterfliegen: Achim Bergmann und Eva Mair-Holmes, die beiden ChefInnen des legendären deutschen Musikverlags Trikont, über Pop und Politik, Herkunft und Heimat Liebe und Überlebenskunst.

«Es war von Anfang an ein unglaublicher Parforceritt durch alles, was uns bewegt und interessiert hat»: Eva Mair-Holmes und Achim Bergmann mit Klassikern aus dem Trikont-Programm. Foto: Sebastian Weidenbach

Trikont ist das älteste unabhängige Plattenlabel im deutschsprachigen Raum. Es steht für Widerspruchsgeist und Pop, Tradition und Experiment, für ein Nebeneinander von lokaler und globaler Subkultur. Brass Bands finden sich hier genauso wie Black Music, vietnamesische Strassenmusik genauso wie Attwenger, Rocko Schamoni oder Bernadette La Hengst. Achim Bergmann (74) und Eva Mair-Holmes (67), die beiden Köpfe des Labels, sind auch privat ein Paar. Für dieses Interview wurden sie vorsichtshalber getrennt befragt.

WOZ: Herr Bergmann, es grenzt an ein Wunder: Die Musikindustrie stirbt tausend Tode, und Sie bringen auf Ihrem kleinen Label Trikont immer noch Alben heraus, die kaum je in den Charts landen. Wäre es nicht mal Zeit, ans Aufhören zu denken?
Achim Bergmann: Als gemeldet wurde, dass die Raumsonde Voyager seit vierzig Jahren durchs All fliegt und inzwischen unser Sonnensystem verlassen hat, habe ich gedacht: Das finde ich gut. Statt irgendwo zu landen, fliegt man einfach weiter.

Auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober haben Sie, ausgerechnet zum Auftakt des Labeljubiläums, einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. Wie ist das passiert?
Ich kam am Stand der Wochenzeitung «Junge Freiheit» vorbei, wo gerade ein Buch über die Achtundsechziger vorgestellt wurde, nach dem Motto «Mit denen beginnt alles Übel». Das hat mich wütend gemacht, ich habe lautstark dazwischengerufen. Daraufhin sprang ein Mann aus dem Publikum auf und verpasste mir einen gezielten Faustschlag. Blitzschnell, profimässig, zwischen Kinn und Lippe. Ich bin in die Knie gegangen und habe geblutet wie ein Schwein. «Ihr redet doch immer von Anstand», habe ich zu den Leuten vor dem Stand gesagt, «schämt ihr euch nicht, dabei zuzuschauen, wie ein 74-jähriger Mann niedergeschlagen wird?» Und da standen sie. Alles Anzugträger. Und die lächelten bloss.

Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
Noch nie. Zwei Dinge haben mich wirklich überrascht: die Brutalität sowie das Selbstbewusstsein des Schlägers und das der Leute um ihn herum. Meine Partnerin und ich sind gleich noch einmal zurück, um Fotos zu machen. Der Schläger stand immer noch da, seelenruhig. Und hat ihr das Handy aus der Hand gerissen und weggeschleudert. Aber es gab auch etwas, das mich gefreut hat: Drei Jungs und zwei Mädchen von einem benachbarten Comicstand haben den Schläger gestellt. Sind hinter ihm her, als er abhauen wollte, haben ihn eingekreist und sind so lange um ihn herumrotiert, bis die Polizei kam und ihn festgenommen hat.

Trikont war anfangs ein Buchverlag, gegründet 1967, in der Hochphase der Studentenbewegung. Schwer vorstellbar, dass Sie sich damals über Polizei gefreut hätten. Welche Bedeutung hat für Sie 1968 heute?
Es war ein Höhepunkt. Aber ich sehe es nicht als singuläres Ereignis, und ich halte wenig davon, einen 68er-Typus zu konstruieren, den es in Wirklichkeit gar nicht gab. Eher würde ich sagen: In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre kamen Leute aus den unterschiedlichsten Ecken und Szenen zusammen. Die grosse Leistung dieser Bewegung war es, totale Verschiedenartigkeiten zu koordinieren. Das ist deshalb so wichtig, weil damit ein Fundament gelegt wurde. Für die heutige Gesellschaft, die relativ liberal ist. Aber das ist nichts Abgeschlossenes. Die Geschichte der Demokratie muss immer wieder neu geschrieben werden.

Wo fängt Ihre eigene Geschichte an?
Mein Vater war ein Angestellter ohne Abitur, der mit Schrott gehandelt hat. Über den Krieg redete er nicht viel. Ich wusste nur, dass er die Nazis verabscheut hatte. Als Jugendlicher habe ich Comics, Rock ’n’ Roll und die Milchbars geliebt, die es in jeder Kleinstadt gab. Das politische Denken im engeren Sinne fängt mit den Gastarbeitern an, das wurde später auch eines der grossen Themen bei Trikont. Mit Leuten also aus der Türkei, Griechenland, Jugoslawien, die kaum jemand wahrgenommen hat. Wir waren die Ersten, die Kontakte geknüpft haben. Aber wir wollten niemanden bekehren, wir waren ja keine Partei, sondern wollten, dass die für sich selbst was tun. Dass sie «in die Gesellschaft gehen», wie wir gesagt haben.

Wer ist «wir»?
Das ist nicht immer ganz leicht zu sagen. Ich gehörte in den späten Sechzigern zu einer losen Gruppe, die nach dem Vorbild französischer und italienischer Gruppen organisiert war. Wir waren Urautonome und nannten uns «Arbeitersache». Unser Treffpunkt war ein Stadtteilzentrum in München Milbertshofen, das Milbenzentrum. Das befand sich gleich um die Ecke von BMW, wo die Belegschaft am Fliessband zu siebzig Prozent aus Gastarbeitern bestand. Mit denen haben wir versucht, einen gemeinsamen Alltag zu leben.

Von Ideen wie Multikulti oder Empowerment war die Gesellschaft noch weit entfernt.
Gastarbeiter, das waren ja vor allem Männer, ohne Familie. Bei den Türken war das Problem, dass niemand von denen ein Wort über den Islam gesagt hat. Das Verhältnis zu Frauen war entsprechend schwierig. Einmal kam der Filmemacher Alexander Kluge zu einem unserer Feste und war sofort begeistert. Der hat geschwärmt, von dieser Mischung aus Politik und Sinnlichkeit, alle vereint in diesem bunten Treiben. Dann aber zieht einer der türkischen Männer ein Messer, weil ein anderer ihm ein attraktives deutsches Mädel weggeschnappt hat. So etwas kam vor, und da war es dann erst einmal vorbei mit der Sinnlichkeit. Das hätte aber auch mit jemandem aus Niederbayern passieren können.

Sie sind vom Sauerland nach Bayern eingewandert. Wie denken Sie über Heimat, jenen Begriff, der auf der politischen Skala in Deutschland eher rechts zu stehen scheint?
Als ich vor über 35 Jahren aufs Land gezogen bin, in die Holledau, war mir bald klar geworden, dass es auf dem Land noch etwas anderes gibt – und nicht nur das Katholische und das Spiessige und die CSU. Die Leute sprechen anders, leben anders. Dafür muss man aber bereit sein und sich aus der eigenen Vorurteilsecke herausbewegen. Ich habe erst jetzt wieder daran gedacht, als ich «Rückkehr nach Reims» von Didier Eribon las, der von den Ausgeschlossenen spricht. Ich selbst konnte mit den Niederbayern erst mal nicht viel anfangen. Die karge Sprache mit ihren Sprüchen: «Es ist, wies ist.» Dann merkte ich, das ist gar nicht so blöd. Und dahinter verbirgt sich ein Widerstandsgeist. Ich liebe Bayern, so gesehen, aber ich habe in meiner ganzen Zeit hier noch kein einziges Mal gehört, dass jemand von Heimat spricht. Es geht um die eigene Umgebung, die Nachbarn, die Geschichten. Heimat aber ist eine Erfindung. Ein leerer Begriff, der umso lieber von Politikern verwendet wird.

Wie kamen Sie zum Trikont-Verlag?
Das war schon bald nach meinen ersten Demonstrationen. Und nach einem Abstecher nach Paris, wo ich mit meiner damaligen Freundin in der Cinémathèque zwei Wochen nur Filme angeschaut habe. Kino war wie eine zweite Erfindung von uns selbst. Als dann die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, war allen klar: Sie können jetzt alles verbieten, wenn sie wollen, Versammlungen, Demonstrationen. Doch es hat sich herumgesprochen: Wir gehen jetzt nicht einfach alle nach Hause. Wir machen weiter. Jugendliche und Studenten wie ich schlossen sich also zusammen, darunter Leute vom Sozialistischen Studentenbund. Und von denen gehörten einige zu Trikont. Das ging alles ganz schnell, so bin ich im Verlag gelandet. Und den habe ich dann irgendwann erst mal alleine weitergeführt.

Die Bücher und dann vor allem Platten, die bei Trikont erschienen sind, spiegeln die Entstehung der alternativen Szenen der siebziger und achtziger Jahre wider. Was hat diese Szenen miteinander verbunden?
Wir haben die erste Schwulenplatte gemacht. Die erste Platte mit einer Bürgerinitiative. Und aus der Buchreihe «Frauenoffensive» ist der erste Frauenverlag hervorgegangen. Hinter all dem stand eine antiautoritäre Grundhaltung. Das musste sein, als Reaktion auf das, von wo wir geschichtlich herkamen. Und worüber ja lange Zeit fast niemand redete. Wobei es bei vielen so etwas wie eine gefestigte antifaschistische Haltung gar nicht gab, auch bei mir nicht.

Wie meinen Sie das?
Als ich mit fünfzehn in einen Tanzkurs ging, habe ich mich zum ersten Mal unsterblich verliebt. Sie hiess Heidi. Ihr Vater war Unternehmer und war bei der Waffen-SS gewesen. Wir haben uns endlos gestritten. Sie hat ihren Vater verteidigt und gemeint, die Waffen-SS sei nicht die SS. Und ich habe immer nachgehakt. Und habe erst hinterher gemerkt, dass mich das eigentlich gar nicht interessiert. Sie schrieb mir, dass sie mich zwar sehr lieben, es aber nicht ertragen würde, wie ich über ihren Vater redete. Kurz darauf hat sie mich verlassen, und ich habe schrecklich darunter gelitten und mir gesagt: Du Idiot! Was geht dich die Waffen-SS an? Natürlich waren wir gegen die Nazis. Aber gleichzeitig war das viel zu gross. Fünfzig Millionen Tote. Sechs Millionen Tote. Was solltest du da sagen? Das konntest du nicht mal denken.

Die antiautoritäre Grundhaltung ist so etwas wie das Markenzeichen von Trikont. Gab es darüber hinaus jemals so etwas wie eine Programmatik?
Eigentlich nicht. Es war von Anfang an ein unglaublicher Parforceritt durch alles, was uns bewegt und interessiert hat. Anfangs in Buchform. Dann kam die Musik, und das war neben amerikanischer Rockmusik vor allem Musik, die aus Berlin kam. Von Ton Steine Scherben zum Beispiel. Für die haben wir den Vertrieb gemacht, und wir halfen ihnen, die Platten aus dem Presswerk freizukaufen, da sie die Rechnungen nicht zahlen konnten. Und es gab Lotta Continua, eine militante Gruppe der italienischen Studenten- und Arbeiterbewegung, die haben gesungen wie die Teufel. Eigene Lieder. Die haben uns beigebracht, dass man singen kann. Und dass Musik eine Kunstform ist, die so direkt ist wie keine andere.

Die Übergänge von politischem Engagement und militanten Gruppen waren fliessend. Hatten Sie überlegt, in den bewaffneten Untergrund zu gehen?
Sagen wir mal so: Da war man doch sehr nah dran.

Mitglieder der RAF waren hier im Trikont-Büro in München einige Nächte lang zu Besuch, um mit Ihnen über Michael «Bommi» Baumanns Buch «Wie alles anfing» zu sprechen.
Ja. Das Buch von Bommi Baumann war ein Projekt, das uns der Filmemacher Harun Farocki vermittelt hatte. Eine autobiografische Geschichte über die Faszination des politischen Untergrunds. Die endet aber mit der Aufforderung: Genossen, schmeisst die Knarren weg! Wir haben das Buch vor der Veröffentlichung in der Szene verschickt und wollten sichergehen, dass Personen, die im Buch vorkommen, nicht gefährdet sind. Die Leute von der RAF fühlten sich politisch angegriffen. Der Witz war nun, dass das Buch sofort nach Erscheinen verboten wurde – obwohl es eben eine Absage an den bewaffneten Kampf war. Das Verbot war aber sehr gut fürs Buch. Es hat sich in kurzer Zeit über 100 000-mal verkauft. In Form einer Extraausgabe, die von Intellektuellen von Heinrich Böll bis Hans Magnus Enzensberger herausgegeben wurde. Medientechnisch war das ein Coup.

Welche Grenzen in der politischen Auseinandersetzung gab es für Sie?
Die meisten aus unserer Szene waren illegalen Projekten nicht abgeneigt. Grenzüberschreitungen mussten aber einer Überprüfung standhalten. Es war für alle klar, dass Menschen nicht verletzt oder getötet werden dürfen. Aber eben auch: Du kannst dir von Autoritäten, die du dir nicht ausgesucht hast, nicht die Form des Widerstands vorschreiben lassen. Eine Frau aus der Szene – die hiess Tschenkie, ihr Sohn ist, glaube ich, heute bei den Goldenen Zitronen –, die hat mit jemandem zusammen eine Bank überfallen – um damit ihren Kindergarten zu finanzieren. Ich kenne niemanden, der ihr das übel genommen hat. Für so etwas gab es Sympathie.

Wie haben Sie Eva Mair-Holmes kennengelernt, Ihre spätere Partnerin?
Das war, als ich hier in München jemanden beim «Blatt» besuchte, das war die erste Stadtzeitung in Deutschland. Eine wunderbare eigene Minibewegung. Die haben gesagt: Wir regeln einen wichtigen Teil unseres Lebens, nämlich Information und Kommunikation, ab jetzt selber. Eva ist mir gleich aufgefallen, weil sie in so engen Tigerhosen herumlief. Näher kennengelernt haben wir uns kurz darauf bei einer Silvesterparty. Da war aber auch noch ihr Mann dabei. Und der Sohn war da. Und am nächsten Morgen kam ihre Tochter angestiefelt, eine Punkerin, rotzfrech. Also, irgendwie gefiel mir das Ganze. Und bei Trikont sah es gerade düster aus. Ich suchte jemanden und wusste gleichzeitig, dass Eva gerade einen Job suchte. Ich habe ihr also mit der Post ein «Powerpack» geschickt, das habe ich so dazugeschrieben. Darin befand sich «Hey Staat» von Hans Söllner, ausserdem die Fraunhofer Saitenmusik und eine Cajun-Platte – die Upperclass unserer Produktion. Eva muss sich kaputtgelacht haben. Die war da längst bei New Wave. Aber sie hat sich nicht abschrecken lassen. Das war vor 27 Jahren. Und sie ist immer noch hier.


Frau Mair-Holmes, wie haben Sie Achim Bergmann kennengelernt?
Eva Mair-Holmes: Ich arbeitete damals in der «Blatt»-Redaktion. Ich kann mich erinnern, dass irgendwann einer reinkam, ein Riesentyp mit zotteligen Haaren und im Fellmantel. Und einem Riesenhund. Ich habe mir diesen Typ so angeschaut und gedacht: Wie sie immer rumlaufen; wie sie immer ausschauen. Und hab ihn dann doch sehr interessiert betrachtet.

Wie war das, als Sie bei Trikont anfingen, jenem Label, vor dem später etwa der legendäre britische Radio-DJ John Peel ehrfürchtig auf die Knie gehen sollte?
Mein erster Gedanke war: Das gibts überhaupt nicht. An den Wänden hingen uralte Plakate. Und da sass so ein Typ herum, an einer mechanischen Schreibmaschine. Eine elektrische gab es nicht. Und ich weiss noch, da blieben immer zwei Buchstaben hängen, das R und das N, die musste er jedes Mal wieder herausfummeln. Aber es hat mich gereizt. Meine grosse Liebe war von Anfang an Musik, und ich wusste, dass ich hier eine Menge Freiheiten haben würde.

Wie sind Sie aufgewachsen?
Meine Mutter stammt aus dem Allgäu. Sie hat sich in einen amerikanischen Soldaten verliebt, der mein Vater wurde. Mein Opa sagte zu der Zeit: Jeder deutsche Mann hat Blut an den Händen. Das war wohl einer der Gründe, warum es ein Ami geworden ist. Mein Vater ist dann aber sehr bald tödlich verunglückt, noch vor der geplanten Hochzeit. Ich war noch ganz klein, wir sind daraufhin zu seinen Eltern nach Chicago, mit dem Schiff. Was makaber war, weil auch die Urne meines Vaters mit an Bord war.

Warum sind Sie wieder nach Deutschland zurückgekehrt?
Meine Mutter hatte Heimweh. Und hat dann nach unserer Rückkehr bei den Amerikanern in Augsburg gearbeitet. Ich war immer bei ihr in der Kaserne und habe das geliebt. Da waren andere Männer. Das war nicht diese Generation. Die sind nicht vom Krieg gekommen, waren vital und lebenslustig. Und haben auch noch die viel tollere Musik gehabt.

Als Sie selbst mit 21 Jahren Mutter wurden, sind Sie viel herumgereist, mit und ohne Kind.
Ich bekam eine Waisenrente. Die habe ich verkloppt und bin in ganz Europa herumgefahren. In Portugal zum Beispiel war zu der Zeit gerade die Nelkenrevolution. Es war grossartig mitzuerleben, was so ein Umbruch bedeutet. Eine unglaubliche Freude. Und es war auch komisch und absurd. Überall im Land entstanden Kooperativen, und von überallher kamen Linke, um zu helfen. Die haben das aber nicht gekonnt. Dann liefen da also Iren herum, mit total verbrannten Gesichtern, weil sie bei glühender Hitze irgendwo auf dem Acker mitgeholfen haben.

Für Sie als Punkfreigeist dürfte es bei Trikont nicht ganz leicht gewesen sein: politisch inspirierte Musik, aber auch bayerisches Liedgut.
Zu Volksmusik hatte ich lange überhaupt keinen Zugang. Ich war ja auch anders sozialisiert. Für meine Mutter war Volksmusik ein No-Go gewesen. Das waren Rechte. Die waren verdächtig. So bin ich aufgewachsen. Sogar Johnny Cash war verdächtig, Country sowieso. In meiner Anfangszeit gab es von Achim das Projekt «Rare Schellacks». Platten von bayerischen Volkssängern, die irgendwelche verrückte Sammler irgendwo ausgegraben haben. Achim war hingerissen, auch von der Sprache, der Melodie der Sprache, vom Anarchischen, das er im Bayerischen gesehen hat. Erst habe ich das nicht verstanden. Aber langsam konnte ich das verstehen und mich damit anfreunden. Und dann kam Attwenger.

Ein österreichisches Duo, Schlagzeug, Akkordeon, Gesang – wild und urwüchsig, zwischen Pop und Volksmusik. 1991 brachte Trikont ihr erstes Album, «Most», heraus.
Und die haben uns wirklich umgehauen. Wir hatten ein Video von denen geschickt bekommen, noch eine VHS-Kassette, haben uns das angeschaut und wussten: Das ist es! Wir haben mit Sekt darauf angestossen. Haben die angerufen. Und die kamen zwei Tage später. Grossartig. Wir haben bis heute keinen Vertrag mit denen. Von da an hats mir richtig Spass gemacht. Weil wir uns Sachen getraut haben, die sich sonst keiner getraut hat.

Zum Beispiel?
Das Album «Dead & Gone», eine Sammlung von Trauermärschen. Jeder Vertrieb würde sagen: Das kauft kein Mensch. Fritz Ostermayer, der Herausgeber, ist nämlich mit seinem Rekorder wie ein Irrer kreuz und quer auf Friedhöfen unterwegs gewesen und hat aufgenommen, was bei den Beerdigungen gesungen wurde. Dann kam Lou Reed mit einem Stück auf die Platte. Es gab eine Besprechung in der «New York Times». Und es riefen sogar schon Beerdigungsinstitute an und wollten die in ihr Programm aufnehmen.

Es gibt aber auch immer wieder prominente Musiker wie Rocko Schamoni, die bei Trikont erscheinen. Warum kommen die ausgerechnet zu Ihnen?
Rocko hat bei der Industrie angefangen. Ich glaube, bei Ariola. Da war er noch nicht sehr bekannt, und das lief auch nicht besonders. Nach einem Jahr hat er dort angerufen und gemeint: «Ja, hallo, Rocko Schamomi hier», er würde gern mal wissen, wie viele seiner Platten noch im Bestand seien, er würde die gerne aufkaufen. Die Antwort der Labelfrau: «Wir haben keinen Rockt Schamoni.» Er: «Das gibts nicht. Ihr habt doch mit mir eine Platte gemacht.» Sie: «Ja, ich verbinde.» Nachdem der Dritte auch nicht wusste, wer Rocko Schamoni sein soll, hat sich herausgestellt, dass alles schon geschreddert war. Es gab nichts mehr. Die hatten alle Platten längst vernichtet. So was wollte er nicht noch einmal erleben. Dann ist er zu uns gekommen.

Ist die Musikindustrie eine Branche im Niedergang, wie es immer heisst?
Es ist klar, dass keiner mehr so viel verdient wie noch vor zehn oder auch vor fünf Jahren. Weder die Kleinen noch die Grossen. In der klassischen Industrie ist es inzwischen so, dass mehr über Merchandising als über Platten verdient wird. Die Toten Hosen verdienen mehr mit T-Shirts und Fanartikeln als mit Plattenverkäufen, Downloads eingeschlossen. Und Streaming, das rechnet sich für die Künstler und Labels alles nicht.

Konzerte sind vor allem für das Merchandising wichtig?
Ja. Das heisst also: Spielen, spielen, spielen. T-Shirts verkaufen. Und gute Platten dabeihaben, vor allem auch Vinyl. Dann kann man sich über Wasser halten.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft bei Trikont?
Ich lieb es immer noch. Es ist tatsächlich so, ich habe etwas gefunden, das alles verbindet, was ich gerne mache. Ich kann schreiben, ich kann reden, ich kann organisieren. Ein Glücksfall. So hab ich es immer gesehen. Und jetzt sinds fünfzig Jahre, bei mir nicht, aber beim Achim. Ich meine, der hat nie was anderes gemacht. Das haut mich immer total um. Der ist immer dabeigeblieben, auch in Zeiten, wo ich weiss, ich hätte sofort das Handtuch geschmissen. Dabei kommt ihm natürlich entgegen, dass er Veränderungen nicht so gerne hat.

Sind Sie eigentlich miteinander verheiratet?
Bis jetzt nicht. Könnte aber passieren. Das wäre dann meine vierte Ehe. Schon als Kind habe ich gewusst, dass ich mindestens dreimal heiraten will. Weil ich gedacht habe: Was für eine Verschwendung, so ein schönes weisses Kleid. Und dann hat man es nur einmal an.

Zum Jubiläum des Trikont-Musikverlags ist soeben der Prachtband «Die Trikont-Story. Musik, Krawall und andere schöne Künste» erschienen, auf- und mitgeschrieben von Christof Meueler und Franz Dobler. Heyne Hardcore, München 2017, 464 Seiten, 44 Franken.