Mondmusik: Es heulen die Hunde
Über der Musik des 20. Jahrhunderts leuchtet der Mond. Ein Ausflug durch die Jahrzehnte – vorbei an heulenden Hunden, kreischenden Gitarren und halluzinierenden SchlafwandlerInnen.
Hallo Freunde, ich bin der Beobachter / Ich stehe lautlos hier ganz oben und bin einfach da / Ich habe nichts zu sagen, ich will kein Urteil geben / Und sehe nur dabei zu, wie die Dinge kommen und gehen. *
Schon der unvergessliche Bluesmusiker Howlin’ Wolf heulte den Mond an, und auch die «Strange Fruit» (die vom Mob gelynchten Afroamerikaner) hängen bei Billie Holiday im Silberschein des Mondes in den Bäumen. Besonders beliebt aber war der Mond Anfang des 20. Jahrhunderts in der weissen US-amerikanischen Populärmusik. Die alles bestimmende Tin Pan Alley (die 28. Strasse zwischen Fifth Avenue und Broadway in New York, wo zwischen 1900 und 1930 die meisten Musikverlage ansässig waren) kam kaum nach mit dem Drucken ihrer Notenhefte. Mit den Unterhaltungsliedern von George Gershwin, Irving Berlin und anderen feierten Leute wie Bing Crosby, Ella Fitzgerald und später auch das legendäre Rat Pack (Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin) rauschende Erfolge.
Der viel besungene Mond gemahnte die schmachtenden SängerInnen oft an die Heimat: Sweet, sweet Carolina-, California-, you name it-Moon. Alles schwelgte in Vaterlandsliebe, und nur selten wurde Klartext gesprochen wie im «Alabama Song» von Bertolt Brecht und Kurt Weill aus der Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny» von 1927: «Show me the way to the next Whiskey Bar, o don’t ask why». Die meisten halten ihn für ein olles Sauflied mit melancholischem Unterton. In Tat und Wahrheit verabschieden sich hier die Jenny und sechs weitere armengenössige junge Frauen vom heimatlichen «Moon of Alabama», um sich in Mahagonny zu prostituieren.
Zu dieser Zeit schien das fahle Licht des Mondes in vielen Songs auch über exotische Gegenden. «Moon of Manakoora», «Blue Samoan Moon», «Hanalei Moon»: Vage Vorstellungen davon, wie es auf paradiesischen Inseln zu- und hergehen könnte, wurden Klänge, bei denen die Brüste der blumenbekränzten Hulatänzerinnen vor dem geistigen Auge wippten. Mondsongs, die nicht mit Heimat oder Sehnsuchtsorten zu tun hatten, dienten ansonsten dazu, Liebesleid jedweder Couleur breitzutreten. Die bekanntesten: «Moonlight Serenade», «Blue Moon», «Full Moon and Empty Arms», «It's only a Paper Moon» und natürlich «Shine on Harvest Moon» (gesungen von diversen InterpretInnen inklusive Elvis Presley, mit Nachwirkungen bis hin zu Neil Young).
Doch dann kamen der Mambo und die Vinylschallplatte, und Anfang der fünfziger Jahre musste die Tin Pan Alley abgeben an die prosperierenden Plattenfirmen – und an den Rock ’n’ Roll, der sich selbstredend eher an das Wippen anlehnte als an patriotische Gefühle.
Doch das Mondgeheul erschütterte nicht nur die prüde Nachkriegsgesellschaft, sondern revolutionierte nebenbei auch die zeitgenössische E-Musik, die unter Moondogs Fuchtel alles andere als klassisch klang. Moondog, aka Louis Thomas Hardin, erblindete als 16-jähriger, beim Spiel mit einer Dynamitkapsel. Auf einer Blindenschule lernte er Violine, Viola, Piano, Orgel, Chorgesang und Harmonielehre. In seiner Freizeit trommelte er, was das Zeug hielt. 1943 zog er nach New York, wo er als Strassenmusiker lebte. Fasziniert von nordischer Mythologie, legte er sich einen langen Bart, einen weiten Umhang, einen Speer und einen Wikingerhelm zu. Ab 1947 nannte er sich «Moondog», nach seinem Blindenhund, der nicht müde wurde, den Mond anzuheulen. Obwohl er auf der Strasse lebte, spielte er unter anderen mit Julie Andrews, Charles Minugus, Allen Ginsberg und lernte nebenher beim Dirigenten der New Yorker Philharmonie, wie man orchestriert. Und verschwand dann plötzlich. Schon totgesagt, tauchte er in Deutschland wieder auf und startete quasi aus der Versenkung heraus als 75-Jähriger eine späte, aber umso steilere Karriere, die 1999 mit seinem Tod endete.
Ich hoffe nicht, ihr denkt, mir sei das alles ganz egal / Es ist nur so, dass ich mir nichts mehr mache aus der Wahl / Ich bin aus Stein gebaut, doch wie die Luft so frei / Ich bin der stumme Zeuge, ich bin überall dabei.
Im Abbild der Popmusik wurde der Mond Mitte des 20. Jahrhunderts zum übermächtigen, verstörenden Manipulator. 1969 sahen Creedence Clearwater Revival gar den «Bad Moon Rising» – Naturkatastrophen, Kriegstreiberei, Korruption. Auch die «Lunatics», die Verrückten, kamen in den sechziger Jahren schwer in Mode. Chef-Loony war der Schlagzeuger der Who, nomen est omen, Keith Moon. Bekannt dafür, dass kein Hotelzimmer seinen Besuch unbeschadet überstand, wurde er mehr oder weniger offen «Moon, the Loon» genannt. Damals herrschte die Überzeugung, dass die Mondphasen sensible Menschen zwischen Wahn und Wirklichkeit hin- und herschwanken lassen. In einigen osteuropäischen Sprachen ist «Lunatic» die Bezeichnung für SchlafwandlerInnen, für jene also, die buchstäblich unter dem Mond wandeln. Ein Moonwalker halt. Läutet da was?
Michael Jackson, der Moonwalker schlechthin, hat ungeniert abgekupfert, was er auf der Strasse bei den Breakdance-Pionieren der späten siebziger und frühen achtziger Jahre gesehen hatte. Doch er war es, der den Tanzschritt, bei dem gleichzeitig rückwärts und vorwärts gegangen wird, weltberühmt machte. Tatsächlich waren es aber nicht die New Yorker Ghettokids, die diesen Tanzschritt kreierten. Die Wurzeln des «Moonwalk», so sagt das Lexikon, sollen im Mambo-Dance der dreissiger Jahre liegen, der von Kuba aus Manhattan und die Welt eroberte. Dagegen spricht, dass der französische Pantomime Jean Gaspar Deburau schon im 18. Jahrhuntert mit derselben Masche Furore machte. Das mit dem Rückwärtsgehen hatte er allerdings noch nicht drauf, er bewegte sich lediglich vorwärts und blieb dabei an Ort und Stelle stehen. Eine Kopie davon zeigt Jean Louis Barrault in Marcel Carnés Kino-Meilenstein «Die Kinder des Olymp» (1945).
Jacksons «Thriller» (1982) blieb bis dato das meistverkaufte Popalbum. Als Nummer zwei fungiert «Dark Side of the Moon» von Pink Floyd. Ungezählte Mythen ranken sich um die Entstehung dieser Platte. Sicher ist, dass die «dunkle Seite des Mondes» die okkulte Bezeichnung für das Unterbewusstsein ist und dass diese Musik kurz nach dem Rauswurf des Gitarristen und Songwriters Sid Barret komponiert wurde, dessen Geist sich in einer Mischung aus Dope und Wahnsinn zu verdunkeln begonnen hatte.
Jede neue Mode lässt mich innen völlig kühl / Und selbst der Armstrong hat mich äusserlich nur aufgewühlt / Ich schau auf euch herab und spür die Zeit vergehn / Hier oben gibt es welche, die das auch nicht anders sehn.
Inspiriert von Stanley Kubricks Film «2001: A Space Odyssey» schickte 1967 David Bowie Major Tom ins Weltall. Das Lied «Space Oddity» war 1969 erstmals für Bowies Film «Love You Till Tuesday» aufgenommen worden. Zu dieser Zeit hatten bereits achtzehn bemannte Raumflüge der NASA stattgefunden, das öffentliche Interesse am US-amerikanischen Weltraumprogramm war enorm. Der Song wurde zu Bowies erstem Single-Hit und während der Berichterstattung über die erste Mondlandung zum ständigen Begleiter in Funk und Fernsehen.
Kurz nach der Landung der Apollo 11 stürmte eine ganz andere Musik die britischen Charts, der «Skinhead Moonstomp» von Symarip, ein hemdsärmliger Rocksteady mit eingängigem Yeah-yeah-Refrain. Die Band, eine Gruppe aus karibisch-westindischen Migrantenkindern, wurde zum Aushängeschild der damals jungen Skinhead-Szene, die ausser dem Look keinerlei Ähnlichkeiten mit rechtsextremen Skingruppierungen unserer Tage aufwies. Quasi identisch ist aber der «Skinhead Moonstomp» mit dem «Moon Hop» des jamaikanischen Reggae-Musikers Derrick Morgan, der keine zwei Jahre früher entstanden war.
Bowie doppelte nach mit der androgynen Kunstfigur Ziggy Stardust. Seine Band hiess jetzt Spiders from Mars. Der Mond war nun nicht mehr weit weg, andere, bessere Welten mussten im unendlichen All zu finden sein. Eigentlich konsequent entliess Bowie an einem Konzert im Londoner Hammersmith Odeon am 3. Juli 1973 die ganze Band inklusive sich selber als Ziggy Stardust und zog sich für eine ganze Weile komplett aus dem Popzirkus zurück.
Der weichgespülte Bombastsound feierte Urstände, ab 1979 auch im Film «Hair», einer Adaption des Bühnenmusicals, das 1967 am Broadway uraufgeführt worden war. Das Original, vor dem Hintergrund des Vietnamkriegs und der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung entstanden, wurde darin massiv verharmlost. Es muss daran liegen, dass gewisse esoterische und okkultistische Kreise noch heute darauf warten, dass sich der Mond ins 7. Haus schiebt und endlich Frieden auf Erden herrscht, so wie es im «Hair»-Titelsong «Aquarius» besungen wurde.
Ich habe keine Meinung, wenn sich jemand schlecht benimmt / und wenn er Gutes tut, dann ist das gut bestimmt / ich wünsch mir einzig und allein, dass ich dabei sein darf / ich muss es sehn, denn ich bin der Beobachter.
Scheiss auf die Erde, mögen sich daraufhin DiscoexponentInnen gesagt haben und bestellten sich reihenweise ein «One Way Ticket to the Moon» – von Gloria Gaynor bis hin zu Boney M. Der Mond, Tröster der verschmähten Liebenden, Herr der Lunatics und heulenden Hunde wurde zur grossen Discokugel. Welche wiederum lustvoll von den Punks und ihren NachfolgerInnen demontiert wurde. «Marquee Moon», das Debüt der New Yorker Punkband Television von 1977, rangiert zwar nicht unter den kommerziell erfolgreichsten, doch zählt es zu den besten Alben aller Zeiten.
Die avantgardistische Truppe Tuxedomoon bastelte Avantgarde-Elektronica. Feministisch motivierte Bands wie Lunachicks oder Voice of the Beehive zogen den Mann im Mond den Erdenjungs vor. Colourbox zürnten mit «Don't tell me the moon is blue». Der bekehrte Junkie Al Jourgensen von der Metalband Ministry veräppelte Pink Floyd mit «Dark Side of the Spoon», womit die schwarze Seite des Löffels gemeint ist, in dem Heroin aufgekocht wird, die Technoszene machte sich das Smiley-Mondgesicht zum Maskottchen, und Fred Cole holte mit seiner Band Dead Moon zum Todesstoss aus.
Dem Mond war auch das egal. Er hatte schon viel gesehen und gehört: Grauenhaftes wie Mike und Sally Oldfields Esoterikknaller «Moonlight Shadow». Erst 1999 rückte Rocko Schamoni mit seiner Band Jogging Mystique mit «Der Mond» die silberne Scheibe ins (vorläufig) richtige Licht. All together now:
Und die Sonne geht auf, und die Erde geht unter / Ganz oben steht der Mond / Er schaut jeden Tag auf die Erde herunter / Von seinem Blick bleibt nichts verschont.
* Alle fett gesetzten Zeilen sind aus dem Song «Der Mond» von Rocko Schamoni.